© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/04 12. November 2004

Freihändig am Ruder
George W. Bushs Wiederwahl macht die Scheidung von Europa endgültig
Alain de Benoist

John Kerrys Niederlage war zugleich die Niederlage der Weltöffentlichkeit, die in ihrer großen Mehrheit mehr oder weniger offen auf einen Sieg des demokratischen Präsidentschaftskandidaten gehofft hatte. Überraschend kam diese Niederlage jedoch nicht.

George W. Bush ist am 2. November nicht nur von der "religiösen Rechten" im Amt bestätigt worden, die unermüdlich von "moralischen Werten" spricht und ganz offenkundig Gott mit Amerika verwechselt. Für ihn stimmten auch die Menschen im "Herzen" Amerikas, in den Südstaaten und dem Mittleren Westen. Sie wählten ihn nicht etwa trotz, sondern gerade wegen seines brutalen Regierungsstils und seiner sichtlich beschränkten intellektuellen Fähigkeiten.

Die amerikanische Gesellschaft ist eine zunehmend gespaltene und atomisierte, voller Ungewißheiten und Ängste. Mit seiner religiösen Überzeugung, seiner manichäischen "Gut und Böse"-Philosophie, seiner simplen Weltsicht fand Bush Resonanz bei einer Wählerschaft, der jegliche politische Kultur abgeht, die sich ganz offensichtlich lieber von einem Menschen regieren läßt, in dem sie sich wiedererkennt, als von einem allzu "gebildeten" Ostküsten-Demokraten.

Die eigentliche Frage ist nun, ob Bush den in seiner ersten Amtszeit eingeschlagenen Weg weitergehen wird. Manche glauben, er könnte aus reinem Pragmatismus zu einer "realistischeren" Außenpolitik zurückkehren, sich seinen Verbündeten gegenüber weniger arrogant verhalten und sich insgesamt ein wenig zu mäßigen. Tatsächlich wird sehr wahrscheinlich das Gegenteil der Fall sein.

Nachdem er mit einem Vorsprung von über drei Millionen Stimmen vor seinem Konkurrenten wiedergewählt wurde und seine Partei sowohl im Repräsentantenhaus wie im Senat gestärkt aus den Wahlen hervorging, hat Bush nun freie Hand. Deswegen kann man davon ausgehen, daß sich die Konturen seiner ersten Amtsperiode in der zweiten eher noch deutlicher ausprägen werden. In seinen Wahlkampfansprachen hat der amerikanische Präsident daraus im übrigen kein Hehl gemacht: Sein Sieg legitimiert seiner Ansicht nach eine Politik, die die traditionellen Bündnisse seines Staates außer Kraft setzt und ihn der Verpflichtungen des Völkerrechts enthebt.

Nach Meinung der allermeisten Beobachter ist nicht mit einer transatlantischen Versöhnung zu rechnen. Statt dessen scheint sogar eine endgültige Scheidung wahrscheinlich. Man denke zum einen an die negative und verächtliche Sicht, die derzeit in den USA gegenüber Europa vorherrscht, und zum anderen an die vielen wichtigen Fragen, in denen zwischen Amerikanern und Europäern Uneinigkeit herrscht - sei es hinsichtlich Irak und Iran, des Nahen Ostens, Chinas oder der Maßnahmen zur Verhinderung einer Klimakatastrophe. Die amerikanische Regierung betrachtet Europa mit neuem Mißtrauen und seine politische Vereinigung als Gefahr, zumal dem Versuch Donald Rumsfelds, einen Keil zwischen "alte" und "neue" Europäer zu treiben, nicht der erhoffte Erfolg beschert war, wie Spaniens Kehrtwende an die Seite Frankreichs und Deutschlands zeigte.

Mit Bushs Wiederwahl wird sich die transatlantische Kluft nur noch vertiefen. Sie bestätigt, wie weit sich die USA schon jetzt von Europa entfernt haben: Erstere sehen ihre Sicherheit als Problem, das sie mit Gewalt lösen wollen, in der Hoffnung, eine Hegemonie über den Rest der Welt zu erzwingen. Europa hingegen strebt eine eher multipolare Welt an, in der die Grundsätze des Völkerrechts noch Gültigkeit besäßen. Also betreiben die USA die Spaltung und Erweiterung Europas, um seine Auflösung und Lähmung zu provozieren.

Sehr wahrscheinlich ist auch, daß die USA sich weigern werden, das Totalversagen ihrer Politik der Invasion und Okkupation im Irak einzugestehen. Dieses Scheitern ist schon jetzt durch den Tod von über 100.000 irakischen Zivilisten (sowie 1.200 amerikanischen Soldaten), die Herrschaft des völligen Chaos und die Tatsache besiegelt, daß sie dem Terrorismus, den sie doch bekämpfen wollten, täglich neue Handlungsmotivationen schaffen.

Zudem steht zu befürchten, daß die Bush-Regierung sich nun erst recht in militärisch-moralische Abenteuer stürzt, anstatt zu einer Realpolitik à la Henry Kissinger zurückzufinden. Obwohl die USA sich strategisch in einer sehr schwachen Position befinden, da 140.000 ihrer Soldaten im Irak festsitzen, ist keineswegs auszuschließen, daß sie die Riesendummheit begehen werden, dem Drängen Israels nachzugeben und sich auf einen Krieg mit dem Iran einzulassen.

Die ersten Nominierungen für das zukünftige Kabinett, vor allem für die Posten des Außen- und Verteidigungsministers, werden daher aufschlußreich sein. Eine mögliche Ersetzung Colin Powells durch einen Falken wie John Danforth, derzeit Botschafter bei der Uno, oder die jetzige Nummer zwei im Pentagon, Paul Wolfowitz, wäre ein deutliches Signal, daß die USA keinerlei Absicht haben, ihren Kurs zu ändern - ganz im Gegenteil.

Der "Bushismus", die Synthese aus traditionellem, amerikanischen Isolationismus und neokonservativem Imperialismus, muß langfristig scheitern, aber noch ist es nicht soweit. Zumindest haben die Amerikaner das Verdienst, global zu denken - "die Welt zu denken", wie man auf französisch sagt -, während die Europäer davon nur in seltenen Momenten träumen.


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen