© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/04 10. Dezember 2004

Stigmatisierung wirkt nach
"Fall Molau": Sohn von Yehudi Menuhin kritisiert Waldorfschule / Flugblattaktion von Mahler
Christian Vollradt

Die Berichterstattung über die Vorgehensweise der Braunschweiger Waldorfschule, die zwei Kinder eines ehemaligen Lehrers wegen dessen Tätigkeit für die NPD der Schule verwiesen hatte, hat zahlreiche Proteste hervorgerufen.

Unter anderem hatte das Fernseh-Magazin "Panorama" des Norddeutschen Rundfunks einen Bericht über den "Fall Molau" (JF 48/04) gesendet, in dem die Entscheidung der Schulleitung einer harschen Kritik unterzogen wurde. Einige Beiträge im Internet-Forum des Politikmagazins verurteilten daraufhin das Vorgehen der Waldorfschule als "Sippenhaftung" und verglichen es mit Erscheinungsformen in diktatorischen Systemen.

In einer nicht repräsentativen Internetumfrage von "Panorama" kritisierten 85 Prozent der Teilnehmer die Entscheidung der Waldorfschule als "nicht in Ordnung". Auch wandten sich zahlreiche Bürger mit Protestschreiben an die Verantwortlichen der Schul-Geschäftsführung; in einigen Briefen sollen Eltern sogar diesen Fall als Begründung dafür herangezogen haben, die eigenen Kinder nicht wie ursprünglich geplant an dieser Schule anzumelden.

Offner Brief an die Schulleitung

Als ein prominenter Kritiker wandte sich Gerard Menuhin, der Sohn des weltberühmten Musikers Yehudi Menuhin, in einem offenen Brief an die Schulleitung mit der Aufforderung, die Entlassung der beiden Kinder "eines andersdenkenden Vaters" rückgängig zu machen. "Aber glauben Sie tatsächlich, die richtige Entscheidung getroffen zu haben, indem Sie zwei unschuldige Kinder unglücklich machen und zu einer ungewissen Zukunft verurteilen  -  nur, Ihrer Meinung nach, um die anderen Kinder an der Schule vor möglichen schlimmen Unterweisungen zu schützen? Oder hatten Sie einfach nicht den Mut, um gegen die Selbstzufriedenheit einiger aufgebrachter Blindgläubiger Widerstand zu leisten?" schrieb Menuhin.

Als vollständig kontraproduktiv habe sich nach Angaben von Andreas Molau gegenüber der JUNGE FREIHEIT, dagegen eine Flugblatt-Aktion des ehemaligen NPD-Anwaltes Horst Mahler erwiesen. Der selbsternannte Kopf einer "Reichsbürgerbewegung" ließ vor der Waldorfschule in Braunschweig ein Flugblatt verteilen, in dem - anknüpfend an die Vorgänge um den ehemaligen Lehrer und seine Kinder - von den "Feinden des Reiches" und "Lügen über das deutsche Volk" die Rede war, die die Schüler im Unterricht zu hören bekämen. Nach Informationen der Braunschweiger Zeitung ermittelt inzwischen der Staatsschutz gegen Verfasser und Verteiler des Flugblattes.

Molau wandte sich unterdessen an Mahler mit der Bitte, diese Aktion einzustellen. "Dem geht es schließlich nicht um das Schicksal meiner Kinder. Er versucht bloß auf ihrem Rücken seine verquasten Ansichten unter die Leute zu bringen", sagte Molau im Gespräch mit der JF.

Ärgerlich sei das Ganze außerdem deswegen, weil unter dem Eindruck dieses Angriffs gegen die Schule das Kollegium und die Geschäftsführung wieder zusammenrücke. Bis zu diesem Zeitpunkt habe nämlich auch ein Teil der Lehrerschaft gegen die Vorgehensweise der Leitung der Waldorfschule opponiert.

Die Reaktionen seines persönlichen Umfelds auf seinen "Fall" und den seiner Kinder seien unterschiedlich ausgefallen, sagte Molau der mittlerweile die NPD-Fraktion im sächsischen Landtag in der Bildungspolitik berät und zudem als Redakteur für die Parteizeitung Deutsche Stimme arbeitet; es habe "böse Briefe", aber auch Ermutigungen gegeben.

Ein ehemaliger Schüler, der vor zwei Jahren sein Abitur an der Waldorfschule ablegte, dankte ihm für einen "stets qualifizierten, durchdachten und lebendig vermittelten Unterricht" und bedauerte, daß es die Schule "nicht schafft, sich öffentlich zu Ihrer stets hervorragenden Lehrleistung zu bekennen, sondern sich hinter hohlen Phrasen und abgedroschenen Selbstmitleid versteckt".

Kinder an der neuen Schule gut aufgenommen

Die Stigmatisierung, die seine Tochter und sein Sohn durch den erzwungenen Abschied von ihrer Schule erfahren hätten, wirke noch immer nach, berichtet Molau. Vom Verhalten vieler Erwachsener seien die beiden Kinder tief enttäuscht worden, und diese Enttäuschung wirke nach.

Einen Lichtblick konnte Molau gegenüber der JUNGEN FREIHEIT immerhin vermelden. Auf ihren neuen (staatlichen) Schulen sind seine beiden Kinder sowohl von den Lehrern als auch von den Mitschülern sehr gut aufgenommen worden. Gerade aufgrund der Umstellung auf völlig andere Lehrpläne werde ihnen eine umfassende Förderung zuteil, durch die die Härten des erzwungenen Schulwechsels abgemildert würden.


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