© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/04 03. Dezember 2004

Auf der Asche eine Kathedrale bauen
von Alexander Barti

Liest man die Feuilletons der tonangebenden Presse in den vergangenen Wochen, reibt man sich ungläubig die Augen. In den Redaktionen muß eine Gehirnwäsche stattgefunden haben. In bisher einzigartiger Weise wird die Zuwanderung kritisiert, wird vor bürgerkriegsähnlichen Zuständen in den Städten gewarnt, und als sei es völlig selbstverständlich, erklärt man die multikulturelle Gesellschaft für gescheitert. Anhänger der sogenannten "Rechten", die schon immer vor einer unkontrollierten und zügellosen Einwanderung fremder Kulturträger warnten, fühlen sich auf ganzer Linie bestätigt und genießen ihren Triumph. Plötzlich gibt es ein gesamtgesellschaftliches Problembewußtsein, es wird klar formuliert, was man nicht haben möchte - der Feind scheint identifiziert. Daraus folgt logisch die Lösung des Problems. Doch hier gehen die Ansätze bereits weit auseinander.

Man unterscheidet zwischen zwei Sorten von muslimischem Glauben: Einmal soll es da eine humanistische Richtung geben, die als eine der "monotheistischen Religionen" friedlich neben den anderen "Opiaten fürs Volk" zur Verfügung steht, und dann meint man noch eine terroristische Version des "Propheten Mohammed" zu erkennen, die zur freundlichen Koexistenz nicht bereit zu sein scheint. Menschen, die letzterer Version anhängen, so der neue bundesrepublikanische Konsens, sind das Problem und müssen irgendwie zur Vernunft gebracht werden - oder verschwinden.

Der aufklärerische Ansatz fordert zunächst eine funktionierende Kommunikation, soll heißen: Nach guter alter republikanischer Sitte muß die deutsche Sprache gelernt werden! Anhänger dieser Richtung gehen davon aus, daß ein vernünftiger Mensch kein "Funda-mentalist" sein kann, eben weil das der Vernunft widerspräche. Schließlich könne man ja aus eigener europäischer Vergangenheit wissen, daß man die Welt des "finsteren Mittelalters" mit seinen von der Kirche vorgegebenen Dogmen und der "feudalen Ausbeutung" niederringen konnte.

Doch dieser Ansatz führt in die Irre, denn die als "islamistische Fundamenta-listen" bezeichneten Menschen sind meist weder dumm noch der deutschen Sprache nicht mächtig. Was in Deutschland als "Parallelgesellschaft" ausgemacht wird - die türkisch dominierten Gettos in den Großstädten -, hat wenig mit Religion zu tun, wie überhaupt die Türken innerhalb der muslimischen Welt nicht gerade den besten Ruf genießen. Aus muslimischer Sicht kein Wunder: Wer Weingärten besitzt, Anisschnaps (Raki) trinkt und seine Frauen "westlich" präsentiert, kann es mit den sittlichen Gesetzen des Koran wenig ernst meinen. Drogenhandel, Vandalismus, (Sozial-)Betrug und ähnliche Delikte, die in den Problembezirken zuhauf registriert werden, sind ebenfalls keine Kennzeichen eines gläubigen Muslim. Vielmehr handelt es sich hierbei um das asoziale Verhalten armer und verwahrloster Schichten, die ihren Frust hauptsächlich an den "anderen" - in diesem Fall an den in der Minderheit befindlichen Deutschen - abreagieren.

Hier zeigt sich auch die Herkunft dieser Einwanderer: Ihre Vorfahren kamen aus Gegenden, die gekennzeichnet waren von Armut und Unterentwicklung, und selbst dort noch gehörten sie zu der Unterschicht. Deswegen nahmen sie ja den Ausweg aus der Misere über die Anwerbebüros der deutschen Industrie gerne in Anspruch.

In Deutschland verkauften sie an den Fließbändern einzig ihre physische Kraft - Geist und Kultur waren weder erwünscht noch gefragt. Ihre Nachkommen konnten nur aufsteigen, wenn sie die Gastgeberkultur tatsächlich verinnerlichten. Der Weg führte aus einer analphabetischen, anatolischen Bauernkultur über die Reformuniversitäten der 1970er Jahre direkt zu einem säkularisierten Modernismus, der für Religion nichts übrig hat.

Sämtliche türkischstämmigen Politiker in den etablierten Parteien sind diesen Weg gegangen, und deswegen ist es auch völlig einleuchtend, daß sie mit Religion nicht mehr am Hut haben wollen als ihre getauften Parteigenossen, deren Kulthandlungen sich auf das Schenken unterm Weihnachtsbaum beschränken. Schulter an Schulter marschierten sie dabei mit den selbstbewußten Arbeiter- und Bürgerkindern der Wirtschaftswunderära, die strukturell einen ähnlichen Weg vor sich hatten. Auch sie sind inzwischen "oben" angelangt und wissen mit religiösen Dimensionen nichts anzufangen. Ihre Denk- und Begriffswelt beschränkt sich ausschließlich auf die soziale Dimension und bleibt folgerichtig am Boden kleben. Der Tod ist für sie ein notwendiges Übel, das in Ballungsgebieten ein Flächennutzungsproblem hervorruft.

