© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 06/05 04. Februar 2005

"Für die Freiheit"
Der ehemalige Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichtes Ernst Gottfried Mahrenholz über die neue Diskussion um die NPD
Moritz Schwarz

Herr Professor Mahrenholz, erneut wird ein Verbot der NPD gefordert. Sie sprechen sich allerdings dagegen aus. Warum?

Mahrenholz: Weil ein Parteienverbot immer einen Rückzug auf dem Feld des Politischen darstellt. Das halte ich in einer Demokratie für den falschen Weg - prinzipiell! Außerdem birgt dieser Ansatz die Gefahr, daß man sich um die Beseitigung der Ursachen für den NPD-Erfolg schließlich gar nicht mehr kümmert, weil das Symptom nicht mehr "drückt". Also: Gerade ein formelles Verbot vergrößert das substantielle Problem. Das böse Erwachen folgt später.

Paul Spiegel fordert dennoch unbedingt ein Verbot der Partei - möglichst ohne Rücksicht auf politische oder juristische Einwände -, da die politische Präsenz der NPD, wie er im ZDF sagte, "einfach unerträglich" sei.

Mahrenholz: Ich kann Herrn Spiegels innere Empörung völlig verstehen, aber ich halte seine Reaktion nicht für klug.

Rechnen Sie mit einem erneuten Verfahren?

Mahrenholz: Gegenwärtig habe ich die Hoffnung, daß das Verfahren unterbleibt.

Würde ein erneutes Verfahren diesmal zu einem Verbot führen?

Mahrenholz: Ich möchte als ehemaliger Verfassungsrichter keine Prognose abgeben.

Viele Menschen empfinden wie Paul Spiegel. Kommt aber in dieser Position nicht eine fatale Mißachtung gegenüber den Prinzipien des Rechtsstaates und der Grundrechte zum Ausdruck?

Mahrenholz: In einem freiheitlichen Rechtsstaat muß sich der Gedanke der Freiheit durchsetzen. Im Klartext: Ob jemand subjektiv eine Partei für unerträglich hält, ist zweitrangig.

Dem wird gern entgegnet: "Die Lehren aus der deutschen Vergangenheit gebieten ..."

Mahrenholz: ... nach meiner Meinung gerade die unbedingte Pflege des Rechtsstaates und der demokratischen Prinzipien! Geben wir diese auf, dann haben uns die Radikalen doch gerade dort, wo sie uns haben wollen!

"Die Bundesrepublik Deutschland läßt die Maske fallen und zeigt, daß sie keine Demokratie ist", würde es von seiten der NPD heißen.

Mahrenholz: Eben, die Propaganda der NPD-Delegitimierungsstrategie würde aufgehen, und man könnte sich moralisch im Recht fühlen mit der Forderung, die "Bundesrepublik Deutschland abzuwickeln", wie das Parteichef Voigt formuliert hat.

Sie sagen "Propaganda", aber hätte die NPD in diesem Moment nicht tatsächlich recht?

Mahrenholz: Darum wäre es ein fatales Zeichen. Nein, wir müssen uns schon die Mühe machen, unserem moralischen Anspruch auch gerecht zu werden.

Halten Sie es für möglich, daß bei einem erneuten Verbotsantrag der politische Zwang zum Erfolg so groß ist, daß notfalls Einfluß auf die Richter genommen würde, um die Entscheidung für ein Verbot sicherzustellen?

Mahrenholz: Nein.

Der erste Verbotsantrag scheiterte an einer Minderheit von drei der sieben Richter des Senates. Wäre es nicht möglich, daß die Parteien bei einem regulären Wechsel der Richter vorausschauend die Ämter mit den Kandidaten neu besetzen, von denen sie wissen, daß sie sich einem Votum gegen die NPD später nicht entgegenstellen würden?

Mahrenholz: So wichtig ist das NPD-Verbot nicht, daß eine Partei von einem einzigen Verfahren die Besetzung eines Richterpostens auf zwölf Jahre abhängig machen würde.

