© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 05/05 28. Januar 2005

Zeitgeschichte für Ewigmorgige
"Gegen das Vergessen - Die große Flucht": Die Vertreibung der Deutschen auf DVD
Ekkehard Schultz

In den letzten Jahren ist die Vertreibung der Deutschen aus weiten Teilen Mittel- und Osteuropas nach dem Zweiten Weltkrieg erfreulicherweise in einer ganzen Reihe von schöngeistiger und wissenschaftlicher Literatur behandelt worden und hat ein durchaus breites Echo gefunden. Auch viele jüngere Menschen - häufig dadurch erstmals mit dieser Thematik konfrontiert - zeigten ein durchaus positives Interesse, sich damit intensiver auseinanderzusetzen.

Was allerdings bislang für einen erfolgreichen "Einstieg" in den Komplex Vertreibung und zur Vertiefung des Wissens fehlte, war ein auf dieses von Kindesbeinen an mit den neuen Medien vertraute Publikum zugeschnittenes Produkt. Diese Möglichkeit, sich am Computer mit Hilfe spielerischen Lernens dieser gerade für den Einsteiger wahrhaft nicht einfach zu nennenden Materie zu nähern, verspricht nun eine DVD-ROM mit dem Titel "Gegen das Vergessen - Die große Flucht", die im vergangenen Jahr in der United Soft Media Verlag GmbH München vom ZDF und dem Bund der Vertriebenen (BdV) gemeinsam erstellt wurde.

So ist es nicht verwunderlich, daß für "Die große Flucht" in erster Line auf bekanntes Film- und Fotomaterial sowie Texte aus der wissenschaftlichen Literatur zurückgegriffen wurde. Überraschungen für ein bereits mit dieser Materie gut vertrautes Publikum sind daher nicht zu erwarten.

Die DVD greift auf bekanntes Material zurück

Der Aufbau der DVD orientiert sich an der mittlerweile klassischen Struktur vieler Internetseiten. In einer Liste kann der Nutzer nach einem kurzen Intro die Rubriken Flucht und Vertreibung, Hintergrund, Integration und Archiv anklicken und sich anschließend in weiteren Unterpunkten je nach persönlicher Interessenslage weiter orientieren.

Unter dem Stichwort "Flucht und Vertreibung" ist sowohl eine Abrufung einer Einführung mit einem historischen Überblick über die Vorgeschichte, die Grundlagen der Berechnungen der Vertriebenenzahlen, eine "Bilanz des Todes" in Form einer Auflistung der - nach vorsichtigen Schätzungen - mindestens 2,23 Millionen direkten Opfer, die während der Vertreibungsvorgänge ihr Leben verloren, sowie eine Literaturauswahl möglich wie auch der Einblick in die konkreten Schilderungen aus den jeweiligen Vertreibungsgebieten in Ostpreußen, Schlesien, Pommern, dem Sudetenland sowie Südosteuropa.

In der Rubrik "Hintergrund" wird neben einer Begriffsbestimmung der "Vertreibung" ein kurzer Abriß in die Geschichte der deutschen Siedlungsgebiete geboten. Aktuelle Bezüge zur Thematik aus den letzten Jahrzehnten und abseits der deutschen Problematik werden unter dem Stichwort "Nachkriegsvertreibung" geliefert. Hier wird eindrücklich vor Augen geführt, daß Vertreibungen keineswegs ein ausschließlich historisches Thema sind, sondern immer noch in Konflikten als politisches Mittel benutzt werden, so in einigen Staaten aus der Konkursmasse der einstigen Sowjetunion und Jugoslawiens wie z.B. Georgien/Abkhasien, Armenien/Aserbaidschan, Serbien/Bosnien/Kroatien.

Im Kapitel "Integration" kann sich der Nutzer ein facettenreiches Bild von der schwierigen Eingliederung der Vertriebenen in den Westzonen bzw. der späteren Bundesrepublik sowie der sowjetischen Besatzungszone und DDR machen. In der SBZ, in der etwa vier von insgesamt über zwölf Millionen vertriebenen Deutschen den ersten Zufluchtsort nach dem Krieg fanden, wurde von Beginn an ausschließlich der Begriff "Umsiedler" im offiziellen Sprachgebrauch verwendet. Bereits 1948 wurde der Prozeß ihrer Integration als "abgeschlossen" betrachtet; Versuche, sich landsmannschaftlich zu organisieren und auf Treffen Traditionen, Brauchtum und Heimatsprache zu pflegen, wurden kriminalisiert und behördlich verfolgt. Aber auch in den Westzonen stand die Vertriebenenthematik zunächst im Hintergrund.

Ein guter Einstieg, der nicht der Präzision entbehrt

Erst im August 1949 wurde mit dem "Soforthilfegesetz" ein offizieller Rechtsanspruch auf monatliche Unterhaltsleistungen begründet, der dann durch das Lastenausgleichsgesetz vom 14. August 1952 erheblich erweitert wurde. An den ausgewählten Beispielen von Geretsried, Neugablonz und Waldkraiburg - neuen von Vertriebenen angelegten Siedlungen - ist der lange, aber letztlich doch erfolgreiche Prozeß der Integration besonders lebendig spürbar. Bedauerlich ist allerdings die Einengung auf den süddeutschen/bayerischen Raum - der in diesem Punkt synonym für ganz Westdeutschland verwendet wird.

Unter dem Stichwort "Archiv" kann schließlich der komplette Inhalt der in den Jahren 1954 bis 1963 vom 1969 aufgelösten Bundesministerium für Vertriebene herausgegebenen Dokumentationen "Die Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus den Gebieten östlich der Oder-Neiße", "Das Schicksal der Deutschen in Ungarn", "Das Schicksal der Deutschen in Rumänien", "Das Schicksal der Deutschen in Jugoslawien" sowie "Die Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus der Tschechoslowakei" abgerufen werden.

Besonders positiv ist zu werten, daß sich die Texte und Textblöcke insgesamt auf das Wesentliche beschränken, damit als Einstieg in die Thematik bestens geeignet sind und dennoch nicht der notwendigen Breite und Präzision entbehren. Trotzdem wäre an manchen Stellen eine noch reichhaltigere Bildauswahl und mehr persönliche Konfrontationen mit Zeitzeugen in Form von Kurzfilmen wünschenswert gewesen. Insgesamt kann die DVD "Die große Flucht" jedoch jedem Interessierten und insbesondere den Jüngeren, die einen ersten Einblick wünschen, nur wärmstens empfohlen werden.

Foto: Vertriebene Deutsche aus Ostpreußen warten nahe Meißen auf ihren Transport über die Elbe

"Gegen das Vergessen - Die große Flucht - Umsiedlung, Vertreibung und Ingration der deutschen Bevölkerung", DVD-ROM für Win und Mac; Systhema in der United Systema Media Verlag GmbH, München 2004.


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