Solchermaßen stehen sie völlig ratlos vor dem Phänomen eines Menschen, der seine Religion ernst nimmt. Wie sehr sie nur in eine Richtung denken können, entpuppt sich vor allem daran, wie sie den Islam erkennen: Sie sehen eine patriarchalische Familienstruktur, in der es Vielweiberei gibt und in der Frauen ihrer Meinung nach unterdrückt werden. Doch die Kritik an diesen "vormodernen" Zuständen muß selbst Nicht-Muslimen heuchlerisch vorkommen. Denn wie gehen die "Aufgeklärten" mit ihren Frauen um? Mehrere Beziehungen gleichzeitig zu haben gilt als normal, ebenso die juristisch verankerte Vielweiberei im zeitlichen Nacheinander - beginnt Ilse zu schrumpeln, wird sie durch eine jüngere ersetzt. Die Lebenskonzepte paßten eben nicht mehr zusammen, entschuldigt man sich, und alle nicken verständnisvoll.

Was die Unterdrückung angeht: Es gibt wohl keine perfidere, brutalere und totalere, als sie durch die Mode- und Sexindustrie hervorgerufen wird. Denn hier gibt es nicht den gegebenenfalls konkreten, personal feststellbaren Tyrannen, vor dem man schlimmstenfalls weglaufen kann. Hier ist die Unterdrückung verinnerlicht, und egal wohin man läuft und wo man sich befindet, aus jedem Schaufenster, von jedem Werbeplakat, in jedem Film und aus nahezu jedem Mitmenschen klatscht die virtuelle Peitsche: "Streng dich an - Du bist fett und häßlich!"

Man wundert sich immer wieder, wie widerstandslos "emanzipatorische" Mei-nungsführer die permanente Erniedrigung der Frau durch die in alle Lebensbereiche eindringende Pornokratie hinnehmen. Es gibt keine einzige Politikerin in der Bundesrepublik, die ihre Stimme vernehmbar gegen diese Form von Unterdrückung erhebt. Dabei sind die schwerwiegenden Folgen für die Gesellschaft und bei den Betroffenen schon lange bekannt. Statt dessen echauffiert man sich über eine Kultur, die ihre Frauen diesem Wahn nicht ausliefern möchte.

Ein weiterer Angriffspunkt sind die Koran-Suren, in denen vom bewaffneten Kampf gegen Ungläubige zu lesen ist. Sie gelten als Kronzeugen der Intoleranz und der Militanz des Islam. Das heißt, auch hier wird nur eine rein weltliche Dimension der Schrift akzeptiert, die am Wesentlichen vorbeiführt. Denn gibt es nicht auch Aggressives zu berichten über die heiligen Bücher von Juden und Christen? Wie steht es mit dem Buch Esther? Wird dort nicht ein hinterhältiger Massenmord verherrlicht, der auch noch heute von gläubigen Juden als "Purim" gefeiert wird? Oder was ist mit den zahlreichen Textstellen im Talmud, die sich nicht gerade freundlich gegenüber den Nicht-Juden äußern und etliche Anweisungen mit "struktureller Gewalt" enthalten? Wie steht es mit dem "Schwert", das zu bringen Christus gekommen ist? Oder mit der selbstverständlichen Aufforderung, sein Leben gegebenenfalls für den Glauben zu opfern? Ansätze dieser Art ließen sich beliebig lange fortsetzen. Es mangelte auch nicht an konkreten Bespielen auf der Welt, in denen gerade jetzt und heute im Namen einer der religiösen Traditionen gemordet wird.

Sind also alle gleich, und muß man den Islamismus einfach so hinnehmen und das "Gute" in ihm sehen? Sicher nicht! Aber der Gegenangriff darf nicht auf der sozialen Ebene erfolgen, wie er von den aufgeschreckten Modernisten nun versucht wird. Dieser Ansatz ist zum Scheitern verurteilt. Er geht am Kern der Religion vorbei. Der Angriff muß ins Zentrum des Islam erfolgen, und das ist schlicht nur durch die "Rückbesinnung" auf den eigenen Kern - das Christentum - möglich. Wenn die Moderne als religiöser Antifundamen-talismus aufgefaßt wird, dann heißt das Mittel gegen die islamische Expansion "Anti-Antifundamentalismus".

Doch mit dieser Feststellung beginnen schon die Probleme, denn wir wissen ja gar nicht mehr, wofür das "Christentum" steht. Die sogenannten Christen haben sich in den vergangenen 500 Jahren in über 500 verschiedene Richtungen gespalten. Entsprechend verwirrend ist die Botschaft, die sie verbreiten - falls sie überhaupt noch etwas verbreiten. Ohne für eine Seite Partei ergreifen zu wollen, kann man objektiv feststellen, daß eine besonders schwere Verletzung der Geschlossenheit Anfang des 16. Jahrhunderts erfolgte. Wenn es keine Autorität mehr in der Auslegung der Schrift gibt, zerbröselt die Doktrin, und zurück bleibt Beliebigkeit. Wenn jeder sein eigener Schriftgelehrter wird, sind den Interpretationen keine Grenzen gesetzt.

