© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/04 12. November 2004

Ich bin doch der Dorftrottel
Ein zynischer Provokateur: Der ermordete Theo van Gogh eckte in seinem Leben oft an
Jerker Spits

Der letzte Woche von einem radikalen Muslim auf offener Straße im Grachtenviertel von Amsterdam ermordete niederländische Filmemacher Theo van Gogh galt als Provokateur pur sang. Seine Respektlosigkeit war beinahe legendär. In den letzten Jahren machte der Regisseur, der gerade die Dreharbeiten für einen Film über den Mord an Pim Fortuyn beendet hatte, vor allem durch islamkritische Meinungsäußerungen von sich reden.

Nach einem abgebrochenen Jurastudium begann der 1957 in einem wohlhabenden Elternhaus geborene Van Gogh, ein Urgroßneffe des Malers, seine Karriere als Filmemacher ohne professionelle Ausbildung. Anfang der achtziger Jahre drehte er mehrere Low-Budget-Filme. Sein Debüt "Luger" über die Entführung einer Millionärstochter wurde von der Kritik gelobt, aber es dauerte lange, bis Van Gogh als Regisseur einem größeren Publikum bekannt wurde. Viele niederländische Kinoketten lehnten seine Filme ab, weil sie keine Aussicht auf kommerziellen Ertrag sahen.

Größeren Erfolg erreichte Van Gogh mit seinen Literaturverfilmungen. So verfilmte er Romane der niederländischen Schriftsteller Jan Wolkers (Terug naar Oegstgeest) und Joost Zwagerman (Vals Licht). Letzterer schildert die Liebesgeschichte eines jungen Studenten mit einer Prostituierten. Im Ausland konnte das Enfant terrible der niederländischen Filmszene nicht reüssieren.

Van Gogh drehte seine Filme meist ohne Subventionen und war deshalb auf Hilfe von privaten Investoren oder eigene finanzielle Mittel angewiesen. Deswegen arbeitete er manchmal auch für das private niederländische Fernsehen, das er eigentlich verabscheute. So machte er für den Fernsehsender Veronica eine Art Datingshow, die nicht nur Van Goghs Feinde als geschmacklos bezeichneten. Teilnehmer wurden vor allem nach ihrem intimen Sexualverhalten gefragt. In seiner Rolle als Interviewer für den Amsterdamer Sender AT5 hingegen trat Van Gogh auffällig sensibel und einfühlsam auf.

Nachdem im August Van Goghs Kurzfilm "Submission" im staatlichen niederländischen Fernsehen ausgestrahlt wurde, bekam Van Gogh wiederholt Morddrohungen von erbosten Islamisten. In dem Film sind nackte Frauenkörper zu sehen, die mit frauenfeindlichen Textstellen aus dem Koran beschrieben sind. Das Drehbuch hatte die aus Somalia stammende liberale Abgeordnete Ayaan Hirsi Ali geschrieben.

In letzter Zeit beschäftigte sich Van Gogh immer mehr mit aktuellen politischen Themen. Erst vor einem Monat feierte sein Film "Cool" Premiere, der sich mit der Problematik von jugendlichen Kriminellen auseinandersetzt. Für die Hauptrollen engagierte Van Gogh keine Schauspieler, sondern junge Marokkaner aus einer Amsterdamer Strafanstalt. Sie bezeichneten die Zusammenarbeit mit dem oft launischen Regisseur als "echte Erfahrung".

Van Gogh hat in seinem Leben unzählige Leute beleidigt, oft auf geschmacklose Weise. Die Schauspielerin Monique van der Ven beschied er nach dem Tod ihres Sohnes: "Sei froh. Dein Sohn ist nicht umsonst gestorben. Jetzt kannst du noch jahrelang mit deinen Erinnerungen auf Tour gehen."

