© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/04 22. Oktober 2004

"Seinen Antworten fehlte jegliche politische Vision"
Europäische Union: Ideologischer Streit um den designierten italienischen EU-Kommissar Rocco Buttiglione / Mangelnde Fachkompetenz bei László Kovács
Alexander Barti

Die Ausrichtung der Europäischen Union dürfte inzwischen klar sein: Christliche Werte sind nicht erwünscht. Die Debatte um einen Bezug auf "christliche Wurzeln" hat dies offenbart. Zumal sich auch die EU-Bürgerlichen, die sich im EU-Parlament (EP) mehrheitlich in der Fraktion der Europäischen Volkspartei und der Europäischen Demokraten (EVP-ED) zusammengeschlossen haben, nur zum Teil auf das Christentum beziehen. Die EVP-ED-Parteien, wozu CDU, CSU und ÖVP, aber auch die britischen Tories oder Silvio Berlusconis Forza Italia zählen, sind inzwischen in hohem Maße "liberalisiert". Nicht nur in Deutschland haben die Unionschristen ihr "C" an den Nagel gehängt.

In welcher ideologischen Schieflage sich Europa befindet, sieht man gerade bei den Schauläufen der designierten EU-Kommissare László Kovács und Rocco Buttiglione. Der ungarische Wendekommunist Kovács spricht zwar fließend Englisch und Russisch - doch in dem ihm zugedachten EU-Energieressort ist er völlig ahnungslos. In den Medien wird aber seit vergangener Woche als eigentlicher Skandal die private Meinung des designierten EU-Innenkommissars Buttiglione zu Sexualität, Ehe und Familie gewertet.

Der italienische Christdemokrat hatte bei seiner Anhörung im EP-Ausschuß für Grundrechte gesagt: "Ich mag der Meinung sein, daß Homosexualität eine Sünde ist, und dies hat keine Auswirkung auf die Politik - es sei denn, ich sage, Homosexualität ist ein Verbrechen. Genauso haben Sie die Freiheit, mich für einen Sünder in fast jeder Hinsicht zu halten, und dies hat keinerlei Auswirkung auf unser Verhältnis zueinander als Bürger. Niemand kann auf der Basis sexueller oder geschlechtlicher Orientierung diskriminiert werden, so steht es in der Menschenrechtscharta und in der Verfassung, und ich schwöre, dieses Recht zu schützen."

In den Medien wurde nur verkürzt wiedergegeben, Buttiglione halte Homosexualität für eine Sünde - deshalb dürfe er nicht EU-Kommissar werden. Daß Buttiglione ebenfalls gesagt hatte: "Ich denke, die Rechte der Homosexuellen sollten auf der gleichen Grundlage verteidigt werden wie die Rechte aller anderen europäischen Bürger", das ging im Medieneinerlei unter.

Auch Buttigliones traditionelle Sicht der Ehe wurde ihm zur Last gelegt. Er hatte gesagt: "Das englische Wort 'marriage' kommt aus dem Lateinischen und hat die Grundbedeutung 'Schutz der Mutter'. Also existiert die Ehe, damit Frauen Kinder haben können und den Schutz eines Mannes haben, der sich um sie kümmert." Daß er aber hinzufügte: "Ich bin gegen Diskriminierung, und ich meine, daß alle Menschen dieselben Rechte genießen müssen, ob sie homosexuell oder heterosexuell oder was es sonst noch so gibt sind", das wurde in der Diskussion völlig ausgeblendet.

Daß Buttigliones Ansichten fast deckungsgleich mit dem Katechismus der Katholischen Kirche sind, wird kaum erwähnt. Die fachliche Kompetenz des früheren italienischen Europaministers wird hingegen von niemandem bezweifelt. Über den Papstberater Buttiglione werden inzwischen seitenlange "Steckbriefe" veröffentlicht - über Kovács schweigt man sich aus. Dabei lohnt sich auch hier ein Blick in den Lebenslauf.

Die Fehlbesetzung des Kommissariats für Energie und Forschung durch den Magyaren Kovács beginnt damit, daß er nie diesen Posten haben wollte. Der 1939 in Budapest geborene Politiker durchlief eine klassische Karriere in der "gulaschkommunistischen" Kadár-Diktatur: In bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen, kämpfte er sich über diverse Pöstchen in den Organisationen der Volksrepublik nach oben. In der Wendezeit schaffte er es bis zum stellvertretenden Außenminister unter Gyula Horn. Dafür bekam er höchste kommunistische Auszeichnungen wie etwa den "Sternorden der Volksrepublik" oder den "Arbeiterorden" in Gold.

