© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 41/04 01. Oktober 2004

Frisch gepresst

Autoren Lexikon. Im zweiten Band seiner Erinnerungen, der soeben erschienen ist (Rezension in der nächsten JF-Ausgabe), äußert sich der Verleger und Publizist Wolf Jobst Siedler vernichtend über die westdeutsche Nachkriegsliteratur. Die gesamte Textproduktion der "Gruppe 47" und ihres Umfeldes sei zutiefst provinziell gewesen, befangen in der rheinischen Wohnküchenwelt, beschäftigt mit "unappetitlichen Affären". Vom großen Schwurgericht der Literatur würden die Bölls und Nossacks bald zum Tod durch Vergessen verurteilt. Dieser Einschätzung will man ungern widersprechen. Allein das von Bernd Lutz und Benedikt Jessing in dritter, erweiterter Auflage edierte "Metzler Autoren Lexikon" (J.B. Metzler Verlag, Stuttgart 2004, 848 Seiten, 49,95 Euro) plädiert dafür, daß Scharen dieser kleinbürgerlich-weltlosen Langeweiler auch noch im 21. Jahrhundert als lesenswerte Schriftsteller wahrgenommen werden. Darum finden wir natürlich Böll und Grass, Dürrenmatt und Frisch, Nossack und Kasak. Dazu die Matadore der Betroffen-heitsprosa Ruth Klüger oder Raphael Seligmann, die "jungen Wilden" der neunziger Jahre wie Kracht und Stuckrad-Barre, einige Altlasten aus dem "Leseland" DDR wie Christa Wolf und Heinz Czechowski, Vergessene von morgen wie Judith Hermann und Thomas Brussig. Damit diese fraglichen Gegenwartsgrößen aufgenommen werden konnten, mußten viele Autoren der zwanziger und dreißiger Jahre entweder ganz weichen wie Jochen Klepper und Edzard Schaper, oder sie fanden knapp oberhalb des Telegrammstils Berücksichtigung wie Theodor Däubler, der auf einer Seite abgetan wird. Die angeblich "aktualisierte" Auflage dieses Lexikons erwähnt im bibliographischen Annex zu Däubler nicht einmal, daß seit 2002 eine kritische Ausgabe seiner Werke erscheint. Überhaupt: Was den Artikeln bibliographisch angehängt wird, befindet sich nicht selten auf dem Stand von Anno Tobak. Neben der versuchten Kanonisierung drittrangiger Schreiber ist dies das größte Ärgernis, das dem Käufer eines teuren Werkes zugemutet wird.

Mut zur Lücke. Die deutsche Geschichte in komprimierter Taschenbuchform anzubieten, zeugt von einem gesunden Selbstbewußtsein der Verfasser. So sehr man sich für viele historisch unbeleckte Zeitgenossen eine Handreichung wünscht, um nicht gleich auf die Empfehlung der üblichen Handbücher zurückzugreifen, so muß doch die Angst vor unsinniger Periodisierung, falsch gesetzten regionalen, thematischen oder gesellschaftspolitischen Schwerpunkten jedem Versuch mit äußerster Skepsis begegnen. Die drei Historiker Peter Bollmann, Ulrich March und Traute Petersen scheuen sich nicht und formulieren ihr Anliegen auch noch selbstbewußt als Staats-, Gesellschafts- und Kulturgeschichte. Daß sie diesen Anspruch nicht erfüllen, allenfalls andeuten können, liegt in der Natur der Sache. Trotzdem ist ihre "Kleine Geschichte der Deutschen" (Edition Antaios, Schnellroda 2004, 191 Seiten, broschiert, 14 Euro) brauchbar für alle - und das sind die meisten - mit geschichtlichen Lücken und anregend für jene, die schon alles zu wissen meinen.


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