© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 06/05 04. Februar 2005

Gegenentwurf mit Hindernissen
Zentrum gegen Vertreibungen: Europäisches Konkurrenzprojekt kämpft mit Startschwierigkeiten
Peter Freitag

Was als geschickter Schachzug ersonnen war, entwickelt sich zu einem Rohrkrepierer: Die Idee, ein "Europäisches Netzwerk gegen Vertreibung und Zwangsmigration" ins Leben zu rufen, stammt aus dem Umfeld der Bundesregierung und diente in erster Linie der Abwehr des vom Bund der Vertriebenen (BdV) initiierten Zentrum gegen Vertreibungen (ZgV). Dieses war als Stiftung im Jahre 2000 gegründet worden mit dem Ziel, in Berlin ein Mahnmal, Museum und eine Forschungsstätte zusammenzufassen. Nachdem dies insbesondere in Polen Unmut hervorgerufen hatte, weigerte sich die Koalition, im Mai 2002 einem Antrag der CDU/CSU-Bundestagsfraktion auf staatliche Unterstützung des ZgV zuzustimmen.

Statt dessen sollte eine eindeutige deutsche Opferperspektive verhindert und das Gedenken an die Vertreibung "europäisiert" werden. Die Kulturstaatsministerin im Bundeskanzleramt, Christina Weiss (parteilos), brachte als Alternative ein "loses Netzwerk" mit einem Sekretariat in die Debatte. Wo sich dieses Sekretariat befinden werde, ist noch unklar; Weiss meinte dazu, es könne "überall, wahrscheinlich am wenigsten in Deutschland" sein.

Noch bevor jedoch das Projekt des Netzwerkes Gestalt angenommen hat, droht ausgerechnet aus den Reihen der Bundesregierung das Aus. Weiss' Plan, in dieser Woche mit ihren Kollegen aus mittel- und osteuropäischer Staaten eine "Gründungserklärung" zu unterzeichnen, rief den Widerspruch des Außenministeriums hervor. Wie der Spiegel berichtet, intervenierte das Auswärtigen Amt (AA) beim Bundeskanzleramt gegen Weiss' Vorhaben mit dem Hinweis, daß der Staatsministerin die Befugnis zu vertraglichen Vereinbarungen mit anderen Ländern fehle. Die Sorge der Diplomaten betrifft offenbar vor allem mögliche völkerrechtliche Verbindlichkeiten eines solchen Schriftstücks, aus denen für Deutschland auch Zahlungsverpflichtungen erwachsen könnten. Trotz dieser Einwände wolle Weiss jedoch an ihrem Vorhaben festhalten.

Die Opposition spricht von einem peinlichen Kompetenzstreit, der die Konzeptionslosigkeit der rot-grünen Regierungskoalition im Gedenken an die Vertreibung beweise. "Für die Bundesregierung ist dies ein Offenbarungseid. Wieder einmal wird deutlich, daß diese Initiative nicht aus eigenem Antrieb heraus erfolgt ist, sondern lediglich das Ziel verfolgt wurde und wird, das von den Unionsparteien unterstützte 'Zentrum gegen Vertreibungen' in Berlin zu verhindern", sagte Erwin Marschewski, Sprecher der Arbeitsgruppe Vertriebene und Flüchtlinge der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Fast drei Jahre, nachdem Rot-Grün den Antrag der Union abgelehnt habe, das ZgV zu unterstützen, sei immer noch "nicht absehbar, wann der Öffentlichkeit etwas Substantielles zugänglich gemacht werden kann", monierte Marschewski. Sein Hinweis, daß "wesentliche Partner in Europa" - darunter die Tschechische Republik - bis heute nicht für das "Netzwerk" gewonnen werden konnten, berührt in der Tat den wunden Punkt des Vorhabens: Die Gegnerschaft der Bundesregierung zu dem Zentrum gegen Vertreibungen ist vor allem der Rücksichtnahme auf nationale Befindlichkeiten in den ehemaligen Vertreiberstaaten geschuldet.

Nun zeigt sich, daß noch nicht einmal ein europäisiertes, einer spezifisch deutschen Sicht weitgehend entkleidetes Gedenken an die Vertreibungsverbrechen bei allen betroffenen Staaten auf die erhoffte Gegenliebe stößt. So erhielt auf der Sitzung der Parlamentarischen Versammlung des Europarates in Straßburg in der vergangenen Woche ein Antrag zur Gründung eines Europäischen Gedenkzentrums für Opfer von Zwangsvertreibungen und ethnischen Säuberungen nicht die notwendige Zweidrittelmehrheit.

Ungeachtet dieses aktuellen Streits gibt man sich bei der deutschen Stiftung Zentrum gegen Vertreibungen zuversichtlich. Trotz möglicher inhaltlicher Überschneidungen zu einem geplanten europäischen "Netzwerk" befürchte man keine Konkurrenz, so ein Sprecher der Stiftung auf Anfrage der JUNGEN FREIHEIT. Im Gegensatz zu diesem noch unausgegorenen Vorhaben sei das eigene Projekt bald realisiert. Man erwarte, daß bereits innerhalb des nächsten Vierteljahres auch ein Gebäude für das Zentrum in Berlin gefunden werde.

Foto: Kulturstaatsministerin Weiss im Schlesischen Museum in Görlitz: Sie hält an ihrem Vorhaben fest


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