© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/04 10. Dezember 2004

Angriff auf christliche Werte
Spanien: Nach der Wende in der Irak- und EU-Politik krempeln die regierenden Sozialisten auch die Innenpolitik radikal um
Jean-Marie Dumont

Bis März 2004 galt Spanien als treuer Verbündeter der USA. Premier José María Aznar stellte das Land 2003 im Irak-Krieg demonstrativ an die Seite von US-Präsident George W. Bush. Spanische Truppen stellten ein Kontingent im Irak-Krieg. Doch am 11. März zündeten islamistische Terroristen in einem Madrider Vorortzug mehrere Bomben - über 200 Menschen starben, etwa 1.500 wurden verletzt (JF 13/04). Bei der drei Tage später folgenden Parlamentswahl verlor Aznars Volkspartei (PP) ihre Mehrheit. Seither regieren wieder die Sozialisten (PSOE) - und vollzogen mit dem Truppenabzug aus dem Irak nicht nur in der Außenpolitik eine Kehrtwende, die viele so nicht erwartet hatten (JF 20/04).

Während Bush seine Wiederwahl mit dezidiert konservativ-christlichen Werten sicherte, geht Spanien derzeit genau den entgegengesetzten Weg. Am 1. Oktober verabschiedete der spanische Ministerrat beispielsweise einen Gesetzesvorentwurf zur Anerkennung gleichgesellschaftlicher Lebensgemeinschaften. Homosexuellen Paaren steht es nun frei, zu heiraten und Kinder zu adoptieren - in den USA war dies zu verhindern, genau einer der Gründe für die Wahl von Bush.

Auch beim Scheidungsrecht ist im zu Zeiten von Franco erzkatholischen Spanien nichts mehr so, wie es vor dem Amtsantritt des sozialistischen Premiers José Luis Rodríguez Zapatero war: Eine Scheidung ist nun ohne Angabe von Ursachen und Einhaltung von Fristen möglich. Scheiden lassen kann man sich jetzt drei Monate nach der Hochzeit, im Fall einer Mißhandlung sogar sofort. Eine Forderung, die angesichts der EU-weit überdurchschnittlichen Zahl von Gewaltfällen in der Ehe auch schon im Wahlkampf eine Rolle spielte.

Auch die Abtreibungsgesetzgebung wollen die Sozialisten verändern. Theoretisch bleibt der Mord an einem ungeborenen Kind eine Straftat; dennoch wurde eine Abtreibung schon unter der Aznar-Regierung nicht geahndet, sofern eine von drei Bedingungen vorlag: Vergewaltigung der Frau, Mißbildung des Embryos bzw. physische oder psychische Gefährdung der Mutter. Letztere Bedingung war so vage formuliert, daß sie einer Freigabe der Abtreibung gleichkam.

Faktische Legalisierung von Abtreibungen geplant

Dennoch wollen die Sozialisten - die im Parlament auf die Duldung der kommunistischen Vereinten Linken (IU) zählen könne - durch ein neues Gesetz einen vierten Abtreibungsgrund hinzugefügen: "Schwerer persönlicher, familiärer oder sozialer Konflikt". Damit wäre Abtreibung faktisch legal und ein großer Schritt in Richtung der UI-Positionen vollzogen, die Abtreibung zu einem Grundrecht jeder Frau erklären und medizinischem Personal die Möglichkeit verwehren will, die Prozedur aus Gewissensgründen zu verweigern.

Deshalb haben engagierte Christen zusammen mit der katholischen Amtskirche die Kampagne "Toda la vida" ("Das ganze Leben") zum Schutz des menschlichen Lebens - auch älterer Menschen - ausgerufen. Spanien blickt auf eine starke katholische Tradition zurück, von der auch Artikel 16 der Verfassung zeugt: "Die staatlichen Gewalten ... halten kooperative Beziehungen zu der katholischen Kirche und den anderen Konfessionen aufrecht."

Doch inzwischen entwickelt sich der Konflikt um christliche Werte zu einem Krieg gegen die Kirche. Am 4. November setzte die PSOE nämlich einen parteiinternen "Rat für öffentliche Freiheiten" ein, der die "richtige" Anwendung der Verfassungsgrundsätze vor allem bezüglich des Verhältnisses zwischen dem Staat und den Religionen überwachen soll. Die sozialistische Linke erwägt zudem eine staatliche Initiative, um das Christentum mit anderen Glaubensbekenntnissen auf eine Stufe zu stellen. Die PSOE kritisiert dabei vehement die finanzielle Unterstützung, die der Staat der Kirche für ihre Arbeit gewährt - 0,52 Prozent der Einkommensteuer fließen an die katholische Kirche. Man denke über eine Änderung dieses Statuts nach, verkündete Álvara Cuenca vom PSOE-Rat.

Im Rahmen dieser Gleichstellung gab Justizminister Juan Fernando López Aguilar schon im Juli die Einführung einer Finanzhilfe für die muslimischen Gemeinden in Spanien bekannt. Auch der Status des christlichen Religionsunterrichts soll geändert werden. Das Bildungsgesetz, das die PP-Regierung kurz vor ihrer Abwahl beschloß, sah vor, daß alle Schüler einen "Allgemeinen Unterricht zur Religiösen Kultur" besuchen sollen, sowie, wenn die Eltern es wünschen, einen nach Konfessionen getrennten Religionsunterricht. Beide Fächer sollten denselben Pflichtstatus wie alle anderen Unterrichtsfächer haben. Die PSOE hat das Inkrafttreten dieses Gesetzes verhindert - Religion soll nun nur noch als freiwillige Option angeboten werden.

Ende des christlichen Religionsunterrichts?

Diese radikale Wende hin zum Laizismus stöß nun zunehmend auf Widerstand. Familie und menschliches Leben haben bei vielen Spaniern nach wie vor eine hohen Stellenwert - auch bei jenen, die Aznar und die PP wegen ihres US-Kriegskurses im März abgewählt haben. Die spanischen Bischöfe zögern nicht mehr, ihren Protest lautstark zu äußern, und, was aus realpolitischer Sicht noch wichtiger ist: Zahlreiche Initiativen werden gebildet, um Druck auf die PSOE-Regierung auszuüben. Sogar eine ePost-Protestaktion wurde per Internet gestartet: "Verschaff dir Gehör" ( www.hazteoir.org ). Am vergangenen Samstag organisierten "Hazteoir"-Aktivisten so beispielsweise eine Protestkundgebung vor dem Madrider Sozialministerium.

Was bislang fehlt, ist eine politische Bewegung, für die Familie und Lebensschutz mehr sind als nur Wahlkampfthemen. Doch davon ist das liberale Spanien noch weit entfernt.


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