© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/04 08. Oktober 2004

Die mißverstandene Quote
von Ellen Kositza

Die Forderung nach einer "Deutschrock-Quote", die der Sänger Heinz-Rudolf Kunze bereits vor knapp zehn Jahren losgetreten hatte und die seither auf niedriger Flamme geköchelt wurde, ist neu aufgeflammt. Zuletzt hat sie mittels einer Anhörung im Bundestag Einzug gehalten. Die Fronten sind klar, die Forderungen der Befürworter sowie die Gegenargumente ausgesprochen. Auf der einen Seite stehen die Initiative "Musiker in eigener Sache", deren Aufruf über 500 Interpreten unterzeichnet haben, Vertreter der Phono-Industrie sowie Politiker wie Antje Vollmer, Claudia Roth (Die Grünen) und Wolfgang Thierse (SPD). Gefordert wird, den öffentlichen Rundfunksendern eine Quote aufzuerlegen, der zufolge Neuerscheinungen und deutsche Lieder 50 Prozent des Musikangebots ausmachen sollen.

Weniger als zwei Prozent der heute und hierzulande gespielten Titel seien deutschen Ursprungs, wird beklagt. Das hemme nicht nur den wirtschaftlichen Absatz der heimischen Musikindustrie - jenes gilt freilich als letztes Argument -, es behindere einen möglichen Aufstieg deutscher Nachwuchstalente und fördere, so Reinhard Mey, eine "Monokultur, in der Kreativität wegrationalisiert" werde. Schmusesänger Xavier Naidoo betonte die Wichtigkeit der deutschen Sprache als Kulturgut (und entschuldigte sich postwendend: das sei jetzt "nicht nationalistisch gemeint"), und Antje Vollmer subsumierte, eine solche Quote seien wir "unserer kulturellen Identität schuldig". Nicht nur an eine freiwillige Selbstverpflichtung der Sender wird appelliert, eine Nichteinhaltung der geforderten Quote sollte möglichst sanktioniert werden können - durch Geldstrafen und letztlich Lizenzentzug. Als Vorbild gilt neben etlichen weiteren europäischen Ländern mit nationaler Radioquote Frankreich, wo 1994 ein gesetzlich verbindlicher 40-Prozent-Anteil für französischsprachiges Liedgut eingeführt wurde.

Eisern Front gegen solches Begehren machen die Programmdirektoren der Rundfunkanstalten, nahezu sämtliche Kulturredaktionen deutscher Zeitungen sowie einige Musiker selbst. Die als Vertreter einer sozialkritischen und neoromantischen Hamburger Schule bekannt gewordene Kapelle Blumfeld etwa sah sich gar zu einer offiziösen Stellungnahme genötigt, in der sie "noch mal ausdrücklich" erklärt, "daß wir für derartigen Populismus und Vaterlandsliebe jedweder Art nach wie vor nicht zur Verfügung stehen". In harschen Worten lehnen die sonst so zarten Männer es ab, sich "in die heimatduselige Front all derer einzureihen", die sich "in ihrem Denken, Fühlen, Singen und Handeln positiv auf Deutschland (als Kulturnation und Heimat) beziehen". Das dürfte den Kern treffen - dazu später.

Das Gros der Quotengegner freilich führt andere Gründe im Munde: Qualität, künstlerische Freiheit, das Eigentumsrecht der Radioanstalten.

Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) lehnt eine Quote ebenso ab wie der kulturpolitische Sprecher der FDP, Hans Joachim Otto, der sie als "protektionistisch und europa-rechtswidrig" bezeichnete. In der Sichtweise des Feuilletons tritt das Marktargument zurück hinter den Verweis auf die Bedingungen und Gesetzmäßigkeiten von Kunst. Gern wird dabei hämisch erwähnt, daß es sich bei etlichen Musikern der Initiative um "hoffnungsvolle Talente von vorgestern" (Frankfurter Rundschau) handele: Frank Zander oder Purple Schulz, von unseliger Schlagermusik ganz zu schweigen - wem wolle man solchen längst ausgestorben vermuteten Horror verordnen? Sollen etwa, fragt Rundfunkmanager Hans Jürgen Kratz so bissig wie an der Sache vorbei, "demnächst italienische Opern auf deutsch gesungen werden?" Oder, so Gernot Romann, NDR-Programmdirektor und Vorsitzender der ARD-Hörfunkkommission: Ist Küblböck Kunst? Weil die Gegenfrage so deutlich auf der Hand liegt, nämlich, ob etwa Britney Spears oder Kylie Minogue sich unter hehre Begriffe wie Kunst und Kultur fassen lassen, wird andernorts an den "mündigen Bürger" appelliert, der die bekannte Peter-Lustig-Maxime verinnerlicht hat: Abschalten.

