© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 46/04 05. November 2004

Der Staat war pleite
Wirtschaftlich war die "neuntgrößte Industrienation" schon lange am Ende
Wolfgang SeiffertJF-Leser und Zeitzeugen berichten

Lange Zeit galt die DDR im 1949 in Moskau gegründeten Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) als besonders starker Partner. Und im Westen glaubte man der Propaganda, die DDR (seit 1950 im RGW) sei die zehntstärkste Wirtschafts-"Nation" im Weltmaßstab. Doch schon lange vor ihrem Untergang war die DDR ökonomisch pleite und wurde von einem Lieferanten von Industrieerzeugnissen hoher Qualität (wie Pharmaka, Container-Schiffe, Fisch-Trawler, Eisenbahnen) und technischer Hochentwicklungen (etwa vom Traditionsunternehmen Carl Zeiss Jena) für die Sowjetunion zu einer wirtschaftlichen Last.

Die Ursachen lagen in den allgemeinen system-immanenten Mängeln des zentralistischen Planungsystems, aber auch in einigen Besonderheiten der Lage und in der Politik. Speziell ab 1971, als Erich Honecker die Führung der SED - und damit faktisch des Staates DDR - übernommen hatte.

Die DDR lebte wirtschaftlich jahrelang von der Substanz

Hauptursache für die Abschwächung des Wachstumstempos der DDR-Wirtschaft seit 1986 war der Rückgang der produktiven Akkumulation: die Honecker-Führung versuchte durch eine ausgebaute Sozialpolitik die Bevölkerung ruhigzuhalten. Doch infolgedessen wurde mehr verbraucht, als die DDR-Wirtschaft erzeugte - die DDR lebte von der Substanz.

Die Finanzierung erfolgte über eine immer höhere Verschuldung bei westlichen Industriestaaten. Der 1983 vom damaligen CSU-Chef und bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß eingefädelte Milliardenkredit war nur die Spitze des Eisbergs. Gleichzeitig stiegen die Ausgaben für die Rüstung und andere Maßnahmen der Machtsicherung des SED-Regimes. Die Ausgaben für die Streitkräfte stiegen 1988 auf 15,6 Milliarden Mark der DDR; die Ausgaben für die Staatssicherheit auf sechs Milliarden Mark der DDR.

Die DDR war gleichzeitig völlig abhängig von sowjetischem Erdöl, doch die Preise hierfür stiegen - wenn auch zeitlich gegenüber dem Weltmarkt verzögert - unaufhaltsam an. Da die DDR die Rohstofflieferungen nicht mehr oder nicht mehr in voller Höhe bezahlen konnte, wuchs auch die Verschuldung gegenüber der Sowjetunion. Moskau aber wurde Anfang der achtziger Jahre immer unwilliger, die Kosten zu stunden. Auch andere Rohstoffe und Güter waren im RGW knapp und mußten daher für Devisen im westlichen Ausland bezogen werden - mangels weltmarktfähiger Exportgüter auf Kredit.

Ohne Zweifel hat diese Situation dazu beigetragen, daß in der Führung der Sowjetunion Überlegungen einsetzten, was besser sei: die DDR zu behalten, aber teuer zu subventionieren oder aber die DDR - gegen ökonomische Vorteile aus dem Westen - in den Prozeß der Wiedervereinigung einzubringen. Führende Mitarbeiter der Sowjetischen Akademie der Wissenschaften hatten schon frühzeitig die Sowjet-Führung immer wieder darauf hingewiesen, daß die DDR in ein ökonomisches Desaster abgleite. Als im Oktober 1989 der letzte SED-Chef Egon Krenz eine "ungeschminkte" Bestandsaufnahme verlangte, bekam er dramatisches zu lesen: Der Verbrauch in der DDR war wieder schneller als die eigene Produktion gestiegen. Die Verschuldung im "nichtsozialistischen Wirtschaftsgebiet" (NSW/sprich: im westlichen Ausland - vor allem Japan - und der damaligen Bundesrepublik) hatte sich 1989 auf 49 Milliarden D-Mark erhöht. Die dem SED-Generalsekretär berichtenden DDR-Ökonomen rechneten zugleich aus, daß allein ein Stoppen des Schuldenanstiegs im Jahr 1990 eine Senkung des Lebensstandards der DDR-Bevölkerung um 25 bis 30 Prozent zur Folge haben müßte. Dieser Weg konnte angesichts der Fluchtbewegung über die Tschechei und Ungarn und der "Wende-Stimmung" natürlich nicht eingeschlagen werden.

