© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/05 07. Januar 2005

Regierung begrenzt Zuzug jüdischer Flüchtlinge
Einwanderung: Neuregelung der Einreisebestimmungen auf Wunsch der israelischen Behörden / Kritik vom Zentralrat der Juden in Deutschland
Ivan Denes

Der damalige Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Heinz Galinski, hat Bundeskanzler Helmut Kohl 1991 gedrängt, einer Zuwanderung von Juden aus der ehemaligen Sowjetunion zuzustimmen. Schon während des Kalten Krieges hatten jüdische Auswanderer aus der Sowjetunion den Weg nach Deutschland gesucht und gefunden. Helmut Kohl, der Mann mit der Gnade der späten Geburt, sah sich dabei zwischen Hammer und Amboß: "Wenn ich Juden nach Deutschland hereinlasse, beschuldigt mich Israel, ich unterwandere die nationale Sicherheit des Landes. Lasse ich sie nicht herein, werde ich beschuldigt, ein deutscher Antisemit zu sein." Schließlich gab Kohl dem Wunsch Galinskis nach und machte den Weg frei für die Zuwanderung der sogenannten jüdischen "Kontingentflüchtlinge".

Niemand kann die genaue Zahl der Kontingentflüchtlinge angeben, die in den Jahren seit der Kohl-Galinski Vereinbarung nach Deutschland gekommen sind. Die jüdischen Gemeinden haben etwa 80.000 Personen aufgenommen, insgesamt dürften es bislang 180.000 bis 200.000 Kontingentflüchtlinge gewesen sein. Weitere 27.000, die die erforderliche Einreiseerlaubnis schon in der Hand haben, sitzen bereits auf gepackten Koffern, weitere 27.000 haben Anträge gestellt, über die bislang aber noch nicht entschieden worden ist.

Israelische Kritik am Flüchtlings-Begriff

Im Prinzip sollte über die Einreise der Kontingentflüchtlinge nach Deutschland nach den Regeln des jüdischen Gesetzes der Halacha entschieden werden. Dieses Gesetz betrachtet denjenigen als Juden, der eine jüdische Mutter hat. In der Praxis wurde jedoch die jüdische Zuwanderung nach Deutschland viel liberaler gehandhabt. Das führte dazu, daß eine große Anzahl von Kontingentflüchtlingen mit gefälschten Papieren (in St. Petersburg operierte in den vergangenen Jahren eine gewerbsmäßig arbeitende Fälschungswerkstatt), aufgrund von Schein-Ehen oder mit Verweis auf männliche jüdische Vorfahren die Einreise beantragte. Das ursprüngliche israelische "Heimkehrgesetz" sah übrigens vor, daß der Nachweis eines jüdischen Großelternteils reichte, um als Einwanderer und Staatsbürger in Israel aufgenommen zu werden. Staatsgründer David Ben Gurion sagte auf die Frage, warum das Gesetz gerade diese Regelung vorschrieb, die Absicht bei seiner Abfassung sei gewesen, jeden Menschen, der von den Nürnberger Rassengesetzen betroffen war, in Israel aufnehmen zu können.

Die israelischen Medien führen seit einiger Zeit bittere Klage, daß in den letzten Jahren etwa die Hälfte der aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion kommenden Einwanderer überhaupt keine Juden beziehungsweise nicht zur Einwanderung berechtigt wären. Dasselbe gilt auch hierzulande für einen Teil der Kontingentflüchtlinge, was unter anderem zur Expansion der sogenannten "Russenmafia" in Deutschland beigetragen haben dürfte.

