© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 41/04 01. Oktober 2004

Neue Technologien: Wozu eigentlich Fortschritt? (Abschluß)
"Alles wird besser - doch nie wieder gut"
Angelika Willig

Das Ende der "Neuen Technologien" ist gekommen. Aber keine Angst, der Nationale Ethikrat hat nicht die Forschung wegen unkalkulierbarer Risiken komplett stoppen lassen. Mit den Stammzellen, Krebsmäusen und Klongerüchten wird es weitergehen, sogar in Deutschland. Nur findet das nicht mehr unmittelbaren Niederschlag in der JUNGEN FREIHEIT.

Ohnehin gab es Leser, denen die Thematik gegen den Strich ging. Einer klagte darüber, daß es trotz abwechslungsreicher Darbietung "immer dasselbe" sei. Richtig ist, daß es bei der Genforschung stets um "das eine" geht, doch im Vergleich zur natürlichen Fortpflanzung sind die Varianten doch erheblich gesteigert.

Ein weiterer Kritikpunkt kam erst ganz zum Schluß: Wozu brauchen wir überhaupt Fortschritt? Um Arbeitsplätze zu schaffen, heißt es derzeit überall wie aus der Pistole geschossen. Die Antwort greift aber zu kurz, denn Arbeitsplätze bringt die Forschung nur deshalb, weil für deren Produkte, zum Beispiel Medikamente, eine große Nachfrage besteht und die Leute bereit sind, dafür Geld auszugeben. Hinter dem Fortschritt stecken also individuelle Bedürfnisse. Auf diese Weise sind auch schon das Pulver, der Buchdruck und das Automobil erfunden worden. Die Gentechnik ist nichts weiter als eine neue Methode, um menschliche Ansprüche zu befriedigen.

Der Philosoph indes ist nicht an subjektiven Motiven interessiert, sondern will die ganze Wahrheit wissen. Was bewirkt der Fortschritt objektiv-historisch? Da gibt es zwei Schulen: Die Konservativen behaupten, daß sich trotz technischer Neuerungen im Menschen nichts ändere. Man hätte demnach in einem Flugzeug die gleichen Gefühle wie in einer Postkutsche. Da dies offenbar nicht der Fall ist, sondern sich mit der Technik auch der ganze Zeitgeist ändert, beklagen Konservative ständig den "Niedergang der Kultur". Die Progressiven hingegen meinen, daß der Mensch sich mit dem technischen Fortschritt auch moralisch zum Besseren hin verändern müsse. "Sozialismus und Elektrizität", lautete Lenins Parole. Doch spätestens der moderne Krieg widerlegt diese frommen Wünsche.

Der Mensch verändert sich im Verlauf der Geschichte, doch weder aufwärts noch abwärts. Wir entwickeln uns eher horizontal in einer ständigen Differenzierung, wie es auch in der Naturgeschichte der Fall ist. Aus einer besonderen Anlage heraus, die nur dem Menschen gegeben ist, werden Möglichkeiten entfaltet. Der Begriff "Fortschritt" ist also nur eingeschränkt zu verwenden. Trotzdem liegt im Entwicklungspotential das Wesen des Menschen und seine vielbeschworene Würde. Die Frage ist daher, was jener Würde mehr schadet, die Manipulation von Stammzellen oder die Beschränkung der Forschung und damit auch der menschlichen Entwicklung. Denn ohne Risiko ist die nun mal nicht zu haben.


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