Gerade hatte Van Gogh die Dreharbeiten für den Film "0605" über den im Mai 2002 ebenfalls auf offener Straße erschossenen Pim Fortuyn fertiggestellt. Van Gogh hegte große Bewunderung für den rechtsliberalen Politiker, den er als "Meister des freien Wortes" lobte. Doch wo Fortuyn oft konstruktiv über Lösungen reflektierte, waren Van Goghs Beleidigungen häufig einfach nur destruktiv - vor allem, weil er sie so konkret auf bestimmte Personen bezog. Beide wählten die Provokation als politisches Ausdrucksmittel und legten sich mit dem ihrer Meinung nach intoleranten Islam an. Doch wo Fortuyn den Islam als "rückständige Kultur" bezeichnete und Maßnahmen vorschlug, um die Integration der in den Niederlanden lebenden Ausländer zu verbessern, beschränkte Van Gogh sich auf die Beschimpfung des Propheten Mohammed als "Pädophilen", weil er mit einem neunjährigen Mädchen verheiratet war. Die Anhänger des islamischen Glaubens bezeichnete Van Gogh pauschal als "Ziegenficker".

Theo van Gogh war ein Exponent des niederländischen Toleranz-Verständnisses: "Mach und sag, was du willst, solange du niemandem weh tust." Auch wenn viele Niederländer seine Beleidigungen als anstößig und jenseits aller Geschmacksgrenzen betrachteten, so meinten sie doch, daß Van Gogh das Recht hatte, seine Meinung zu äußern. In gewissem Sinne personifizierte Van Gogh die (vermeintliche) liberale Identität des Landes. Allgemein herrscht in den Niederlanden das Gefühl, daß mit dem bekannten Kritiker an der multikulturellen Gesellschaft ein weiteres Stück vom Glauben an die Meinungsfreiheit starb.

In einem Nachruf bezeichnete die niederländische Tageszeitung Trouw Van Gogh als "unhaltbaren Provokateur" und "ständigen Querulanten". Die Zeitung lobte Van Gogh für seine Filme, die seine Liebe für die junge, schöne Frau und sein scharfes Auge für die Schwäche des Mannes zeigten. Als Kolumnist habe er kein Blatt vor dem Mund genommen. Zustimmend zitierte die Zeitung allerdings auch den niederländischen Justizminister Donner: "Die Verrohung, diese verbale Gewaltspirale, macht es nur schwieriger, die Probleme in diesem Land zu lösen."

Mit seinen islamkritischen Zeitungskolumnen erreichte Van Gogh in den letzten Monaten mehr Aufmerksamkeit als mit seinen Filmen. Den Chef der flämischen Arabisch-Europäischen Liga (AEL), Abou Jahjah, bezeichnete Van Gogh in der Gratistageszeitung Metro Ende Oktober als "Allahs Schuhputzer". Van Gogh kritisierte den Amsterdamer Bürgermeister Job Cohen, der nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in New York die Moscheen in seiner Stadt besuchte, um in einen Dialog mit Muslimen einzutreten. "Cohen kroch vor den Gläubigen und behauptete 'Ihr gehört zu uns!', statt zu fragen: 'Was macht ihr denn eigentlich hier?'" Der Regisseur verteidigte Amerika, das im Gegensatz zu anderen westlichen Staaten die konkrete Gefahr des Islamismus erkannt habe und bereit sei, für die Freiheit zu kämpfen. Amerika sei, so Van Gogh, "ein Leuchtturm in einer immer düster werdenden Welt".

Theo van Gogh wurde nach der Ausstrahlung seines Filmes "Submission" Polizeischutz angeboten. Doch die Morddrohungen nahm er nicht sonderlich ernst. Vor wenigen Wochen antwortete er im Rundfunk auf die Frage, ob er keine Angst habe: "Ich bin hier doch der Dorftrottel. Und wer schießt schon auf den Dorftrottel?" Seit letzter Woche wissen die Niederländer die Antwort. 

Foto: Theo van Gogh (l.) bei Dreharbeiten: In gewissem Sinne personifizierte er den niederländischen Toleranzbegriff


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