© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/05 07. Januar 2005

Mauerkreuze mahnen auch im neuen Jahr
Checkpoint Charlie: Berliner Senat verzichtet auf gewaltsame Räumung zum Jahreswechsel / Weiter Widerstand gegen Gedenkstätte
Ekkehard Schultz

Traditionell nutzen viele Gäste der Hauptstadt als auch Berliner die Tage zwischen Weihnachten und Neujahr dafür, die Mauer-Erinnerungsstätte am ehemaligen Übergangspunkt Checkpoint Charlie zu besuchen. In diesem Jahr wurde das Interesse des Publikums zusätzlich durch die Frage gesteigert, wie sich Museums-Chefin Alexandra Hildebrandt zum Ultimatum der Grundstückseigentümer des nahegelegenen ehemaligen Grenzstreifens verhalten würde, bis zum 31. Dezember die seit Ende Oktober aufgestellten 1.067 Holzkreuze wieder zu entfernen: Die Kreuze blieben stehen und stehen noch immer.

Mit der Aufstellung dieser Kreuze wollte Hildebrandt an die Opfer von Mauer und innerdeutscher Grenze erinnern und auf die bisherigen Versäumnisse der Stadt und des Senats in dieser Angelegenheit aufmerksam machen. Das brachliegende Areal, welches Hildebrandt für das Mahnmal nutzte, wurde seither vom Museum für 14.500 Euro pro Monat gepachtet. Wie Hildebrandt bereits vor diesem Termin in Diskussionsveranstaltungen und in Interviews verlauten ließ, wird sie nunmehr - gestärkt vom aktuellen Zuspruch vieler Besucher der Gedenkstätte, Berliner und Gäste - das Areal "so schnell nicht räumen". Statt dessen will sie sich weiter "um eine Verlängerung des Pachtvertrages" für das Grundstück beziehungsweise um den Kauf bemühen. Dieser scheiterte allerdings bislang daran, daß die Eigentümer bei der zuständigen Bankaktiengesellschaft Hamm das Areal zu einem Preis veräußern möchten, der sich an den Preisen vom Anfang der neunziger Jahre orientiert, obwohl selbst in dieser zentralen Lage der Wert von Immobilien und Grundstücke seither deutlich gesunken ist.

Lob aus ganz Deutschland für das Mahnmal

Während Hildebrandt für ihr Engagement zur Schaffung einer würdigen Erinnerungsstätte für die Opfer von Mauer und Stacheldraht quer durch Berlin und Deutschland von privater Seite viel Lob erhält, stehen die für das "offizielle" Mauer-Gedenken zuständigen Verantwortlichen der Stadt sowie des Bundes der Initiative der Museumschefin weiterhin äußerst kritisch gegenüber.

Seitens der Sprecherin der Gedenkstätte in der Bernauer Straße, Maria Nooke, fiel mehrfach die Äußerung "Spektakel im Stil von Disneyland". Auch der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) und Wirtschaftssenator Harald Wolf (PDS) haben sich erneut in Interviews gegen das Mahnmal ausgesprochen; allerdings betonten beide, auch bei einer nicht bis zum 31. Dezember erfolgten Räumung des Grundstückes die Kreuze nicht einfach im städtischen Auftrag abreißen zu lassen.

Einstweilige Rückendeckung erhielt Hildebrandt dagegen vom Bürgermeister des Stadtbezirkes Berlin-Mitte und CDU-Chef der Stadt, Joachim Zeller, der sich für einen Verbleib der Erinnerungsstätte aussprach, bis eine endgültige Lösung für die Zukunft des betreffenden Grundstückes gefunden worden sei.

Wie sehr Hildebrandt mit ihrer konsequenten und aufrichtigen Haltung nicht nur Politikern des Berliner Senats erfolgreich auf die Nerven geht, zeigt sich am deutlichsten an der Tatsache, daß sich in jüngster Zeit Publikationen des linksliberalen bis linksextremen Spektrums besonders intensiv dieser Thematik widmen. So schrieb beispielsweise Peter Kirschey am 15. Dezember im ehemaligen SED-Zentralorgan Neues Deutschland (ND) es ginge der Museumschefin "immer nur um Geld, Geld, Geld", wofür sie "Tränendrüsiges und Geschäftliches" verflechte.

Am 21. Dezember bezeichnete er es als eine "unerträgliche Heuchelei", daß das Mahnmal am einstigen Todesstreifen nur Deutsche berücksichtige, die "an der deutsch-deutschen Grenze" um Leben kamen, und nicht die "Unbekannten, Namenlosen, Fremden", die heute "irgendwo im Mittelmeer" ertränken, "an der EU-Ostgrenze erschossen" würden oder "in Abschiebe-Gefängnissen" stürben, und zieht den Vergleich: "In der DDR hießen jene Gruppen, die Flucht aus materiellen oder ideellen Gründen beförderten, kriminelle Schleuserbanden, im Westen waren es Fluchthelfer im Namen der Freiheit."

Am 28. Dezember zitiert Kirschey im ND in seinem Rückblick "Kreuzzug an der Friedrichstraße" schließlich ausführlich, daß Hildebrandt in den Medien "fragwürdige Krawallschachtel" genannt und vom Chef des Satiremagazins Titanic gar als "Irre" tituliert worden sei, und weist darauf hin, daß einige der Kreuze auch die Namen von "Suizid- und Unfallopfern" sowie von "Gewalttätern" und "Menschen, die in der Ostsee als Kinder oder als Erwachsene ertrunken sind" verzeichneten.

Zweifelhafte Ehrung für Hildebrandt

Der Tip, nach eigenem Bekunden Berlins größtes Stadtmagazin, meint in seiner Ausgabe vom 30. Dezember schließlich, Hildebrandt als "geschichtsklitternde Erbin vom Checkpoint Charlie" zur "Nummer 1" der "peinlichsten Berliner" des Jahres 2004 küren zu müssen. Die "größte Heimsuchung Berlins", so Tip, entfache "viel Wind um nichts" und würdige das Gedenken zum "Erlebnispark" herab.

Spenden für den Erhalt des Mahnmals an: Arbeitsgemeinschaft 13. August, Deutsche Bank, Konto-Nummer: 6010219, Bankleitzahl 100 700 24, Kennwort "Freiheitsmahnmal".


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