© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/04 08. Oktober 2004

Meldungen

Regionale Vitalität des Schlesiertums

GÖTTINGEN. Als 1954 die Stunde von Bern schlug und Helmut Rahns Tor die westdeutschen Balltreter zu Fußballweltmeistern machte, gingen jenseits von Oder und Neiße junge Schlesier auf die Straße und feierten mit dem Ruf: "Unsere haben gewonnen". Manche von diesen Jublern bezahlten ihre Begeisterung mit Haftstrafen. Der Kölner Osteuropahistoriker Manfred Alexander berichtet dieses kleine Episode, um das Weiterleben eines eigentümlichen "Schlesiertums" in der nach 1945 polnisch annektierten deutschen Provinz Oberschlesien zu dokumentieren (Geschichte und Gesellschaft, 3/2004). Diese "Kryptogesellschaft im Verborgenen" steht in Alexanders Überblick zu "Oberschlesien im 20. Jahrhundert" für eine nur vom Nationalismus der Zwischenkriegszeit unterbrochene regionale Tradition. Denn bis 1918 habe sich eine zwischenvölkische Identität in der preußischen Provinz herausgebildet, nach 1918 oft als "schwebendes Volkstum" denunziert, aber doch so stabil, daß die nicht vertriebenen Schlesier daran nach 1945 anknüpfen konnten. Darauf beruhe auch die nach 1989 von Warschau völkerrechtlich akzeptierte Existenz einer "deutschen Minderheit" in Polen. Und in dieser Kontinuität stehe die jüngst zu registrierende steigende Bedeutung der "Region". Obwohl die autochthonen "Schlonsaken" nur noch ein Drittel der Bevölkerung stellen, werde von ihnen ein "schlesisches Bewußtsein" propagiert, das die Vergangenheit einer durch Kulturen geprägten Landschaft betone und die nationale Orientierung wenn nicht ersetze, doch um ein neues Bewußtsein von regional begrenzter "Heimat" ergänze.

 

Der Kormoran, das unbekannte Wesen

HEIDELBERG. Im Vergleich mit schnittigen Falken oder gravitätischen Kranichen ist der Kormoran, der schwarze fischvertilgende Geselle, ein ziemlich häßlicher Vogel. Aber er war einmal sehr selten, in Europa sogar fast ausgerottet. Inzwischen haben sich die Bestände erholt. Geschätzte 1,6 Millionen Exemplare machten sich 2003 an Europas Gewässern auf Nahrungssuche. Gestört werden dürfen sie dabei nicht, denn sie stehen unter Naturschutz - sehr zum Ärger der Fischer und Teichwirte, die den Fischräuber gern dezimieren würden. Obwohl etwa in Thüringen ein kontrollierter Abschuß erlaubt ist, scheint sich bundesweit ein unlösbarer Konflikt zwischen Artenschutz und "wirtschaftlicher Nutzung natürlicher Ressourcen durch Menschen" entwickelt zu haben, in dessen rechtliche Komplexität Randi Thum, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Umweltzentrum Leipzig, einen eher verwirrenden denn klärenden Einblick vermittelt (Natur und Recht, 9/04). Die Schutzregelung ist so rigide abgefaßt, daß sie nur ausgehebelt werden kann, wenn der praktisch nicht zu führende Nachweis einer Schädigung des "gesamten Zweigs dieser Volkswirtschaft" gelänge. Und auch dann müßte noch dargelegt werden, daß der Abschuß ein wirksames Mittel zum Schutz der Teichwirte ist. Ist er aber nicht, weil die abgeschossenen Tiere unverzüglich und lückenlos durch beutegierige Artgenossen ersetzt werden. Da aber immer noch umstritten ist, in welchem Umfang überhaupt Schäden auftreten, bestehe "biologischer Forschungsbedarf". Ohne entsprechendes Wissen sei jede juristische Lösung bei der aktuellen Rechts- und Sachlage zum Scheitern verurteilt.


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