Der kürzlich verstorbene Schriftsteller Dietrich Schwanitz sagte im Interview mit dieser Zeitung: "Die Neonazis sind willkommenes Futter für Massenmedien und Politik. In gewisser Weise benutzen die Neonazis die Fremden als Sündenböcke, wie der Medienapparat die Neonazis: als Simplifikationsschema angesichts einer komplexen Gesellschaft."

Mahrenholz: In einem Punkt hat Schwanitz sicher recht, die Medien machen die NPD so wichtig, wie die NPD gern wäre, es aber tatsächlich nicht ist.

Inwiefern?

Mahrenholz: Politik und Medien spielen mit der ganzen Aufregung der NPD in die Hände! Tatsächlich ist diese Partei nicht aus Zustimmung zu ihrer ideologischen Programmatik, sondern als Zeichen des sozialen Protests gewählt worden. Deshalb vermute ich, daß sich ihre Führungsgremien heimlich die Hände reiben. Seit Tagen besetzt die Partei die Berichterstattung. Provokation gelungen! Nicht zu bezweifeln ist dabei: Die Partei ist gefährlich geworden; sie hat inzwischen etwas SA-mäßiges. Die Frage ist nur: Was ist der Kern und was ist Protest?

Außer einem Verbot der Partei werden auch zahlreiche andere Maßnahmen vorgeschlagen, die sonst niemandem über die Lippen kommen würden: Einschränkung der Parteienfinanzierung für die NPD, Einschränkung der Indemnität - also der Straffreiheit für Äußerungen im Parlament - ihrer Abgeordneten, Einschränkung der Versammlungsfreiheit und des Demonstrationsrechtes.

Mahrenholz: Nur die letzte Überlegung ergibt Sinn. Ein Verbot, in der Nähe des Holocaustmahnmals zu demonstrieren, würde das Demonstrationsrecht der NPD nicht einschränken. Kein Grundrecht darf so weit eingeschränkt werden, daß es seine Substanz verliert. Aber dieses Gebot wäre gewahrt: Denn die NPD könnte schließlich an vielen anderen Ort aufmarschieren.

Also Demonstrationsfreiheit nach Gesinnungsprüfung? Ist das im Sinne des Grundgesetzes?

Mahrenholz: Das Gesetz müßte für alle gelten. - Wobei ich zugebe, so wie sich die NPD in Dresden verhalten hat, hätte ich kein Problem damit, wenn das Verbot nur Parteien beträfe, die sich unzweideutig "rassistisch-antidemokratisch" äußern.

Aber wäre das nicht der Einstieg in die "Gesinnungsjustiz"?

Mahrenholz: Die Gesinnung darf im Strafrecht durchaus eine Rolle spielen, sonst dürfte es einen Straftatbestand wie Volksverhetzung schließlich gar nicht geben.

Man könnte auch daraus folgern, daß es sich ergo um eine politische Kategorie handelt - was manche Kritiker etwa in den USA tun, wie der Politologe Heinrich Oberreuter in einem Interview mit dieser Zeitung einmal bemerkt hat.

Mahrenholz: Die "stille" Gesinnung ist rechtlich irrelevant. Volksverhetzung ist aber ein öffentliches Delikt. Man muß sich doch als Deutscher schämen, wenn die Gesinnung der NPD in der Nähe des Holocaustdenkmals demonstriert wird!

Bringt die Tatsache, daß eine solche Rücksicht zum Beispiel gegenüber Vertriebenen nicht geübt wird, den Volksverhetzungsparagraphen aber nicht doch in den Geruch des einseitig Politischen?

Mahrenholz: Inwiefern?