Allein, der mündige Bürger (von wieviel Prozent der Gesamtbevölkerung darf man hierbei wohl ausgehen?) hat längst abgeschaltet, er bescheidet den Anfragen der GEZ regelmäßig ein "nicht zutreffend" und greift auf seine erlesene CD-Sammlung mit Jazz und Weltmusik zurück. Die Vorstellung einer quotierten Kunst macht ihn leise schaudern, soll doch "Kulturförderung der Ermöglichung von Kunst, nicht deren Verordnung" (Axel Brüggemann in der Welt) bedeuten. Mag die postmoderne Sichtweise die Grenzen zwischen E- und U-Musik auch verschwimmen sehen, festzuhalten bleibt: Die öffentlichen Radioanstalten, von den privaten gar nicht zu reden, dudeln deutlich auf dem Unterhaltungssektor, daran wird und will auch eine Quote nichts ändern. Und eben danach verlangt das Publikum - unterhalten zu werden. Spitzfindig nennt die FAZ es eine Art gerechtfertigten Darwinismus im Kleinen, daß nun mal anglo-amerikanischer Pop bevorzugt würde. Das allerdings ist ein Irrtum: Die Verkaufszahlen von Erzeugnissen deutscher Musiker wie Rammstein, Böhse Onkelz oder auch Laith Al-Deen und Pur - die den Kuschelsektor bedienen - laufen den Vorlieben der Radiomacher deutlich entgegen.

Letztlich nebulös in ihren Forderungen und intern gespalten stellen sich die "Musiker in eigener Sache" selbst dar. Der Terminus "Deutschrock-Quote" trifft das Begehren nämlich nicht wirklich. Postuliert wird, daß fünfzig Prozent des Musikanteils Neueinsteigern gehören solle, von denen wiederum die Hälfte aus deutschen Landen zu kommen haben: Auch diese Musik aber, so räumt Jim Rakete, Sprecher der Initiative ein, dürfe durchaus fremdsprachig dargeboten sein, am Ende solle gar nur die Produktion in Deutschland der gültige Maßstab sein. Dies würde bedeuten, daß ein - bloß angenommener - von Dieter Bohlen produzierter amerikanischer Rapper ebenfalls unter die "Deutschrock-Quote", die damit schwerlich eine solche ist, fallen würde.

Fazit bis hierher: Die Quotengegner rennen an gegen eine befürchtete "Teutonisierung" der Radiomusik, die von den Quotenbefürwortern in keiner Weise gefordert wird.

Die Gegner einer Deutschrock-Quote für die öffentlichen Rundfunksender rennen an gegen eine befürchtete "Teutonisierung" der Radiomusik, die von den Befürwortern einer Quote in keiner Weise gefordert wird.

Hier gilt es, den Gedanken weiterzuführen, den Doris Neujahr vor einiger Zeit in dieser Zeitung (JF 16/04) geäußert hatte: Sie konstatierte im Hinblick auf die politische Person Wolfgang Thierses dessen Quoten-Forderung als Paradox. Es bestehe nämlich, so Neujahr, ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem öffentlichen Verzicht auf die deutsche Sprache und einem deutschen Selbsthaß. Das Ausmerzen all dessen, was deutsche Identität zu konstituieren imstande sei, mache "es von vornherein unmöglich, kulturellen Widerstand gegen die globalen Marktgesetze zu mobilisieren, deren 'Allmacht' Thierse beklagt".

