© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 03/05 14. Januar 2005

"Es ist denkbar, daß zu Nachbesserungen aufgefordert wird"
Enteignungen: BVVG-Geschäftsführer Wolfgang Horstmann stellt Ergebnisse aus Flächenverkauf vor / Lavieren beim Thema Restitution an Alteigentümer
Matthias Bäkermann

Ost-Flächen bringen dem Bund Rekordgewinn!", "281 Millionen fließen in die Staatskasse", "Rekordgewinn 2004 - weitere Ziele aber reduziert". Die Resonanz der Tagespresse auf die Auftaktpressekonferenz der Bodenverwertungs- und -verwaltungs GmbH (BVVG), bei der am 7. Januar die Geschäftsführung die Ergebnisse des Jahres 2004 und den Ausblick auf 2005 vorstellte, war einhellig positiv. Und die vom BVVG-Sprecher Wolfgang Horstmann vorgetragenen Zahlen sind oberflächlich betrachtet tatsächlich nicht von der Hand zu weisen: 102.000 Hektar Acker- und Grünland sowie Waldflächen wurden veräußert, und an das Bundesfinanzministerium konnten 281 Millionen Euro abgeführt werden. Unreflektiert bleibt bei diesen Zahlen allerdings, inwieweit sie den ursprünglich an die BVVG geknüpften Hoffnungen entsprechen.

Als am 1. Juli 1992 die BVVG ihren Geschäftsbetrieb aufnahm und aufgrund des Treuhandgesetzes vom Juni 1990 den Verkauf und die Verwaltung ehemals volkseigener land- und forstwirtschaftlich genutzter Flächen im Umfang von etwa drei Millionen Hektar begann, wurde daran von den verantwortlichen Stellen der Kohl-Regierung die Zuversicht geknüpft, weitestgehend die Kosten der deutschen Vereinigung zu begleichen. Nach fünfzehn Jahren, einem mehr als eine Billion Euro hohen Finanztransfer zwischen West und Ost und der immer noch darbenden Wirtschaft in den neuen Ländern müssen die von der BVVG bislang überwiesenen Beträge an den Bund von 2,5 Milliarden Euro allerdings enttäuschen - selbst wenn man die Erlöse zur Entschuldung von ehemaligen volkseigenen Betrieben in Milliardenhöhe berücksichtigt.

"Entschädigung würde immer vor Rückgabe stehen"

Zum Zweck der 1990 angestrebten Finanzierung überging die Bundesregierung alle Ansprüche der ursprünglichen Eigentümer, denen während der sowjetischen Verwaltung zwischen 1945 und 1949 diese Flächen und Immobilien entschädigungslos enteignet worden sind. Die damaligen Hauptverantwortlichen Helmut Kohl und Wolfgang Schäuble bedienten sich des zumindest vom Altkanzler mittlerweile eingestandenen Tricks, diese politische Entscheidung als unausweichliche Forderung der Sowjetführung unter Michail Gorbatschow und Eduard Schewardnadse zu deklarieren, an der die Verwirklichung des Zwei-Plus-Vier-Vertrages gehangen habe.

Die geprellten Alteigentümer sollten so praktisch als historische Bauernopfer dargestellt werden - der Eingriff in das Grundrecht auf Eigentum sollte mit dem höherem Gut staatlicher Vereinigung gerechtfertigt werden. Die von den Betroffenen angestrengten Klagen bis hinauf zum Bundesverfassungsgericht wurden in den Folgejahren dann auch in diesem Kontext abgewiesen.

Die in diesem Jahr anstehende Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg, bei die Alteigentümer nicht nur wegen der mittlerweise entfallenen historischen Fakten auf ein positives Urteil hoffen dürfen, müßte infolgedessen die BVVG-Geschäftsführung stark beunruhigen - würde doch die gesamte Geschäftsgrundlage des staatlichen Unternehmens der vergangenen zwölf Jahre von hochrichterlicher Stelle als nicht anderes als Hehlerei abqualifiziert. Auf Anfrage gibt sich Horstmann auch mit Hinweis auf das bereits ergangene Urteil zugunsten der Neusiedler-Erben (JF 6/04) demonstrativ gelassen: "Diese Rechnung ist an zu viele Unbekannte verknüpft. Wenn das Urteil zugunsten der Alteigentümer ausfiele, wäre völlig unklar, wie darauf reagiert werden muß. Und falls das Ergebnis dann in Form einer Restitution ausfällt, schließe ich eine Naturalrestitution aus. Grundsätzlich würde dann Entschädigung vor Rückgabe stehen."

Allerdings, so gesteht Horstmann ein, rechne er persönlich schon mit einem positiven Richterschluß für die klagenden Alteigentümer. "Es ist denkbar, daß der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Bundesregierung bei der Restitution zu Nachbesserungen auffordern wird." Die im Geschäftsziel bis 2006 formulierte Zurücknahme der Verkaufspläne für die vorwiegend betroffenen Flächen nach dem Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz (EALG) habe jedoch nichts mit den zu erwartenden Urteil aus Straßburg zu tun, versichert der BVVG-Chef.

Über 760.000 Hektar stehen noch zum Verkauf

Doch bei leeren Staatskassen klingt die Prophezeiung Horstmanns, Entschädigung gehe vor Rückgabe, wenig glaubhaft, da die Kontrolle über Flächen eben über sein Unternehmen weiterhin in größerem Rahmen gewährleistet werden könnte. Zudem ist davon auszugehen, so gibt auch sein Stellvertreter Wilhelm Müller unumwunden zu, daß sich in den nächsten Jahren der Verkauf der 760.000 noch zu veräußernden Flächen immer schleppender hinziehen wird. Viele "Sahnestücke" seien bereits verkauft. Außer bei kleineren Parzellen hegen die bisherigen landwirtschaftlichen Pächter aus betriebswirtschaftlichen Gründen eher Kaufzurückhaltung.

Trotz dieser Umstände wird als Geschäftsziel der BVVG für 2005 durch Veräußerung von land- und forstwirtschaftlichen Flächen etwa 240 Millionen Euro avisiert, was mit den erwarteten Verpachtungserlösen von 73 Millionen Euro abzüglich der Verwaltungskosten der 927 Personen starken Behörde einen Überschuß von 220 Millionen Euro ergeben würde, der an Hans Eichels Ministerium überwiesen würde.

Daß die Kontrolle über diese Summen Begehrlichkeit weckt, dokumentieren Pläne aus den Landesministerien in Schwerin und Rostock. Insbesondere in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern befinden sich die meisten noch zu veräußernden Flächen. So sucht der Schweriner Landwirtschaftsminister Till Backhaus (SPD) seit geraumer Zeit, für seinen Plan, sämtliche BVVG-Flächen in einen Bodenfonds zu überführen und die Verwertung dann in Regie der Länder vorzunehmen, mächtige Streiter. Und mit dem Parlamentarischen Staatssekretär im Bundeslandwirtschaftsministerium, Matthias Berninger (Grüne), scheint Backhaus jemanden gefunden zu haben. Berninger äußerte jüngst in die gleiche Richtung gehende Pläne, was in letzter Konsequenz ein Ende der BVVG bedeuten würde. Damit konfrontiert, gerieten die Geschäftsführungskollegen Horstmann und Müller in Verlegenheit: "Wir sind uns auch nicht im klaren, was Berninger gemeint hat. Wir wurden bisher über keine direkten Planungen informiert."


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