© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/04 12. November 2004

Christliche Werte und neuer Patriotismus
USA IV: Dem russischen Präsidenten Wladimir Putin ist George W. Bush der verläßlichere und berechenbarere Partner
Wolfgang Seiffert

Während viele Politiker Europas sich zwar nach der Wiederwahl des amerikanischen Präsidenten auf vier weitere Jahre George W. Bush einstellen, davon aber nicht gerade begeistert sind, setzte der russische Präsident Wladimir Putin von vornherein auf den Amtsinhaber.

Beim Besuch des italienischen Premiers Silvio Berlusconi in Moskau formulierte Putin noch mit Konditionalsatz, "wenn Bush wiedergewählt wird, gratulieren wir ihm und freuen uns, daß der Dreck, mit dem er beschmiert wurde, nicht an ihm hängengeblieben ist". Nachdem die Wiederwahl feststand, erklärte Putin mit offener Genugtuung, er freue sich darüber, daß das amerikanische Volk sich von Terroristen nicht habe einschüchtern lassen, sondern eine angemessene Wahl getroffen habe.

Schon zuvor hatte Putin sich dahingehend geäußert, daß die Terroristen - vor allem im Irak - versuchten, die Wiederwahl Bushs zu verhindern. Putin sah in der "sensationellen Anti-Bush-Erklärung Bin Ladens" den besten Beweis für seine These. Er lobte den "starken Charakter" Bushs, der ein "verläßlicher und berechenbarer Partner" sei. Zugleich erinnerte Putin daran, daß sich trotz mancher Meinungsverschiedenheiten die russisch-amerikanischen Beziehungen in den vier Jahren der ersten Amtszeit des US-Präsidenten sehr verbessert haben.

Zweifellos geht es Putin um den "gemeinsamen Kampf gegen Terrorismus" - der USA im Irak und Rußlands in Tschetschenien und anderswo im Kaukasus. Der neue alte US-Präsident hat denn auch in seiner ersten Rede nach seiner Wiederwahl in das gleiche Horn gestoßen und angekündigt, er wolle die Welt im Kampf gegen den Terrorismus vereinen. Dennoch muß man sich fragen, warum Putin sich so eindeutig auf die Seite Bushs stellt, lautet dessen Tenor nicht nur Kampf gegen den Terrorismus, sondern auch "Verbreitung von Demokratie und Freiheit" überall in der Welt. Was nur schlecht verhüllt, daß es sich dabei um die hegemoniale Ausdehnung von USA-freundlicher Regierungen handelt. Jüngstes Beispiel sind die Versuche amerikanischer Förderung einer westlich orientierten Opposition bei den Präsidentenwahlen in der Ukraine (JF 46/04).

Gemeinsamkeiten im "Kampf gegen den Terrorismus"

Putin ist natürlich nicht so dumm, diese zweite Seite der US-Politik nicht zu sehen und ihr entgegenzutreten. Auch dies zeigte sich am Beispiel der Ukraine, wo Putin während des dortigen Wahlkampfes sehr geschickt auftrat.

Doch Putin geht es um eine grundsätzliche Position. Er weiß, um wie vieles und auf wie vielen Gebieten Rußland schwächer ist als die USA, und handelt nach dem Grundsatz: "Kannst du den Gegner nicht schlagen, mußt du dich mit ihm vereinen." Und er hofft, daß diese "Vereinigung im Kampf gegen den Terrorismus" ihm nicht nur dabei im eigenen Land hilft, sondern ihm auch ermöglicht, die andere Seite der amerikanischen Weltpolitik wenigstens zurückzudrängen. Für diese Position hat Putin unmittelbar nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 stundenlang im russischen Sicherheitsrat gekämpft - und sich gegen erheblichen Widerstand durchgesetzt.

Bushs Wahlsieg kann Putin in dieser Position nur bestärken und verschafft ihm zugleich das Ansehen, daß er "auf das richtige Pferd" gesetzt hat. Diese grundsätzliche Position ist wichtiger als solche Nebenschauplätze wie, daß der gescheiterte Herausforderer John Kerry vielleicht in Menschenrechtsfragen gegenüber Rußland sensibler gewesen wäre als Bush.

Sicher kann Putin seine Pläne zur Umgestaltung des russischen Staates unter dem Aspekt des Kampfes gegen die terroristische Bedrohung gegenüber Bush viel leichter begründen als gegenüber Kerry. Doch es gibt noch andere, manchmal erstaunliche Parallelen zwischen Putin und Bush.

Rußland ist nicht nur wie die USA ein riesengroßes Land mit über 150 Millionen bzw. 290 Millionen Einwohnern. Beide Präsidenten versuchen, ihre Bevölkerung mit "neuen Werten" zu erfüllen - Bush mit denen einer christlichen Religion, Putin mit einem neuen Patriotismus. Beide Präsidenten eroberten bei den Wahlen auch die Mehrheiten in den Volksvertretungen - Putin in Duma und Förderationsrat, Bush in Repräsentantenhaus und Senat. Beide regieren bis zum Jahr 2008 und müssen schon jetzt daran denken, einen Nachfolger zu profilieren, der dann an ihre Stelle tritt. Die US-Verfassung läßt ebenso wie die russische keine dritte Amtszeit eines Präsidenten zu.

Die Bewährungsprobe für die Putinsche Position aber steht bevor. Denn alle Hoffnungen, etwa vieler westeuropäischer Politiker, Bush werde in seiner zweiten Amtszeit flexibler, geschmeidiger, entgegenkommender sein, könnten auf Sand gebaut sein. Bush hat eindeutig erklärt, man werde den Kampf gegen den Terror kompromißlos bis zum Ende führen. Was das konkret bedeutet, ist offen. Es muß nicht unbedingt ein neuer Krieg (Iran, Syrien) sein. Schon das "Weiterführen" oder "Zu-Ende-Führen" des Krieges im Irak bzw. im Kaukasus enthält genügend Sprengstoff.

 

Prof. Dr. Wolfgang Seiffert war Direktor des Instituts für osteuropäisches Recht in Kiel und lehrt jetzt am Zentrum für deutsches Recht der Russischen Akademie der Wissenschaften in Moskau. Er verfaßte das Buch "Wladimir W. Putin - Wiedergeburt einer Weltmacht?"


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