© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 41/04 01. Oktober 2004

Journalismus
Ein Interview schlägt Wellen
Dieter Stein

Für Schlagzeilen gesorgt hat in den letzten Tagen ein Interview der JUNGEN FREIHEIT. In der vorigen Ausgabe veröffentlichten wir ein kurz nach der sächsischen Landtagswahl geführtes Gespräch mit dem Bundesvorsitzenden der mit sensationellen 9,2 Prozent in das Dresdner Parlament gewählten NPD. Seine Antworten auf die Fragen unseres Redakteurs schlagen nun Wellen - und sind jetzt sogar ein Fall für die Justiz. Ein Berliner Justizsprecher ließ verlauten, gegen NPD-Chef Udo Voigt werde seitens der Staatsanwaltschaft wegen seiner Äußerungen im JF-Interview strafrechtlich ermittelt: "Gegen den Beschuldigten besteht der Tatverdacht der Verunglimpfung des Staates."

Udo Voigt mußte von dieser Zeitung gar nicht dazu gedrängt werden, er erklärte verblüffend offen, welche Ziele er sich und seiner Partei gesetzt habe. Man beabsichtige, "die BRD ebenso abzuwickeln, wie das Volk vor 15 Jahren die DDR abgewickelt hat", die Bundesrepublik Deutschland sei ein "illegitimes System", der geplante Umsturz solle durch - freilich gewaltfreie - "revolutionäre Veränderung" erfolgen, Hitler sei ein "großer deutscher Staatsmann", und seine NPD wolle eine "nationalsozialistische Strömung" integrieren. Kundige Juristen bezweifeln zwar schon, daß die Voigt-Äußerungen, so sehr sie politisch anstößig sind, strafrechtlich geahndet werden können, die Einstellung des Verfahrens könnte jedoch monatelang hinausgezögert werden.

Diese Zeitung sieht es als vornehmsten journalistischen Auftrag an, ihre Leser zu informieren und ihnen die Möglichkeit zu verschaffen, sich eine eigene Meinung zu bilden. Deshalb hat sie immer wieder Politiker jeder Couleur, von der PDS über SPD, Grüne, FDP, CDU/CSU, Republikaner bis zur NPD, interviewt. Man kann es gar nicht scharf genug kritisieren, daß sich große Zeitungen, aber vor allem auch die elektronischen Medien eine Zensur auferlegen und beispielsweise keine direkten Gespräche mit Vertretern von NPD oder auch DVU führen wollen. Die Dämonisierung von Parteien, denen man demokratische Defizite oder Extremismus vorwerfen kann, durch Ausschluß aus dem Diskurs wird sogar das Gegenteil von dem bewirken, was sie bezwecken soll. Die Wähler und Anhänger sehen vorhandene Zweifel am Funktionieren eines offenen demokratischen Meinungsstreites bestätigt und könnten sich weiter radikalisieren.

Es führt deshalb kein Weg daran vorbei, anzuerkennen, daß selbst eine extremistische Protestpartei Nöte und Sorgen von Bürgern artikuliert, die berechtigterweise in der Öffentlichkeit diskutiert werden müssen - spätestens, wenn eine solche Partei in Parlamente gewählt wurde. Anders wäre die Demokratie für Kritik nicht durchlässig.

Womöglich motivieren sogar das konformistische, eintönige Gespräch zwischen den immergleichen Talk-Gästen bei Sabine Christiansen und Maybrit Illner und die selbstauferlegten Sprechverbote manche Bürger, erst recht Protest zu wählen - bis sich der demokratische Dialog wieder verbreitert.


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