Vertriebene müssen zum Beispiel auf ihren Treffen Gegendemonstrationen mit Losungen wie "Vertreibt die Vertriebenen!" ertragen. Teilnehmer von Trauerfeiern in Dresden, darunter auch Überlebende des 13. Februar 1945, mußten sich im letzten Jahr Sprüche wie "Do it again Bomber-Harris!" oder "No tears for Krauts!" anhören und es sich gefallen lassen, von Demonstranten mit Konfetti beworfen und von ihnen zu einem Glas Sekt auf die Bombardierung der Stadt eingeladen zu werden. Dagegen hat noch niemand ein Demonstrationsverbot gefordert.

Mahrenholz: Diese Aktionen sind widerlich. Aber solche Gruppen sind keine Konstante in der deutschen Politik. Die NPD dagegen gibt es seit fast vierzig Jahren, und sie provoziert weit stärker als alle diese Gruppen zusammen. Insofern ist es auch gerechtfertigt, daß wir auf sie stärker reagieren.

Der alljährliche Rudolf-Heß-Gedenkmarsch in Wunsiedel ist keine NPD-Veranstaltung. Dennoch soll künftig ein "Wunsiedel-Gesetz" die Aktion verhindern. Über ein "Dresden-Gesetz" gegen die Anhänger der Bombardierung von Städten denkt man dagegen nicht nach.

Mahrenholz: Wunsiedel wehrt sich gegen die Gefahr, nur noch als "Stadt des Rudolf Heß" wahrgenommen zu werden.

Die grundsätzliche Befürchtung ist, daß die geplanten Maßnahmen mehr aus Ergebenheit gegenüber dem Zeitgeist denn aus Gründen des Schutzes der Verfassung erfolgen.

Mahrenholz: Das ist natürlich eine Gefahr, denn tatsächlich konnte man früher an den Berichten des Verfassungsschutzes feststellen, welche Partei im Lande regiert: War die SPD an der Macht, lag die Betonung auf dem Rechtsradikalismus und der Linksradikalismus erschien weniger drückend. War die CDU an der Macht, war es genau umgekehrt.

"Der Verfassungsschutz etwa in NRW beobachtet alles, was nicht auf dem linken Flügel der SPD beheimatet ist", so "Focus"-Chef Helmut Markwort laut "Tagesspiegel".

Mahrenholz: Daß der Verfassungsschutz nicht immer richtig liegt, wissen wir.

Was hat Sie damals so skeptisch gegenüber den Verfassungsschutzberichten gemacht?

Mahrenholz: Der frühere niedersächsische Kultusminister Peter von Oertzen war ein exzellenter Kenner des linken ideologischen Spektrums. Er hat mir oft genug versichert, daß die Beurteilungen des Verfassungsschutzes neben der Sache liegen. Da habe ich gelernt, daß man dem Verfassungsschutz - nicht mit Mißtrauen - aber mit Skepsis begegnen sollte.

Den SPD-Staatsminister im Auswärtigen Amt Christoph Zöpel zitiert die "taz" nach einem Interview mit der JUNGEN FREIHEIT mit den Worten, "daß die Formulierungen des Verfassungsschutzberichtes keine eindeutigen Zuordnungen zum Rechtsextremismus seien. Was dort stehe, sei früher auch über Publikationen der Linken geschrieben worden."

Mahrenholz: Ich kann mir durchaus vorstellen, daß die Gefahr des Rufmordes durch "vorschnelle" Verfassungsschutzurteile existiert.

Wie kann dem abgeholfen werden?

Mahrenholz: Indem die Berichte im Innenministerium aufs genaueste gegengelesen werden und zwar in dem Bewußtsein, wie ruinös die Berichte sich auswirken können.

Sie haben die Relevanz der NPD damit erklärt, daß sie eine politische "Konstante in der deutschen Politik" sei. Die PDS ist das aber nicht minder, hat jedoch im Gegensatz zur NPD mehr Prozente und sogar Regierungsmacht.

Mahrenholz: Die CDU in Sachsen sprach nach der Landtagswahl im Herbst gern von "26 Prozent für die Extremisten". Das ist natürlich so eine Masche, beide Parteien in einen Topf zu rühren! Tatsächlich aber ist die PDS weder, was das demokratische noch was das intellektuelle Niveau angeht, mit der NPD vergleichbar.