Der Begriff "Flüchtling" erzürnte von Anfang an die Israelis ganz besonders, die darauf hinwiesen, daß jeder Jude der Welt eine Heimat in Israel habe, daher nicht "baaretz nochrija", in fremde Länder flüchten müsse. In den letzten drei Jahren überstieg nun sogar die Zahl der Kontingentflüchtlinge die Zahl der aus der ehemaligen Sowjetunion stammenden Neueinwanderer in Israel. Der Grund dafür war offenkundig die Tatsache, daß die Sozialleistungen in Deutschland (in Berlin leben 80 Prozent der Kontingentflüchtlinge von der Sozialhilfe) wesentlich großzügiger sind als in Israel.

Diese Entwicklung wollte und konnte die israelische Führung nicht tatenlos hinnehmen, zumal die strategische Existenzsicherung Israels neben dem militärischen Aspekt aus demographischen Gründen letztendlich auf die Einwanderung baut. Die halbstaatliche Einwanderungsagentur Jewish Agency, die für Einwanderungsfragen zuständig ist, schickte den ehemaligen israelischen Botschafter in Bonn, Benjamin Navon, nach Deutschland, um eine Drosselung des Kontingentflüchtlingsstromes zu erwirken.

Künftig ist die Einladung einer Gemeinde erforderlich

Offenbar hatte dessen Mission Erfolg: Auf Initiative von Innenminister Otto Schily (SPD) hat die Länderinnenministerkonferenz Ende vergangenen Jahres eine Neuregelung für Kontingentflüchtlinge beschlossen, die noch von der Ministerpräsidentenkonferenz der Länder abgesegnet werden soll. Trotz Forderungen aus SPD und Grünen-Fraktion wurde das Problem vom Bundestag bislang nicht behandelt.

Die Neuregelung sieht vor, daß ab dem 1. Januar 2006 nur noch Juden unter 45 Jahren einreisen dürfen, die eine Einladung einer jüdischen Gemeinde in Deutschland vorlegen und somit ausschließen, daß sie Sozialhilfe in Anspruch nehmen werden, und die zudem der deutschen Sprache mächtig sind.

Mit dieser letzten Forderung wird auch eine Kuriosität beseitigt: Rußlanddeutsche, die aufgrund ihrer Volkszugehörigkeit und der betreffenden Bestimmung des Grundgesetzes als Spätaussiedler in die Bundesrepublik kommen und Anspruch auf die deutsche Staatsangehörigkeit haben, müssen vor Erteilung des Einreisevermerkes vor Ort deutsche Sprachkenntnisse nachweisen. Die Kontingentflüchtlinge mußten dies bisher nicht.

Die Jewish Agency, das Amt des israelischen Diasporaministers Natan Schtscharanski und die Medien loben die deutschen Stellen für die Änderungen; der Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Paul Spiegel, und seine beiden Stellvertreter, Charlotte Knobloch und Salomon Korn, haben hingegen Protest erhoben. Bundesinnenminister Otto Schily habe sie nicht rechtzeitig und eingehend genug konsultiert, heißt es.

Tatsächlich aber befürchtet der Zentralrat offensichtlich, daß diese Maßnahmen zum Versickern des Zuwanderungsstromes der Kontingentflüchtlinge führen, was bei wegfallender Sozialhilfe für die Einwanderer verständlich wäre. Der Zentralrat wird zudem wohl nie wieder einen derart rasanten Zuwachs erfahren wie in den vergangenen Jahren - von 30.000 Mitgliedern jüdischer Gemeinden im Jahr 1989 auf 105.000 15 Jahre später. Folgerichtig wird auch das Gewicht der wichtigsten jüdischen Interessenvertretung in Deutschland nicht mehr in gleichem Maße wachsen wie bisher.

Es ist das erste Mal, daß die Führung des Zentralrates in offenen Konflikt gerät mit den Interessen und der klaren Linie der israelischen Regierung. Über die Tragweite dieses Gegensatzes hätten Spiegel, Knobloch und Korn früher nachdenken sollen, bevor sie an die Öffentlichkeit gingen. Ariel Scharon und Natan Schtscharanski sind Schwergewichtler auf der internationalen Szene. Spiegel und Korn bringen es kaum zum Federgewicht.


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