© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 37/04 03. September 2004

"Produktive Arbeit"
Arbeitsmarkt: Eine EU-Studie untersuchte die Verbreitung von Schwarzarbeit / Italien, Griechenland und Osteuropa vorn
Ronald Gläser

Andreas Börner (Name von der Redaktion geändert) arbeitet für eine kleine Computerfirma mit weniger als zehn Mitarbeitern. Diese betreuen rund fünftausend Kunden, die eine technische Dienstleistung abonniert haben. Börner kümmert sich um Marketing und Kundenbetreuung - und zwar schwarz. Als er das Unternehmen verläßt, erhält er ein Arbeitszeugnis vom Firmeninhaber.

Gleichzeitig beschäftigt Börner eine Friseuse, die bei ihm putzt - und zwar schwarz. Als er seine Wohnung renoviert, bittet er seinen Nachbarn um Mithilfe. Der Nachbar ist arbeitsloser Handwerker und verdient sich in einem Baumarkt etwas zur Stütze dazu. Für Börner arbeitet er ebenfalls schwarz. Eine wachsende Zahl von Menschen entzieht sich gezwungenermaßen oder ganz bewußt dem gierigen Steuer- und Sozialabgabenstaat - nicht nur in Deutschland.

Jetzt ist eine Studie der Europäischen Union zum Thema "Schwarzarbeit in der vergrößerten Union" (Undeclared work in an enlarged Union) veröffentlicht worden. Erfreulicherweise ist das 240-Seiten-Papier teilweise auch in der Nicht-Amtssprache Deutsch erschienen. Erstellt wurde es von den Firmen Inregia AB und Regioplan BV.

Die Studie kommt zu dem Schluß, daß das, was sich hinter dem Begriff Schwarzarbeit verbirgt, in den zehn Beitrittsstaaten stärker verbreitet ist als in den fünfzehn alten EU-Ländern (Ausnahmen: Griechenland, Italien). Definiert wird Schwarzarbeit als "produktive Arbeiten, die in bezug auf ihre Natur dem Recht entsprechen, die den Behörden jedoch nicht gemeldet werden, wobei die Unterschiede in den Regelsystemen zwischen den einzelnen Mitgliedsstaaten Berücksichtigung finden".

Bei den Altmitgliedern der EU rangiert die Schwarzarbeit zwischen 1,5 Prozent (Österreich) und zwanzig Prozent (Griechenland). Deutschland liegt mit sechs Prozent (2001) im Mittelfeld. Wahr ist, daß im darauffolgenden Jahr erstmals Studien aufgetaucht sind, die die schwer zu schätzende Schwarzarbeit weitaus höher ansetzten. Nach verläßlichen Schätzungen macht Schwarzarbeit ein Sechstel der Wertschöpfung in Deutschland aus. Das entspricht 370 Milliarden Euro.

Besonders niedrig ist die Schwarzarbeit auch in den Niederlanden, Großbritannien und Schweden. Besonders hoch ist dagegen die Quote in Italien, wo sechzehn bis siebzehn Prozent der Bürger ohne Wissen der Behörden ihre Arbeit verrichten. Männer - grundsätzlich bei Schwarzarbeit überrepräsentiert - haben oftmals bessere Stellen als Frauen, die in "traditionell weiblichen Berufssparten" tätig seien, so die Studie. Der Sektor mit dem höchsten Aufkommen an Schwarzarbeit ist die Baubranche, was wohl einen Hauptgrund für die Überrepräsentanz von Männern insgesamt darstellt. Landwirtschaft (einschließlich Gärtnereibetrieb) sowie Hotel, Gastronomie und Haushalt sind weitere Branchen, in denen Schwarzarbeit "boomt".

Dieselben Wirtschaftszweige laden auch in den neuen EU-Staaten zur Schwarzarbeit ein. Hinzu kommt, daß in rückständigen osteuropäischen EU-Ländern der Lohn vielfach noch in bar zur Auszahlung kommt. Dies vereinfacht die niedrigere Deklaration des eigenen Einkommens erheblich. In Ländern wie Polen, Ungarn und Slowenien - ähnlich wie in Italien und Griechenland - ist eine laisser-faire-Mentalität ausgeprägt. Schwarzarbeit wird durch die Bürokratie und Politik durchaus toleriert - in realsozialistischen Zeiten war das auch nicht anders.

Arbeit außerhalb der formellen Wirtschaft ist daher in einigen post-sozialistischen Ländern kein neues Phänomen. Speziell in Polen und Ungarn bildete sich bereits unter den Kommunisten eine ansehnliche Schattenwirtschaft. In Ungarn lag sie 1980 bei dreizehn und 1989 bei sechzehn Prozent des BIP. Neun Jahre später ist sie auf achtzehn Prozent angewachsen. Das ist genauso hoch wie in Lettland, Litauen oder Slowenien. Verhältnismäßig niedrig ist sie in der Tschechei (neun bis zehn Prozent) und Estland (acht bis neun Prozent). Auch die nächsten beiden EU-Beitrittskandidaten wurden untersucht: Rumänien 21 Prozent, Bulgarien 22 bis dreißig Prozent.