Immerhin hat die PDS als SED im Gegensatz zur NPD vierzig Jahre Diktatur auf dem Kerbholz.

Mahrenholz: Das hat auch die Ost-CDU und die ehemalige LDPD - die frühere "Ost-FDP". Von Bußfertigkeit habe ich in diesen Pareien noch nie etwas gehört. Aber das Erscheinungsbild der PDS ist ein ganz demokratisches.

Auch in der NPD gibt es demokratische Abstimmungen, Kampfkandidaturen, bis hin zu Abspaltungen unter der Führung abgewählter Parteifunktionäre. Gäbe es da keine Binnendemokratie, wäre sie schon längst verboten.

Mahrenholz: Ich bin sicher, die Satzung der NPD ist in Ordnung, nur wird die demokratische Kultur dieser Partei dem nicht entsprechen. Ich habe die PDS anfangs wirklich mit der größten Skepsis betrachtet, aber ich muß eingestehen, heute ist sie eine demokratische Partei.

Der NPD wird nun wegen der Verwendung des Wortes "Bombenholocaust" - als eine "Relativierung" des Holocaust - Verfassungsfeindlichkeit vorgeworfen. Vom Holocaust ist im Grundgesetz aber doch gar nicht die Rede.

Mahrenholz: Ist eine Verhöhnung des Holocaust verfassungswidrig? Ist der Begriff "Bombenholocaust" verfassungswidrig? Ich glaube, nein. Aber es ist etwas viel schlimmeres: Er ist unsittlich! Weil er den Respekt vor den Opfern des Nationalsozialismus vermissen läßt.

Das würde bedeuten, daß der Holocaust über der Verfassung steht?

Mahrenholz: Es gibt Gott sei Dank eine Moral, die nicht erst durch ein Grundgesetz sanktioniert werden muß.

Der Historiker Jörg Friedrich hat im Zusammenhang mit seinem Bombenkriegs-Buch "Der Brand" zur Beschreibung der britischen Bombenangriffe auf deutsche Städte von fliegenden "Krematorien" und "Einsatzgruppen" gesprochen. Zwar waren die Äußerungen umstritten, aber einer Relativierung des Holocaust oder gar der Verfassungsfeindlichkeit hat ihn keine seriöse Institution bezichtigt.

Mahrenholz: Ich wäre selbst beinahe am 28. März 1945 bei einem Bombenangriff ums Leben gekommen. Wenn die nationalsozialistische Propaganda damals von "Terrorangriffen" gesprochen hat, dann kann ich nur sagen: So haben wir das tatsächlich empfunden. Und das war auch ihr Sinn. Aber: Man muß auch wissen, wo die Grenze ist! Es stimmt, die Kriegführung der Alliierten wurde nicht kritisiert, während jede Tat auf deutscher Seite sorgfältig abgewogen wurde. Und auch ich empfinde die Vernichtung Dresdens als völkerrechtswidrig. Aber ich würde niemals irgendeinen Vorgang in diesem Krieg mit dem Holocaust gleichsetzen! Nicht einmal Arthur Harris wollte das deutsche Volk dezimieren. Er war am Ende des Krieges bloß ein von der Politik abgekoppelt agierender Städtezerstörer. Wer mit Worten wie "Bombenholocaust" operiert, instrumentalisiert das Wort für seine Zwecke. Wenig in der Politik ist so schäbig.

 

Prof. Dr. Ernst Gottfried Mahrenholz: Der SPD-Politiker war von 1987 bis 1994 Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichtes in Karlsruhe. 1970 wurde er Leiter der niedersächsischen Staatskanzlei, von 1974 bis 1976 war er Kultusminister und bis zu seiner Berufung nach Karlsruhe 1981 Landtagsabgeordneter und Mitglied im Landesvorstand seiner Partei. Geboren wurde Mahrenholz 1929 in Göttingen.

 

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