© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/04 10. Dezember 2004

Verbittert
Kein neuer Doppelpaß für Auslandsungarn
Alexander Barti

Die beiden Referenden, denen in Ungarn so hysterisch entgegengefiebert wurde (JF 50/04), sind ungültig. Von den acht Millionen Stimmbürgern hätten mindestens zwei Millionen eine gleiche Antwort geben müssen. Gegen die Privatisierung im Gesundheitswesen stimmten zwar 65,03 Prozent, doch es fehlten 80.000 Ja-Stimmen. Ein "knappes" Ergebnis, das deshalb kurios ist, weil hier die bürgerliche Fidesz-Opposition von Ex-Premier Viktor Orbán Seit' an Seit' mit der kommunistischen Arbeiterpartei von Gyula Thürmer marschierte.

Bei der Frage, ob die Auslandsmagyaren auf Antrag leichter die ungarische Staatsbürgerschaft bekommen sollten und ob dies in eine gesetzliche Regelung gefaßt werden solle, siegten zwar die Befürworter mit 51,55 Prozent - doch hier fehlten sogar eine halbe Million Stimmen. Erste Reaktionen aus den Reihen der Befürworter im In- und Ausland ließen Verbitterung erkennen.

Die Fleischtöpfe seien den Menschen mal wieder mehr wert gewesen, hieß es mit Anspielung auf die Kampagne der Linken, die an den Sozialneid der Wähler appellierte. Der sozialistische Premier Ferenc Gyurcsány sprach hingegen von einem "Freudentag", denn die Wähler hätten verstanden, wie verantwortungsvolle Politik aussehe. Für die bürgerlichen Rechten ist das Ergebnis tatsächlich eine schwere Niederlage.

Zwar erklärte Orbán, die Volksabstimmung habe gezeigt, daß die Mehrheit der Magyaren die doppelte Staatsbürgerschaft einführen wolle, das Thema bleibe daher weiterhin auf der politischen Tagesordnung.

Aber dieser Berufsoptimismus kann nicht über die eigentliche Botschaft hinwegtäuschen. Und die heißt: Laßt uns in Ruhe mit eurem Trianon-Gelaber, mit der Chimäre von der "Nation als Familie", mit den Siebenbürgern und dem Lebens- und Kulturraum Karpatenbecken.

Nach diesem Referendum wird jeder Hinweis auf diese Begriffe lächerlich wirken. Bisher konnte man immer sagen, das "Volk" wolle ja, nur die Politik traue sich nicht - diese Meinung, die viele, auch bei den Linken, tatsächlich geglaubt haben, hat sich als Lebenslüge entpuppt. Kein Politiker dürfte mehr auf diese halbtoten Gäule setzen, auch wenn die "Magyaren-Frage" hier und dort noch durch die Debatten schwirren wird.

Die Wucht dieser Niederlage zeigt sich auch darin, daß hier nicht "rechtsradikale Wirrköpfe" am Werk waren. Die doppelte Staatsbürgerschaft wurde von einem breiten Bündnis unterstützt, von tatsächlich rechtsradikalen Grüppchen bis hin zu staatstragenden Parteien, Gewerkschaften und Kirchen. Im Rückblick war es unverantwortlich, überhaupt ein Referendum initiiert zu haben, denn die Wahlfaulheit der Ungarn ist nicht neu.

Bei der Abstimmung zum EU-Beitritt gingen sogar noch weniger zu den Urnen - vorsorglich hatte man in dieser Frage aber keine Mindestbeteiligung im Wahlgesetz festgelegt. Die Bürgerlichen hatten gehofft, mit einem gültigen Sieg für die nationalen Wahlen 2006 gut gerüstet zu sein. Auch diese Hoffnung ist nun zerstoben - dafür sind die Altkommunisten wieder im Gespräch.

Was nun folgt, ist ein langer, ätzender Wahlkampf mit immer neuen Skandälchen, der die Bürger bestenfalls langweilt. Der eigentliche Verlierer in diesem Parteiengerangel ist der Staat als Ordnungs- und Orientierungssystem. Mit bewußter "Mitbestimmung" hat das Theater schon lange nichts mehr zu tun. 


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