© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/04 08. Oktober 2004

Frankfurter Buchmesse
Geplünderte Erdnuß-Schalen
Dieter Stein

In langgezogenen, hastenden Reihen streben sie wieder den Messetoren zu, Besucher und Aussteller der Frankfurter Buchmesse. Tonnen von Papier werden in diesen Tagen umgewälzt. Keuchend unter der Last zum Bersten mit Verlagsprospekten gefüllter, bunt bedruckter Taschen verlassen die Gäste abends wieder das Gelände.

Es ist ein Kräftemessen, ein Taxieren, eine Materialschlacht bei der stets Anfang Oktober zelebrierten Bücherschau. Ist der Verlag Soundso noch auf der Messe vertreten? Hat sich sein Stand verkleinert, vergrößert? Wohin ist man in diesem Jahr von der Messeverwaltung verlegt worden? Wer sind die Nachbarn?

Die großen Verlage kleckern nicht, sondern klotzen. Man begnügt sich nicht mit den Standardständen der Messe, es werden Sonderanfertigungen aufgebaut. Riesigen Salons ähnelnde Räume aus Edelhölzern öffnen sich bei den Riesen unter den Literaturverlagen. Auf Videoleinwänden flimmern Animationen, mancher hat Motorräder oder Autos als Stand-Deko hereingerollt.

Nur die Anfänger unter den Autoren schwirren hektisch und aufgeregt herum, um bei Verlegern (die ohnehin selten persönlich auf der Messe sind) Gesprächstermine zu ergattern. Die Profis sind natürlich längst unter Vertrag und lungern gelangweilt in Ledersesseln herum, glimmende filterlose Zigarette zwischen den Fingern der einen Hand, während die andere gedankenverloren die Schale mit den Erdnüssen plündert.

Überhaupt, das Essen. Wer kauft eigentlich die überteuerten Riesenbaguettes in den Bistros der Messe, die ohne Maulsperre nicht zu verzehren sind? Statt dessen wuchten die Mitarbeiter der Verlage bei Dis-countern frühmorgens billig erstandene Gebäckmischungen (die Waffeln sind als erstes weg) gleich palettenweise in die Hallen. Die traurige Wahrheit aber ist: Die Masse der in die Schüsseln geschütteten, scheinbar unerschöpflichen Backwaren werden von den Ausstellern selbst konsumiert. Da nach Messeschluß allabendlich gleich in den Äppelwoikneipen oder Pizzerien weitergezecht und -gegessen wird, lockert so mancher gegen Sonntag, noch bevor die Stände abgebaut sind, unauffällig den Gürtel, und es zwicken die anfangs noch knackig sitzenden Hosen der flotten Messehostessen.

Am Schluß fragen sich alle erneut: Hat es sich überhaupt gelohnt? Hätte man sich nicht gegenseitig all die Verlagsprospekte kostensparender per Post zusenden und lieber eine Woche auf Mallorca buchen sollen? Doch nein: Hie und da werden auch Geschäfte gemacht, Verträge abgeschlossen, Autoren entdeckt. Man kennt sich, und man hilft sich. "Ach, so sehen Sie also aus!" Die bei manchem auf Distanz empfundene Erregung und Antipathie gegenüber ideologischen Kontrahenten schwindet nach zwei Tagen gemeinsam eingeatmeter, trockener und klimatisierter Hallenluft, und man kommt sich unversehens näher. Immer nimmt man etwas mit aus Frankfurt - und wenn es nur der Virus der neuen Herbstgrippe ist, der durch einen feuchten Händedruck übertragen wird.


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