Diesen Prozeß erkannten die protestantischen Konfessionen im 19. Jahrhundert und gründeten daraufhin eine ökumenische Bewegung, die der Explosion Einheit gebieten sollte. Der Katholizismus blieb davon zunächst unberührt, er bildete ja eine geschlossene Theologie. Die Verlautbarungen des Heiligen Stuhl waren nie zimperlich, wenn es darum ging, Irrtümer zu benennen. Eines der brillantesten Dokumente dieser Ära ist der berühmt-berüchtigte "Syllabus", ein "Verzeichnis der hauptsächlichsten Irrlehren unserer Zeit, die in Apostolischen Ansprachen im Konsistorium, in Ezykliken und in anderen Apostolischen Schreiben Seiner Heiligkeit Papst Pius IX. verurteilt" wurden.

Von dieser Klarheit sind die heutigen Papiere des Vatikans Lichtjahre entfernt. Die Kongregationen produzieren nur mehr Meisterwerke der Doppel-deutigkeit, nicht selten aus dem Polnischen ins Lateinische übersetzt (und nicht umgekehrt!), mit denen hauptamtliche Theologen vielleicht etwas anfangen können, der Normalgläubige aber hoffnungslos überfordert ist. Wie wirkungsvoll die doktrinäre Einheit war, konnte man im Bismarckschen Kulturkampf erleben. Damals siegte die Kirche - heute wird sie auch ohne Kulturkampf permanent in die Ecke gedrängt.

Ursachen für diese Entwicklung gibt es wie immer viele, sie zu beklagen ist in der aktuellen Lage vertane Zeit. Die Christen müssen sich zusammenraufen, wenn sie nicht auf dem Schrotthaufen der Geschichte landen wollen. Die "Antifundamentalisten" wollen zwar genau das - seit Jahrhunderten -, sie übersehen aber, daß das Christentum nicht einfach nur eine "Wurzel" ist, die zum heutigen Europa geführt hat. Zahlreiche Bereiche unseres Lebens werden nach wie vor aus dem Christentum gespeist. Daran ändert nichts die liberalistische Verfremdung, die sie oft erleiden müssen und die sie heute nicht mehr als christlich erscheinen läßt.

Besonders erschwert wird der Kampf durch einen Dreifrontenkrieg. Da ist zunächst der klar erkennbare Gegner in allen Religionen, die nichts mit Christus zu tun haben. Dann steht man als Gläubiger einer Funktionärsschicht im eigenen Lager gegenüber, die schlicht nicht bereit ist, die Zeichen der Zeit zu erkennen und vor allem - entsprechend zu handeln. Zwar hört man inzwischen auch aus den Reihen der Bischöfe manch sanftes Säuseln vom "Ende des Selbstbetrugs", aber das wird ohne Konsequenzen bleiben. Kein Mensch gibt gerne zu, daß er sein ganzes Leben in die falsche Richtung gelaufen ist. Vielmehr wird eine "Jetzt erst recht"-Mentalität zu beobachten sein, die den verlogenen "Dialog" im tatsächlich existenten "Parlament der Weltreligionen" weiter vorantreibt.

Eng verwoben mit diesen Kirchenbonzen ist die Elite von europäischen Staaten - die dritte Front -, die das Christentum höchstens als einen zahnlosen Tiger, als Feierabendbeschäfti-gung, akzeptiert. Sie gehört zur Fraktion des totalitären Liberalismus. Dessen Radikalität wird langsam auch in den Reihen seiner Protagonisten skeptisch zur Kenntnis genommen. Wie diktatorisch und intolerant dieser Liberalismus auftritt, konnte man jüngst bei der Nominierung der Europäischen Kommission beobachten, die von einem Ex-Maoisten geleitet wird. Nicht der fachlich ungeeignete ungarische kommunistische Apparatschik László Kovács brachte die Mehrheit der EU-Parlamentarier gegen die Kommission auf, sondern der fachlich bestens geeignete Italiener Rocco Buttiglione, der es gewagt hatte, seine christliche Moralvorstellung zu äußern.

In diesem Dreifrontenkrieg gibt es praktisch keine institutionellen Verbündeten. Jeder steht für sich allein. Jeder muß für sich allein zurückfinden zu seinen christlichen Fundamenten. Dabei wird jeder einen mehr oder weniger großen Schuttberg an liberalen Bauruinen abtragen müssen. Wenige werden erfolgreich sein. Viele werden angesichts der Trümmerwüste verzweifeln, andere werden unter den zusammenstürzenden Bauteilen begraben werden. Aber wer es endlich geschafft hat, wird auf dem freigelegten Baugrund eine Kathedrale errichten, vor der auch die Mohammedaner in die Knie sinken werden. Weil sie dann die Wahrheit schauen können.

 

Alexander Barti ist Publizist und regelmäßiger JF-Autor. Er lebt in Ungarn.


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