© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/04 24. September 2004

Im Abwärtsstrudel
Landtagswahlen III: Die Niederlagen in Sachsen und Brandenburg beenden endgültig den Höhenflug der CDU
Paul Rosen

Die Wähler wenden sich in Scharen von den Volksparteien ab, aber die haben nur ihr taktisches Kalkül im Sinn. SPD-Chef Franz Müntefering und Kanzler Gerhard Schröder erklärten sich am Tag nach den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg zu Siegern, obwohl die Sozialdemokraten starke Verluste hinnehmen mußten. Und CDU-Chefin Angela Merkel erkannte in dem tiefen Sturz der sächsischen Christdemokraten einen klaren Auftrag zur Regierungsbildung. So widersinnig es erscheinen mag: Die beiden Wahlen stabilisieren die rot-grüne Koalition, Merkels Stern beginnt zu sinken.

Daß aus beiden Wahlergebnissen die Angst vieler Menschen spricht, die sich Sorgen um ihre Existenz und Zukunft machen, interessiert in Berlin nicht. Müntefering und Schröder gehen von einem anderen Aspekt aus: In Sachsen wird die CDU jetzt gezwungen, einen Koalitionspartner zu nehmen. Da es mit der FDP nicht reicht, kann dies nach Lage der Dinge nur die SPD sein, so daß sich die Mehrheit der Union im Bundesrat etwas reduziert. Dadurch werden die bisher zum Unionsblock zählenden sächsischen Bundesratsstimmen "neutralisiert". Denn alle aus CDU und SPD gebildeten Landesregierungen pflegen sich aufgrund ihrer Koalitionsvereinbarungen in der Länderkammer neutral zu verhalten.

Stimmungsumschwung zugunsten der SPD in NRW

Gerade das sächsische Ergebnis ist daher ein deutliches Signal für die Landtagswahlen im nächsten Jahr. Die CDU müßte schon in Schleswig-Holstein und in Nordrhein-Westfalen die Regierung übernehmen, um Rot-Grün mit einer Zwei-Drittel-Blockademehrheit im Bundesrat handlungsunfähig zu machen. Denn dann müßte Schröder, um den Bundesrat zu überstimmen, im Bundestag ebenfalls eine Zwei-Drittel-Mehrheit aufbringen, die er nicht hat. Aber daß die CDU sowohl in NRW wie Schleswig-Holstein gewinnt, ist nicht als sicher anzusehen. Da keimt bei den Genossen Hoffnung, daß man es noch bis zur Bundestagswahl 2006 schafft. Und da auch Brandenburg unter SPD-Führung bleibt, sieht die Lage für die Sozialdemokraten besser aus, als es die Wahlergebnisse ausweisen. Die Wahlprozente sind erfahrungsgemäß in wenigen Wochen vergessen; der Eindruck, daß die SPD der CDU jetzt zum ersten Mal seit langem wieder ein Stück Macht abgenommen hat, bleibt.

Die CDU war sich nicht einmal über die Gründe für ihren tiefen Fall im klaren. Im Präsidium gab man einfach der CSU die Schuld. Deren Chef Edmund Stoiber, so wurde argumentiert, wolle immer noch Kanzlerkandidat werden und verhindere eine Gesundheitsreform nach den Maßstäben der CDU-Kopfpauschale. Außerdem wird dem CSU-Chef die Bemerkung zugeschrieben, bei Merkel und FDP-Chef Guido Westerwelle handele es sich um "politische Leichtmatrosen", die 2006 nur geringe Aussichten hätten, gegen das Gespann von Schröder und Außenminister Joseph Fischer zu gewinnen.

Über die wirklichen Gründe geriet die CDU-Führung in Streit. Das Merkel-Lager konnte nicht zugeben, was nicht sein darf, und erklärte die Ergebnisse zu einem Sonderfall Ost. In den neuen Ländern seien die Menschen besonders enttäuscht und würden auch schneller als die Westler ihr Kreuz bei PDS oder NPD machen. Für die handwerklichen Fehler bei Hartz IV, die die Bundesregierung zu verantworten habe, sei man in Mithaftung genommen worden. Grundsätzlich sei die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe richtig.

Merkels Hofstaat könnte schon am Sonntag eines besseren belehrt werden. Selbst CDU-Funktionäre berichten von einem Stimmungsumschwung zugunsten der SPD in Nordrhein-Westfalen. Die wachsende Kluft zwischen West und Ost in Deutschland verfehlt ihre Wirkung nicht. Im bevölkerungsreichsten Bundesland macht sich Polemik gegen die angeblich hochsubventionierten neuen Länder breit. Von der nordrhein-westfälischen SPD wird dies geschickt ausgenutzt. Die CDU steht ratlos da. NRW-Landeschef Jürgen Rüttgers ist auf Schlingerkurs. Und wenn früher als Vorteil der CDU gepriesen wurde, eine Vorsitzende aus dem Osten zu haben, so macht sich dies jetzt als Nachteil in der Alt-Bundesrepublik bemerkbar, wo eine seltsame Westalgie um sich greift. Aber auch in den neuen Ländern beschert der Name Merkel der CDU keinen Heimvorteil mehr.

Der soziale Gedanke wurde 2003 über Bord geworfen

Das hat Gründe, und der wichtigste ist die immer deutlicher sichtbare Führungsschwäche und das mangelnde strategische Gespür der CDU-Chefin. Merkel hat taktisches Geschick. Sie hat die Bundestagsfraktion durch öffentliche Vorfestlegung de facto gezwungen, den Abgeordneten Martin Hohmann auszuschließen. Die Mehrheit für den Ausschlußantrag war die eine Sache, eine andere der damit in Kauf genommene Verzicht auf national orientierte Wähler.

Noch belastender macht sich der Einfluß neoliberaler Berater auf die CDU-Führung bemerkbar. Auf dem Leipziger Parteitag im letzten Jahr wurde der soziale Gedanke über Bord geworfen. Die CDU setzt seitdem nur noch auf Wettbewerb und Kostensenkung. Daß ihre Wähler aber an sozialer Sicherheit interessiert sind, wurde vergessen. Die CSU, die sich mit dem sozialen Gedanken seit Jahrzehnten in Bayern große Mehrheiten sichert, geriet in scharfen Konflikt mit ihrer Schwesterpartei. Dieser Konflikt macht sich in erster Linie an der Kopfpauschale in der Krankenversicherung fest. Die CSU will nicht akzeptieren, daß ein Vorstandsvorsitzender einen gleich hohen Kassenbeitrag zahlen soll wie die Putzfrau. Und sie weiß eine Mehrheit hinter sich: 85 Prozent der Deutschen lehnen die Kopfpauschale ab.

Wenn CDU-Präsidiumsmitglieder jetzt Geschlossenheit der Union fordern, verlangen sie in Wirklichkeit die Fortsetzung des neoliberalen Kurses, der die CDU wie schon vor ihr die SPD dem Projekt 18 von oben näher bringt. Aber im Unterschied zur CDU sind Müntefering und Schröder schon dabei, sich von Hartz abzusetzen. Dagegen erweckt die CDU den Eindruck, sie wolle noch mehr Einschnitte vornehmen und verliert dabei das vordringliche Ziel aus den Augen: Die Menschen wollen Arbeit, und die, die Arbeit haben, wollen sie behalten.


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