© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/04 19. November 2004

Die goldenen Zeiten sind Geschichte
Regierungsbildung in Sachsen: SPD erhält Ministerien für Wirtschaft und Wissenschaft / Milbradts Stellung in der CDU geschwächt
Paul Leonhard

Wenn in Sachsen künftig Grundsteine gelegt, Richtfeste gefeiert, Autobahnabschnitte übergeben und Wirtschaftsdelegationen empfangen werden, dann wird ein großer glatzköpfiger Mann Hände schütteln und in die Kameras grienen: Thomas Jurk, SPD-Landeschef und frisch gebackener Staatsminister für Wirtschaft und Arbeit.

Dem gebürtigen Görlitzer sind trotz der schweren Wahlniederlage der SPD bei den Landtagswahlen (9,8 Prozent) Möglichkeiten eröffnet worden, von denen die sächsischen Genossen in den vergangenen 15 Jahren nur träumen konnten. Sie sind an der Macht, wenn auch nur als der kleinere Partner. Aber mit dem Wirtschaftsministerium sowie dem Ressort Wissenschaft und Kunst - das die bisherige Chemnitzer Sozialdezernentin Barbara Ludwig übernimmt - sind sie von dem am Mittwoch wiedergewählten Ministerpräsidenten Georg Milbradt (CDU) äußerst zuvorkommend bedient worden.

Schließlich mutet der nach langen, zähen Verhandlungen geschlossene Koalitionsvertrag den Christdemokraten einiges zu. Eine um 300 Millionen Euro höhere Neuverschuldung beispielsweise ist ein starker Brocken für ein Land, das bisher stolz auf seine im Bundesmaßstab niedrige Pro-Kopf-Verschuldung war. Dazu kommen Zugeständnisse auf dem Bildungssektor.

Zwei Fremdstimmen für den NPD-Kandidaten

Für Milbradt selbst hat die neue Legislatur mit einer weiteren schweren Schlappe begonnen. Nicht nur, daß er im ersten Wahlgang nicht die absolute Mehrheit erreichte und erst im zweiten Wahlgang bestätigt wurde, weil ihm Abgeordnete aus der Koalitionsfraktion die Stimmen verweigerten. Offenbar stimmten auch mindestens zwei Christdemokraten für den einzigen Gegenkandidaten, den NPD-Abgeordneten Uwe Leichsenring. Denn dieser erhielt mit 14 Stimmen zwei mehr, als seine Fraktion Vertreter im Landtag hat.

Letztlich war die Frustration bei Milbradt so groß, daß er später einräumte, vor der Vereidigung überlegt zu haben, ob "ich die Wahl überhaupt annehmen sollte". Schließlich sagte er doch Ja zur Macht und appellierte an den Landtag: "Vor uns stehen schwierige Jahre. Ich bitte das hohe Haus, mit der neuen Regierung kollegial zusammenzuarbeiten."

Derweil packen die Christdemokraten in den beiden aufgegebenen Ministerien die Koffer. Ex-Wirtschaftsminister Martin Gillo zieht sich offenbar klaglos auf sein Abgeordnetenmandat zurück. Allerdings hat Gillo noch ein brisantes, bisher unveröffentlichtes Analysepapier in petto, in dem mehrere Zukunftsszenarien für die Entwicklung Sachsens aufgezeichnet sind.

Der ebenfalls geschaßte bisherige Wissenschaftsminister Matthias Rößler keilt dagegen schon in seiner Funktion als Kreisvorsitzender von Meißen gegen den Ministerpräsidenten: Der Koalitionsvertrag sei nicht das, "wofür die CDU steht". Der 49jährige Radebeuler, der seit 1990 im Landtag sitzt, war als hochschulpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion seinerzeit schon Kurt Biedenkopf so unbequem geworden, daß dieser den ewigen Querulanten lieber als Minister ins Kabinett holte, statt ihn als tickende Zeitbombe in der Fraktion zu lassen.

Kritik an der Aufgabe von Schlüsselressorts

Überhaupt wird es Milbradt weder in der Fraktion noch in der Sachsen-Union, deren Chef er ist, leicht haben. Als Wunder gilt bereits, daß der Dresdner Sonderparteitag ohne größere Unmutsbekundungen der 230 Delegierten dem Koalitionsvertrag mit der SPD zugestimmt hatte.

Obwohl der Partei-Nachwuchs bereits zuvor ganz offen Milbradt mit dem Satz "Man kann den Freistaat Sachsen nicht führen wie ein Statistisches Landesamt" angegriffen hatte, wurde auf dem Parteitag nur intern über den Führungsstil Milbradts und seine mangelnde Ausstrahlung geschimpft. Dafür stand Biedenkopfs Satz von Milbradt als einem "hervorragenden Fachmann, aber miserablen Politiker" unausgesprochen im Raum. Und mehrere Kreisverbände motzen bereits gegen die "teuren Zugeständnisse" an die SPD und die Aufgabe der beiden Schlüsselressorts.

Milbradt wird auch künftig keinen leichten Stand haben. Er muß sehen, daß er seine Fraktion wieder in den Griff kriegt. Er muß die Partei stabilisieren, und er darf den Sozialdemokraten nicht zu viel Spielraum geben.

Zur Zeit zieht sich der Sachsen-Premier erst einmal in seine Festung, die Staatskanzlei, zurück. Hier hat er Getreue wie CDU-Generalsekretär Hermann Winkler, der Chef der Staatskanzlei wurde, um sich gescharrt. Der 41jährige aus Grimma gilt als Strippenzieher im Hintergrund, wird aber als Wahlkampfleiter von Teilen der Partei auch für den Einbruch (von 56,9 auf 41,1 Prozent) bei den Landtagswahlen verantwortlich gemacht. So ist ungewiß, wie sicher Milbradt künftig das Staatsschiff Sachsen steuern kann. Gewiß ist, die goldenen Zeiten eines Kurt Biedenkopf sind vorbei.


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