© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 03/05 14. Januar 2005

Im Schneckentempo
Meere: Die Aufarbeitung der "Prestige"-Katastrophe stockt
Hans-Ulrich Pieper

Ein letztes Mal erhebt sich die "Prestige" aus den Fluten, dann zerbricht das Schiff in zwei Teile und versinkt mit seiner giftigen Fracht vor der Nordwestküste Spaniens im Atlantik. Der Untergang des mit 77.000 Tonnen Schweröl beladenen Tankers löste am 19. November 2001 die größte Umweltkatastrophe in der Geschichte Spaniens aus - Strände von Portugal bis Südwestfrankreich werden verseucht. Mehr als 250.000 Seevögel verenden - das größte Vogelsterben in der europäischen Geschichte. Zwei Jahre danach scheint das Schlimmste überstanden zu sein. An den Badestränden Nordspaniens finden die Touristen wieder weißen Sand in der Sonne.

Bei der Suche nach den Schuldigen gibt es dagegen kaum Fortschritte. Die Justiz scheint dem Geflecht von Reedern, Ölfirmen, Subunternehmen und Versicherungen machtlos gegenüber zu stehen. Die 26 Jahre alte "Prestige" gehörte einer Firma in Liberia, sie fuhr für eine griechische Reederei unter der Flagge der Bahamas. Sie hatte einen Griechen als Kapitän und eine rumänisch-philippinische Besatzung. Und sie transportierte Öl für einen russischen Konzern mit Sitz in der Schweiz. Durch dieses juristische Dickicht wühlen sich nun die Richter in dem spanischen Städtchen Corcubion. Das Gericht in dem 2.000-Seelen-Ort scheint völlig überfordert zu sein. Normalerweise befaßt es sich mit Erbstreitigkeiten oder Scheidungsfällen.

Die Richter machten fünf "Verdächtige" ausfindig: den Kapitän Apostolos Mangouras, den ersten Offizier und den Maschinisten des Tankers, einen Manager der Reederei und den damaligen Chef der Hafenbehörde. Der Kapitän durfte Spanien seit dem Unglück nicht verlassen. Der 69jährige leidet nach den Angaben seines Anwalts unter Depressionen. Ein Gericht erlaubte ihm jetzt, für drei Monate in seine griechische Heimat zurückzukehren. Neben dem Verfahren in Spanien gibt es noch ein zweites in den USA. Dort hat der spanische Staat das American Bureau of Shipping (Amerikanisches Schiffahrtsbüro/ABS) verklagt, das der "Prestige" Seetauglichkeit bescheinigt hatte. Spanien will vom ABS den Gesamtschaden in Höhe von einer Milliarde Euro erstattet bekommen.

Gegen Mitglieder der damaligen spanischen Regierung wird nicht ermittelt. Diese hatte damals die Anweisung gegeben, den leckgeschlagenen Tanker aufs offene Meer hinausschleppen zu lassen. Sie begründete dies damit, daß sie die Küste schützen wollte, mußte sich aber vorwerfen lassen, das Ausmaß der Katastrophe noch vergrößert zu haben.

Während die Ermittlungen der Justiz im Schneckentempo vorankommen, erzielten die Spanier bei der Behebung der Umweltschäden Fortschritte. Im Meer und an den verseuchten Stränden wurden über 100.000 Tonnen Ölreste - vermischt mit Wasser, Sand und Algen - aufgebracht. An Felsküsten rückte man der "schwarzen Pest" mit ölfressenden Bakterien zu Leibe. Allerdings werden auch heute noch Ölklumpen ans Land geschwemmt. Noch immer sind 300 Leute ständig im Einsatz, um Strände zu säubern. Tausende von Tonnen Schweröl lagern auf dem Meeresgrund, oft von einer Sandschicht bedeckt. Die langfristigen Auswirkungen auf das Ökosystem und den Fischfang sind selbst für Experten unabsehbar.

Bisher haben die spanischen Steuerzahler, die EU und zahlreiche Hilfsorganisationen den entstandenen Schaden getragen. Da sich die Verantwortlichen die Schuld gegenseitig zuschieben, wird in Spanien auch kaum noch mit ihrer Bestrafung oder einem Schadensausgleich gerechnet. "Für die globalisiert organisierten Reedereien gleicht dies einer Einladung nach dem Motto: 'Weiter so!'", resümierte denn auch letztes Jahr die Tageszeitung El País.


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