© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/04 08. Oktober 2004

Frisch gepresst

Zehm. Keine Zeit so philosophiefern wie heute. Weshalb? Drei Gründe. Erstens tendieren moderne Systeme, hochselektiv, dazu, Erfahrung zu fragmentieren, uns im Einzelnen zu ersäufen, so ist es mit dem Motor des Denkens, gedanklicher Synthesis, aus. Zweitens diktiert der Markt das neue Weltgesetz. Für ihn muß sich alles rechnen, auf seine Funktionalität beziehen. Alles wird radikal "praktisch". Das schließt "Weisheit um ihrer selbst willen" aus. Drittens hat sich seit dem Scheitern der APO grassierender Positivismus, seit der Wende vollends ein Skeptizismus des Wissensbetriebs bemächtigt, der ideelle Besinnung sogleich als haltlos "dekonstruiert", den Ruin "starken Denkens" als "Preis" einer fatalen Moderne rühmt. Jetzt wird's heroisch für den Gedanken: Wie aus Realitätsschutt und bloßer Information Erkenntnis wieder aufzubauen sei! Wo sie gewinnen? Eine Antwort gibt Günter Zehms neues Buch. "Eros und Logos" verstehen sich als Synonyma der "Philosophie", eines Denkens also, das Geist und Idee selbst meint, Reflexion zur hohen Kultur erhebt. Dieses Paradigma verdanken wir Athen. Hier sichtet der Autor das "kulturelle Erbe Europas", die "Ursprungserzählung". Entfaltet wird nun "Eine Geschichte der antiken Philosophie", deren Grundworte als Bausteine und Muster das Abendland bis heute durchziehen. Christentum, Demokratie, Naturwissenschaft: nicht denkbar ohne sie. 15 Abschnitte führen die Betrachtung bis zum Auftritt der Kirche. So spannt der Bogen sich von früher Sprachfindung, logischer Durchdringung von Welt und Erfahrung, bis zur "Ankunft des einen Gottes". Zehm treibt nicht konventionelle Philosophiegeschichte, entwickelt die Prinzipien vielmehr "in praktischer Absicht". Hellas und Heute komplex vernetzend, interpretiert er Tradition interdisziplinär und literarisch meisterhaft (Edition Antaios, Schnellroda 2004, 319 Seiten, Leinen, gebunden, 25 Euro).

 

Meer als Nahrungsquelle. Um die Weltmeere ist es schlecht bestellt. Der Mensch hat das Wohl seiner größten Nahrungsquelle längst aus den Augen verloren. Nun ist die See in Not, und folgt man dem gleichnamigen Buch von Hans-Peter Rodenberg, werden wir die letzte Generation sein, die ohne Unterlaß aus dem einst für unerschöpflich gehaltenen Reichtum der Meere schöpfen kann. Das Buch bietet eine umfangreiche Bestandsaufnahme, die mittels anschaulicher, weil reich bebilderter Reportagen zeigt, wie ernst es um die Weltmeere und ihre Bewohner steht. Der Bogen reicht von der Aufzucht heimischer Hummer vor Helgoland über das Werden der Fischstäbchen bis hin zum Kampf um die Korallenriffe. So erschütternd die Bestandsaufnahme auch ausfällt, zeigt das Buch auch Wege zu einer schonenderen Nutzung der Ozeane. Rodenberg ist sich sicher, daß noch Zeit zur Umkehr ist, etwa wenn das Wettfischen der Fischerei-Flotten durch den kontrollierten Ausbau von Aquakulturen abgelöst wird (See in Not. Marebuchverlag, Hamburg 2004, 204 Seiten, gebunden, 29,90 Euro).


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