© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/04 08. Oktober 2004

Streit der zänkischen Schwestern
CDU/CSU: Die Auseinandersetzungen zwischen den Unionsparteien spitzen sich zu / Stoiber gilt für viele Mitglieder als besserer Kanzlerkandidat
Paul Rosen

Es war ein gutes Gespräch in guter Atmosphäre". Der Zettel ohne Briefkopf, den die CSU über das letzte Spitzentreffen der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel mit CSU-Chef Edmund Stoiber unter die Journalisten brachte, sagte eigentlich alles über den Zustand der Union. Denn wie ihre künftige Linie aussehen soll, blieb auch nach der fünfstündigen Nachtsitzung im Berliner Konrad-Adenauer-Haus unklar. Merkel und Stoiber kämpfen nach wie vor um die Macht. Die CDU-Chefin hatte wohl aus einigen bayerischen Versöhnungssignalen und Äußerungen des CSU-Landesgruppenchefs Michael Glos, sie habe das "Prä" für die Kanzlerkandidatur, den Schluß gezogen, die kleine Schwesterpartei sei auf dem Rückzug. Ein Irrtum, wie sich jetzt zeigt.

Es geht nur vordergründig um die Positionen in der Gesundheitspolitik. Eine Opposition kann beschließen, was sie will - nach dem Wahlsieg sieht die Lage immer anders aus. Meistens ist der Zustand der vom Vorgänger übernommenen Staatskasse noch schlechter als ausgewiesen, und der Koalitionspartner hat auch ein Parteiprogramm, das er in der Verhandlungen einbringt. Im Fall der CDU ist die Lage inzwischen komplizierter geworden, da Merkel ihr politisches Schicksal mit der "Kopfpauschale" in der Krankenversicherung zu verknüpfen beginnt.

Merkels Umfragewerte gehen in den Keller

Ihr Gesundheitskonzept, das vom Leipziger CDU-Parteitag vor knapp einem Jahr mit großem Jubel beschlossen worden war, sieht einen Einheitsbeitrag zur Krankenversicherung von rund 180 Euro im Monat vor. Diesen Beitrag sollen künftig alle bezahlen - vom Generaldirektor bis zur Putzfrau. Da an der finanziellen Leistungsfähigkeit von Putzfrauen und anderen Geringverdienern selbst bei der CDU Zweifel bestehen, muß ein milliardenschwerer Ausgleich über Steuergelder erfolgen. Damit sollen Geringverdiener subventioniert werden, damit sie die Kopfpauschale bezahlen können. Die CSU legt bereits den Finger in die Wunde: "Die CDU muß jetzt klären, wie sie die 40 Milliarden Euro Subventionsausgleich in ihrem Modell finanzieren kann", heißt es in dem CSU-Papier. Denn längst ist klar, daß das CDU-Konzept eine Mehrwertsteuererhöhung um mehrere Punkte erfordern würde. Das verschweigt die CDU-Chefin bisher.

Merkel ist offenbar von dem Gedanken besessen, als Radikalreformerin des deutschen Sozialsystems in die Parteigeschichte einzugehen. Daß Reformen durchgeführt werden müssen, daran besteht wohl kein Zweifel. Die CDU-Konzepte scheinen aber den sozialen Ausgleich zwischen Reich und Arm - eine der Grundfesten der alten Bundesrepublik - völlig außer acht zu lassen. Ob Steuermodell oder Kopfpauschale: Wer viel verdient, wird entlastet, wer wenig verdient, muß sich auf höhere Belastungen einstellen. Die CSU, die nur mit einer ausgefeilten Politik des sozialen Ausgleichs über Jahrzehnte ihre absolute Mehrheit in Bayern halten konnte, mahnte die Schwesterpartei, es müsse folgender Grundsatz gelten: "Geringeres Einkommen, geringerer Beitrag - höheres Einkommen, höherer Beitrag. Der Bezug zum Einkommen und zur Leistungsfähigkeit des Einzelnen ist entscheidend für die Akzeptanz bei den Bürgern."

Stoiber würde sich einen zweiten Anlauf zutrauen

Mit der Akzeptanz bei den Bürgern ist es inzwischen nicht mehr weit her. Merkels Umfragewerte gehen in den Keller. Die Union ist nicht nur bei den letzten Wahlen abgesackt, sondern geht bei den bundesweiten Umfragen vom langsamen Sinkflug in den freien Fall über. Merkels Popularitätswerte sind unter die von Kanzler Schröder gesunken, der wieder zulegt. CSU-Chef Stoiber gilt bei Unionsanhängern wieder als führender Anwärter auf die Kanzlerkandidatur. Das hat Gründe. Die CDU-Programmatik scheint vom Willen beseelt zu sein, Arbeitskosten um jeden Preis zu senken und Wettbewerb zu schaffen, wo immer es geht. Das geht auf den Rat von Wirtschaftswissenschaftlern und Beratungsfirmen zurück, deren Empfehlungen stets darin gipfeln, Arbeitskräfte freizusetzen, um die Kosten zu senken und den Gewinn zu maximieren. Mit solchen Konzepten kann die FDP bei Wahlen gut abschneiden; für die CDU bedeutet dies, das "Projekt 18" anzugehen - von oben her.

Falsche Konzepte, ein Streit mit der CSU und eine schlechte Bilanz: Für Merkel sieht es wenige Wochen vor dem Bundesparteitag gar nicht gut aus. Stoiber hingegen braucht kein gemeinsames Gesundheitskonzept, um seinen Parteitag Mitte November zu übersehen. Für die CDU-Chefin aber wäre schon eine Teilniederlage im Kampf um das Gesundheitskonzept eine Katastrophe.

So wendet sich das Blatt im Streit der zänkischen Schwestern: War es erst Merkel, auf die die Kanzlerkandidatur scheinbar automatisch zulief, so scheint die Situation wieder völlig offen zu sein. Neue Namen kommen bereits ins Spiel: Wenn der niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff ausdrücklich erklärt, er strebe die Kanzlerkandidatur nicht an, heißt das, daß er in die Liste der möglichen Bewerber aufgenommen worden ist. Was Stoiber will, ist noch unklar. Zutrauen würde er sich einen neuen Anlauf, das ist gewiß.


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