© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/04 24. September 2004

Kolumne
Neues Denken
Klaus Hornung

Wohlstandserhalt der Gesellschaft gegen Machterhalt der Parteien", lautet bisher der eigentliche Verfassungskonsens der Bundesrepublik Deutschland. Er ist nun an sein Ende gekommen, wie auch die Wahlen in Sachsen und Brandenburg zeigen. Es artikuliert sich in breiten Schichten dieser "Gesellschaft" der Protest gegen die verheerenden Spuren, die die sogenannte Globalisierung über den Erdball zieht mit ihrer Vergötzung des "Marktes", der angeblich alles richten soll, gegen die Unterwerfung des Staates unter die sogenannte "Wirtschaft", gegen die Beseitigung aller Grenzen, die als "Fortschritt" gepriesen wird, gegen die Einebnung des geschichtlich Gewachsenen durch den Riesentraktor der Ökonomisierung mit ihrer Zertrümmerung von Religion, Tradition, Nation bis hin zur Zerstörung Europas und seiner Ersetzung durch einen bloßen Großraum von Produzenten und Konsumenten.

Die bisherige Vorstellung von "Demokratie" (jedenfalls in Deutschland) als einer stetigen materiellen Zugewinngemeinschaft kommt an ihr Ende. Wenn sie - als freiheitliche Ordnung - überleben soll, wird sie sich auch als "Organisation des Verzichts" (Bernd Guggenberger) bewähren müssen. Mit anderen Worten: Die Ordnung der Zukunft bedarf neuer Fundamente, wie sie einem freiheitlichen, geschichtsbewußten Konservativen nie zweifelhaft waren: der Befreiung der Gesellschaft und des Lebenssinns des einzelnen aus den Fesseln des ausschließlich Materiellen, aus der blindwütigen Ökonomisierung aller Lebensbereiche zu einer wahrhaft aufgeklärten Lebensweise, die wieder um die Not-wendigkeit von Seele, Geist, Transzendenz und Geschichtsbewußtsein weiß, um die Bedeutung alles Immateriellen als der "Vitamine" und "Spurenelemente" im Leben des einzelnen wie der Gesellschaft im Sinne des einstigen "travailler pour le roi de Prusse".

Mit anderen Worten: Ohne neuen Gemeinsinn und "Solidarität", die aus solchen Quellen schöpfen, ohne Bewußtsein und Praxis des geschichtlich gewachsenen "Volkes" oberhalb der "Gesellschaft", ohne den Primat der Politik über die Wirtschaft werden wir keine Zukunft haben, schon gar nicht gegen den islamistischen Angriff, über den wir uns noch immer ebenso hinwegtäuschen wie über die katastrophalen Folgen einer Globalisierung, die die Vielfalt der Völker und Kulturen und damit ihren Lebenssinn und Selbstbehauptungswillen auflöst. Die Herausforderung zu neuem Denken und Handeln in Deutschland ist unübersehbar geworden.

 

Prof. Dr. Klaus Hornung lehrte Politikwissenschaften an der Universität Hohenheim.


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