Nach 1990 knickte seine Karriere vorübergehend ein, bis er 1994 - nach dem Wahlsieg der Sozialisten (MSZP) - Außenminister wurde. 1998 warf ihn der Wahlsieg der Bürgerlichen wieder aus der Bahn. Vor den Wahlen 2002 hatte er lange für eine Nominierung zum Premier gekämpft, doch die MSZP-Strategen sahen ganz richtig, daß der hölzern wirkende Apparatschik Kovács keine Chance hätte gegen den jugendlich-forschen Viktor Orbán. Kovács mußte sich mit dem MSZP-Vorsitz begnügen. Der "parteilose" Banker Péter Medgyessy, der in seiner väterlichen Art vor allem für ältere Wähler anziehend wirkte, wurde Regierungschef. Kurz nach dem Wahlsieg kam heraus, daß "Onkel Péter" Offizier der ungarischen Staatssicherheit (Deckname D-209) war (JF 27/02).

Schon damals keimte der Verdacht, Kovács habe diese Information, die nur aus intimsten KP-Kreisen stammen konnte, der Presse zugespielt, um Medgyessy zu beerben. Doch "D-209" blieb standhaft, Kovács Außenminister. Seither arbeitete er darauf hin, wenigstens Staatspräsident zu werden. Der Staatspräsident wird in Ungarn vom Parlament gewählt. Nach dem noch amtierenden Bürgerlichen Ferenc Mádl wäre nun erneut ein Linker am Zuge.

Doch nach der herben Niederlage der Sozialisten bei den EU-Wahlen 2004 verkündete Parteichef Kovács, er werde nicht mehr für das Amt kandidieren. Um das Gesicht nicht zu verlieren, blieb als einziger Ausweg, Kovács einen hohen Posten in Brüssel zu verschaffen. Damit hätte man den verdienten Genossen elegant "entsorgt". Doch was früher problemlos möglich war, die Besetzung wichtiger EU-Ämter mit abgehalfterten Politikern, wird nun nicht mehr ohne Widerstand hingenommen.

Bei der Anhörung der zukünftigen Kommissare am 1. Oktober in Brüssel erklärten der luxemburgische und die deutsche EU-Abgeordnete der Grünen, Claude Turmes und Rebecca Harms: "László Kovács' Anhörung war geradezu eine Beleidigung für das Europäische Parlament. Er war sehr schlecht beraten, sich den Fragen so unvorbereitet zu stellen. In seinen Antworten fehlte jegliche politische Vision für die europäische Energiepolitik; zudem ließ er einen Mangel an grundlegendem technologischem Verständnis erkennen." Die Grünen fürchten, Kovács könnte durch sein Unwissen der "Atom- und Kohlelobby hilflos ausgeliefert sein".

Auch der Industrieausschuß bestätigte die Sorgen der Grünen, wie ein Brief desselben an EU-Parlamentspräsident Josep Borrell Fontelles - einen spanischen Sozialisten - dokumentiert. Der britische Ausschuß-Chef Giles Bryant Chichester betont, daß Kovács nicht überzeugen konnte. Sein berufliches Wissen und seine Fachkenntnisse im Energiebereich wurden als unzureichend eingestuft. "Außer den Sozialisten haben alle politischen Fraktionen ihre Ablehnung von László Kovács als künftigen Energiekommissar deutlich gemacht", erklärte die Grünen-Politikerin Harms. Kovács fehle "jede Vision in der Energiepolitik und jedes Grundwissen in der Materie". Es sollte ein Kandidat gefunden werden, der "sich nicht erst von Grund auf einarbeiten" müsse. Die sozialdemokratischen EU-Parlamentarier meinen jedoch, daß Kovács noch "lernen" werde. Dagegen warnte der CDU-Abgeordnete Herbert Reul: "Einen Kommissar auf Probezeit können wir uns nicht leisten."

Doch die eigentliche Gefahr für Kovács ist nicht seine Unwissenheit, sondern der andere Kandidat, der ebenfalls von dem zuständigen Ausschuß abgelehnt wird. Bisher hatte man erwartet, der Konservative Buttiglione bekomme die Unterstützung der Linken, so daß die EVP-ED dafür Kovács ihren Segen gibt. Dieser Kuhhandel scheint nun nicht mehr möglich.

Das Europäische Parlament stimmt am 27. Oktober über die Kommission unter José Manuel Barroso insgesamt ab, sie kann sich dabei also nicht gegen einzelne Mitglieder aussprechen. Die Sozialisten/Sozialdemokraten stellen 200 der 732 EU-Abgeordneten und sind nach der 268 Mitglieder zählenden EVP-Fraktion stärkste Gruppierung. Nicht zuletzt wegen des Streits um Buttigliones umstrittene Äußerungen zur Stellung der Frau in der Gesellschaft sowie zu gleichgeschlechtlichen Partnerschaften haben Grüne (42 Abgeordnete), die Vereinigte Europäische Linke (41 Abgeordnete), sowie Teile der Liberalen (88 Abgeordneten) ein negatives Votum ins Auge gefaßt. Das hieße, die Barroso-Mannschaft könnte komplett abgelehnt werden und nicht wie geplant am 1. November mit der Amtsführung beginnen. Für Kovács, dem die Rückkehr in die nationale Politik praktisch unmöglich ist, wäre das ein persönlicher Super-GAU.

Foto: Designierte EU-Kommissare Buttiglione (l.), Kovács (o.): Verdiente Genossen in Brüssel "entsorgt"


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