© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/05 21. Januar 2005

Klima der Verdächtigungen
Sachsen: Suche nach Abweichlern geht weiter / Fraktionen schmieden Bündnis gegen die NPD
Paul Leonhard

Im sächsischen Landtag herrscht Unsicherheit. Wie das Kaninchen auf die Schlange starren die vier Fraktionen CDU, SPD, FDP und Bündnisgrüne auf das Dutzend nationaldemokratischer Abgeordneter. Seit die NPD bei den jüngsten Landtagswahlen 9,2 Prozent erreichte und mit zwölf Abgeordneten in das Parlament einzog, ist nichts mehr, wie es einmal war. Vor allem über den Umgang mit den Rechten ist man sich uneins: Wie soll man auf ihre Anträge reagieren? Sollte man sie ignorieren und einfach ablehnen? Wertet man sie auf, wenn man sich mit ihnen sachlich auseinandersetzt? Darf man mit einem NPD-Abgeordneten im Foyer reden, ihm die Hand geben, ohne anschließend als rechter Sympathisant verunglimpft zu werden?

PDS-Fraktion mit neuem Elan

Nachdem zweimal Kandidaten der NPD - bei der Wahl des Ministerpräsidenten sowie des Ausländerbeauftragten - zwei Stimmen mehr erhielten, als die Nationaldemokraten über Mandate verfügen, herrscht ein Klima der "Verdächtigungen", wie NPD-Fraktionschef Holger Apfel konstatiert. Vor allem in den Reihen der CDU werden "Verräter" vermutet. Unter anderem traute man dem von Sachsens Ministerpräsident Georg Milbradt nicht erneut ins Kabinett berufenen Ex-Wissenschaftsminister Matthias Rößler zu, bei der Ministerpräsidentenwahl für den NPD-Kandidaten gestimmt zu haben.

Der Druck auf den CDU-Mann war so stark, daß sich Rößler bei der Wahl des Ausländerbeauftragten veranlaßt sah, trotz geheimer Abstimmung einem Fraktionskollegen den ausgefüllten Stimmzettel zu zeigen. Rößler wollte den Verdacht loswerden, der Abweichler zu sein. Prompt focht die NPD die Wahl an. Außerdem forderte der NPD-Fraktionschef den CDU-Fraktionsvorsitzenden Fritz Hähle auf, seine Abgeordneten "ihr Mandat wieder frei ausüben zu lassen".

Die Art der von Hähle geführten Einzelgespräche erinnere an "geheimdienstliche Methoden zur Einschüchterung mißliebiger Bürger". Aber nicht nur die NPD fühlt sich als Gralswächterin der demokratischen Grundprinzipien. Auch die PDS-Fraktion präsentiert sich mit neuem Elan. Sie setzt auf die Karte des Antifaschismus und vergißt, daß auch Teile der SED-Nachfolgepartei vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Mit der ritualisierten Auseinandersetzung versuche die PDS, einerseits ihre Klientel zu bedienen und sich andererseits als normaler Teil des demokratischen Spektrums darzustellen, hat Michael Kretschmer, Generalsekretär der Sachsen-Union, beobachtet. Zu befürchten sei, daß die vom sächsischen Verfassungsschutz registrierten "gewissen Aufschaukelungstendenzen" zwischen Linkssozialisten und Rechtsextremisten die "Parlamentsarbeit im Landtag Nachhaltigkeit stören". Daß diese Warnung nicht aus der Luft gegriffen ist, zeigt der Alltag im Dresdner Stadtparlament, wo seit 2004 das Nationale Bündnis mit drei Stadträten vertreten ist.

Um eine "gemeinsam Linie" im Umgang mit der NPD-Fraktion zu finden, haben die Fraktionschefs der Regierungskoalition jetzt eine gemeinsame Erklärung verabschiedet, die inzwischen auch die Oppositionsfraktionen FDP, PDS und Bündnis 90/Die Grünen unterzeichnet haben. "Wir sind empört darüber, daß NPD-Kandidaten bei geheimen Abstimmungen mehrfach zusätzliche Stimmen von anderen Fraktionen erhalten haben", heißt es in dem Papier. Die Abgeordneten, die "für diesen feigen Anschlag auf unsere junge Demokratie verantwortlich sind", sollen bei "zweifelsfreier Identifikation" unverzüglich aus der jeweiligen Fraktion ausgeschlossen werden. Außerdem wird als "dringendste Aufgabe" formuliert, die von der Demokratie Enttäuschten "für die demokratische Wertegemeinschaft zurückzugewinnen". Künftig soll die "Verteidigung der Demokratie Vorrang vor den Parteiinteressen" haben.


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