Die Tendenz ist in den meisten Staaten rückläufig. In Polen dagegen - mit zwanzig Prozent Spitzenreiter bei der Arbeitslosigkeit - wächst die Schattenwirtschaft. Die Studie konstatiert einen Zusammenhang zwischen dem Vorhandensein von ausländischem Kapital und Schwarzarbeit. Kein Wunder: Westliche Investoren konzentrieren sich auf Finanzdienstleistungen, Kommunikation und industrielle Verarbeitung. Das sind Branchen, in denen - anders als in der Landwirtschaft oder auf dem Bau - Schwarzarbeit (auch wegen des Gewerkschaftseinflusses) schwer denkbar ist.

Die Gründe für die hohe Akzeptanz von Schwarzarbeit in der post-sozialistischen Gesellschaft sind laut Studie folgende: "Negative Wahrnehmung der Rolle des Staates, Opposition gegenüber jeglicher Art offizieller Institutionen und etablierter Normen, Vertrauensmangel in die öffentlichen Institutionen." Dies zeigt, wie Anti-Etatismus von den Machern der Studie in ein schiefes Licht gerückt wird. So lautet der letzte Punkt: "Mangelndes Verständnis für die Verknüpfungen zwischen gezahlten Steuern und erhaltenen Sozialleistungen." Die Osteuropäer sind demnach zu naiv, um zu begreifen, daß der allumsorgende Sozialstaat gut für sie ist. Könnte es nicht auch sein, daß die Erfahrungen der Menschen im Sozialismus ihnen gezeigt haben, daß der Staat nicht alles zu regeln in der Lage ist?

Die Studie wirft Osteuropäern dagegen mangelnde Demokratieerfahrung vor. Dreh- und Angelpunkt bei der Kontrolle der Schwarzarbeit sei die "Stärke des Staates". Die unfreundliche Logik, die dahintersteckt: Wenn der Staat nur mehr kontrolliert, dann wird er Schwarzarbeit schon unterbinden. Je mehr der Staat die Bürger in ihren Entwicklungsmöglichkeiten einengt, desto mehr tut sich in der Schattenwirtschaft. Der Mangel an bezahlbaren Dienstleistungen im Haushaltsbereich ist nur ein Beispiel. Diese Analyse ist auch geeignet, das deutsche Schwarzarbeit-Dilemma zu erklären.

Die Autoren der Studie machen keine Vorschläge, wie auf europäischer Ebene reagiert werden kann auf etwas, das sie als Problem ausgemacht haben wollen - noch nicht. Hinter der Studie steckt die langfristige Strategie der EU-Kommission, auch diesen Lebensbereich von Brüssel aus zu regulieren.

Schwarzarbeit ist eine Ausweichreaktion auf überbordende Bürokratie, Umverteilung und Regelungswut. Da die soziale Absicherung der "Schwarzarbeiter" aber durch das "reguläre" Arbeitsverhältnis, die Familienversicherung, Arbeitslosengeld oder Sozialhilfe gewährleistet ist, fließt jeder verdiente Euro "bar" in die Geldbörse - und wird meist gleich wieder ausgegeben. Auch in Deutschland ist Schwarzarbeit inzwischen längst ein sozialer Stabilisator, der nicht nur etwas Luxus gestattet, sondern viele vor dem sichtbaren Abkippen in die Armut bewahrt.

Außerdem tragen Schwarzarbeiter - rein ökonomisch betrachtet - zum Blühen der Volkswirtschaft im allgemeinen und der Steuereinnahmen im besonderen bei. Beispiel? Geht Andreas Börners Auto kaputt, so fährt er es in die Werkstatt vom Freund seiner putzenden Friseuse, der es schwarz repariert. Eine offizielle Reparatur wäre für ihn unbezahlbar und hätte mit der Stillegung des Fahrzeugs geendet. Ergo: Hans Eichel hätte keine Mineralöl-, Öko- und Mehrwertsteuer mehr von Börner erhalten, weil der dann Bahn fahren müßte.

Zudem wird ja zumeist für die schwarz verarbeiteten Ersatzteile Mehrwertsteuer errichtet. Wenngleich die Autoren noch keinen europäischen "Polit-Mix", wie sie das selber nennen, anzubieten haben, so steht doch eines für sie fest: "Auf diesem Gebiet ist eindeutig mehr Forschungsarbeit zu leisten." Von ihnen, versteht sich.

Schwarzarbeit in Deutschland: Die EU schätzt den Umfang der Schattenwirtschaft wegen anderer Preisansätze auf nur sechs Prozent


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