Die Verschuldung im Westen wurde immer größer

Und so versuchte man wie in den vorangegangenen Jahren, durch neue Kredite im Westen und durch Zwangsexporte von Antiquitäten und Häftlingsfreikauf über die Runden zu kommen. Doch auch dies mißlang und mußte mißlingen. Die DDR kam aus der Krise nicht heraus, ihre Verschuldung im Westen wurde immer größer, und die gegenüber der Sowjetunion und anderen RGW-Staaten stieg ebenfalls an.

In einer "Geheimen Kommandosache" (b5-1111/89) vom September 1989 kamen die führenden Wirtschaftsfachleute der DDR zu dem Schluß, daß der DDR die Zahlungsunfähigkeit droht - mit der Folge, daß vom Westen keine Kredite mehr zu erhalten sein werden. "Die jährliche Kreditaufnahme der DDR liegt bei acht bis zehn Milliarden VM ("Valuta-Mark"/DM). Das ist für ein Land wie die DDR eine außerordentlich hohe Summe, die bei ca. 400 Banken jeweils mobilisiert werden muß. (...) Auf Grund der bereits jetzt hohen Kreditaufnahmen sind die Banken nicht bereit, diese Limite für die DDR wesentlich zu erhöhen", heißt es in der Analyse vom 28. September 1989.

Natürlich hätte es in der Jahren zuvor einen Ausweg gegeben: eine Reform des zentralistischen Wirtschaftssystems hin zu mehr Selbständigkeit der Produktionsbetriebe und zu einer Marktwirtschaft. Die in Moskau begonnene Politik der "Perestroika" unter KpdSU-Generalsekretär Michail Gorbatschow hätte hierzu eine günstige Möglichkeit geboten. Doch bekanntlich lehnte die Honecker-Führung einen solchen Weg ab. Schon unter SED-Chef Walter Ulbricht war mit dem "Neuen ökonomischen System" in den sechziger Jahren ein solcher Weg begonnen worden. Doch wegen des Widerstandes solcher Kräfte in der SED-Führung wie Honecker mußte dies abgebrochen worden. Zudem war bei nüchterner Analyse klar, daß ein solcher Weg in der DDR nur dann gangbar war, wenn er mit dem Ziel der Wiedervereinigung verbunden war. Denn warum sollten zwei oder mehr gleichartige deutsche Marktwirtschaften nebeneinander in zwei Staaten bestehen? Es war wohl nicht zuletzt diese unvermeidliche Logik, die für die Honecker-Führung einen solchen Weg ausschloß, ohne zu begreifen, daß sie damit nur den Weg in den Untergang der DDR bereiteten.

In der DDR gab es Millionen von Hochqualifizierten

Trotzdem wäre es falsch, zu behaupten, die DDR-Wirtschaft sei bei der Wiedervereinigung 1990 nur ein ökonomischer Trümmerhaufen gewesen. Es gab Millionen hochqualifizierter Facharbeiter, Techniker, Ingenieure, und Erfinder sowie auch einige wenige spezialisierte und konkurrenzfähige Betriebe. Die Elektrolokomotiven der DR-Baureihe 243 aus dem Lokomotivbau und elektrotechnische Werke Hennigsdorf (LEW) - heute bei der Deutschen Bahn (DB) als 112/143 im Einsatz - sind nur ein Beispiel dafür. Angesichts dessen hätte ein Teil der DDR-Wirtschaft durchaus ein Gewinn für die gesamtdeutsche Wirtschaft sein können. Doch das ist schon ein anderes Thema.

 

Prof. Dr. Wolfgang Seiffert war in der DDR Direktor des Instituts für ausländisches Recht und Rechtsvergleichung sowie Vorsitzender des Arbeitskreises Internationales Wirtschaftsrecht. Er vertrat die DDR im der Rechtsberatung des RGW in Moskau.


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