Thierse als Nationalallergiker dient hier als Symbol für die Geisteshaltung maßgeblicher Sprachregler und Germanophoben: "Tagsüber definiert er die Identität seines Landes aus dessen größter Schande, arbeitet er daran, diese in Beton zu gießen und ins Herz der Hauptstadt zu pflanzen, und am Abend echauffiert er sich: Huch, die Deutschen lieben ihre eigene Sprache nicht mehr!" Anders ausgedrückt: Die Vormacht des globalisierten Pop im deutschen Radio ist nur die Ernte aus der Saat, welche die "Generation Thierse" mit Bedacht gesät hat. Die Dominanz des anglo-amerikanischen Immergleichen - etliche Sender haben weniger als 500 Titel in der Rotation - erfüllt hierin durchaus ihre Funktion.

Mit welcher Intention den Radiohörern die Abwendung von deutschen Texten in die Wiege gelegt wird, kommt im infantil anbiedernden Sprachgestus des Grünen-Politikers Rezzo Schlauch zum Ausdruck, dessen "Offenen Brief" die taz jüngst dokumentierte. Die Botschaft ist so nichtssagend wie beredt zugleich: "Wißt ihr, was ich mein Leben geliebt habe an Blues-, Rock- und Popmusik? Sie ist weltoffen und anarchisch, hat die verschiedensten Wurzeln und kommuniziert über Staats- und Kulturgrenzen hinweg." Natürlich findet Schlauch "Formatradio" ebenso "beschissen" wie eigentlich die Globalisierung, aber gehöre nicht gerade "der fröhliche Bastard der Popkultur", "der ungeregelte, untergründige und vielfältige Austausch der populären Musikkultur zum Besten an ihr?"

Weltoffenheit, internationale Polyphonie, grenzenlose Kommunikation: Demgegenüber ist deutscher Sang (Hoffmann von Fallersleben), der im besten Falle etwas von deutscher Eigenart, deutscher Seele ausdrücken würde (dazu braucht man nicht die martialischen Rammstein zu bemühen, auch die Fantastischen Vier und Grönemeyer tun dies), freilich verdächtig.

Der Freiburger Sprachwissenschaftler Ulrich Knoop erklärte diesen Sachverhalt in einem Interview mit der Badischen Zeitung als psychologisches Moment: "Wir holen uns mit den Anglizismen viel Fremdes herein, um uns möglichst reinzuwaschen von der Verantwortung für unsere Geschichte. Je fremder wir uns werden, um so weniger sind wir die Deutschen, die für das Dritte Reich und seine Verbrechen verantwortlich sind."

Beispielhaft sei hier an das Geraune und die mahnenden Aufschreie erinnert, den Paul van Dyk und Peter Heppner mit ihrem - nur von vereinzelten Rundfunksendern gespielten - Dauerbrenner und Verkaufsschlager "Wir sind wir" in den letzten Monaten unter Journalisten und in der Szene auslösten: Ich frag mich, wer wir sind, heißt es da, während der Videoclip den Reichstag zeigt und die Aufschrift "Dem deutschen Volke" zoomt, dann ein zerbombtes Berlin und Kriegskrüppel: Wir sind wir/Aufgeteilt, besiegt und doch/ schließlich leben wir ja noch. Aufbau, später der satte Konsum: Jetzt ist mal wieder alles anders/Und was vorher war, ist nichts mehr wert./ Jetzt können wir haben, was wir wollen,/ Aber wollten wir nicht eigentlich viel mehr?

Das Lied steht seit Wochen auf den obersten Rängen der nationalen Hitlisten. Natürlich müßten die öffentlich-rechtlichen Anstalten dem auch aufgrund der durch die GEZ eingezogene Quasi-Kopfsteuer Rechnung tragen. Natürlich dürfte der Staat eine Quote verfügen, mittels derer dem Hörer die gesamte Bandbreite des Schaffens deutscher Künstler dargeboten wird. Allein, er wird das Interesse nicht haben.

Ein gelegentlich schon vorgebrachtes "Argument" mag den Quoten-Befürwortern dabei letztlich das Bein stellen: Man reihe sich damit ein in den Maßnahmenkatalog der NPD.

 

Ellen Kositza, Jahrgang 1973, ist von Beruf Lehrerin, Mutter von vier Kindern und langjährige JF-Autorin.

Foto: Die deutsche Pop-Sängerin Maricel im Tonstudio: Die junge Künstlerin aus Hannover hofft auf ihren großen Durchbruch. Eine Radioquote für Musik aus Deutschland könnte ihren Erfolg beschleunigen. Daß sie ihre Lieder auf englisch singt, wäre dabei kein Hindernis.


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