© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 06/05 04. Februar 2005

Entscheidungen von einer fremden Macht getroffen
Irak: Wahlen unter hoher Beteiligung von Schiiten und Kurden / Sunniten boykottierten die Abstimmung weitgehend / Kein Ende des Terrors in Sicht
Alexander Griesbach

Ein "Schlag ins Gesicht des internationalen Terrorismus" - so charakterisierte der britische Premierminister Tony Blair die ersten Wahlen im Irak seit 1953. Ganz im Geist der neuen Freiheits-Rhetorik der US-Regierung ergänzte Blair, daß man im "ganzen Irak die Kraft der Freiheit" habe spüren können.

In der Tat: Daß angeblich 60 Prozent der zur Wahl registrierten Iraker trotz der Anschläge und der Drohungen von Terroristen den Weg an die Wahlurnen fanden, kann aus Sicht der "Koalition der Willigen" als Erfolg verbucht werden. US-Präsident George W. Bush gratulierte denn auch im "Namen der amerikanischen Bürger" den Irakern zu dieser "großen und historischen Leistung".

Die dem Irak-Krieg ablehnend gegenüberstehende rot-grüne Bundesregierung sprach von einer "wichtigen Etappe auf dem Weg zum Aufbau demokratischer Strukturen". Die Wahlbeteiligung sei "als Ausdruck der festen Entschlossenheit der Mehrheit der Iraker zu werten, die Geschicke und die Zukunft ihres Landes in die eigenen Hände zu nehmen", sagte Regierungssprecher Béla Anda. Außenminister Joseph Fischer stellte klar, daß Deutschland weiterhin irakische Soldaten und Polizisten ausbilden werde - allerdings nicht im Irak selbst. Als große Herausforderung bezeichnete er die Ausarbeitung der Verfassung.

Wie der EU-Ratsvorsitzende, Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn, betonte Fischer, die sunnitische Minderheit müsse trotz ihrer geringen Wahlbeteiligung in die Beratungen einbezogen werden. Schlicht einen "Freudentag für den Irak" machte Friedbert Pflüger, der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, aus.

Letzten Sonntag hatten die Wähler im Irak einen fast einen Meter langen und etwa 60 cm breiten Zettel auszufüllen, auf dem sich 257 Kästchen fanden. Sie mußten dabei nicht nur über die Zusammensetzung der 275 Sitze umfassenden neuen Nationalversammlung entscheiden, sondern auch die Mitglieder von 18 Provinzräten bestimmen. Die Bewohner der halbautonomen Kurden-Region wählten darüber hinaus ein eigenes Parlament (JF 05/05).

Die Mehrheit der angetretenen Kandidaten befürwortet entweder die US-Invasion oder hat sich mit den Amerikanern arrangiert. Dies gilt etwa für den Wahlblock Vereinte Irakische Allianz (UIA), die ungeachtet der Tatsache, daß sich in ihr auch kurdische, turkmenische und sunnitische Exponenten finden, als "schiitische Liste" gilt.

Die UIA strebt danach, ihren Einfluß auf die schiitische Bevölkerungsmehrheit, die etwa 60 Prozent der irakischen Bevölkerung stellt, zu nutzen, um das Übergangsparlament zu dominieren. Sie wird vom höchsten schiitischen Geistlichen des Irak, Großajatollah Ali al-Sistani, unterstützt. Allerdings sehen viele Schiiten in der UIA schlicht "Kollaborateure".

Der Ruch der Kollaboration umgibt den Irakischen Nationalkongreß (INC), zu dem der einstige US-Favorit Ahmed Tschalabi gehört - derselbe Tschalabi, der einst den USA mit der Behauptung in die Hände spielte, der Irak besitze "Massenvernichtungswaffen".

Iyad Allawis Irakische Liste besteht im wesentlichen aus emigrierten und einheimischen Geschäftsleuten und Vertretern der irakischen Elite. Auch diese Liste steht für ein Arrangement mit den Amerikanern. Sie suggeriert, daß Allawi derjenige Mann sei, der mit den von den USA geführten Besatzungstruppen den Terror im Irak besiegen und für Stabilität sorgen wird.

Gegenpol zu all diesen Listen ist der angebliche Anführer von al-Qaida im Irak, Abu Mussab al Sarkawi. Er hat keinen Zweifel gelassen, daß Demokratie mit dem Islam, so wie er ihn versteht, nicht vereinbar sei und nur den "christlich-zionistischen Kreuzzüglern" diene. Sarkawi hat vor der Wahl nichts unversucht gelassen, Angst zu erzeugen. Martialisch kündigte er an, die Straßen der Hauptstadt würden mit dem Blut der Wähler gewaschen. Tatsächlich mußten einige Dutzend Wähler ihr Leben lassen. Bei einem Anschlag auf eine Hercules-Transportmaschine der Royal Airforce starben neun Briten und ein Australier. Daß aus Ramadi, Hit und Falludscha Kämpfe zwischen Rebellen und US-Soldaten gemeldet wurden, ist inzwischen alltäglich. Daß sich Sarkawi durch die Wahl beeindrucken läßt, steht nicht zu erwarten.

Weitere 80 Milliarden Dollar für die Besatzung des Irak

Eine ganz andere Strategie verfolgen sunnitische Kreise, die sich vielfach der Wahl verweigerten. Sie versuchen aber dennoch, wie die Muslim Scholars Association, über die Ausarbeitung der Verfassung Einfluß auf den politischen Gestaltungsprozeß nehmen. Der Verfassungsentwurf kann nur von maximal drei der 18 irakischen Provinzen abgelehnt werden. Deshalb hatte hinter den Kulissen das Gefeilsche darum, welche Ministerposten an Vertreter der Sunniten fallen werden, lange vor den Wahlen begonnen.

Eine Sonderrolle spielen die drei kurdischen Provinzen des Nordirak. Die bürgerlich-nationalen Parteien haben die "Kurdistan-Allianz" gebildet. Diese arbeitet auf einen Kurdenstaat hin, zu dem lukrativen Ölfelder im Norden des Irak gehören sollen. In Kirkuk gibt es bereits Anzeichen dafür, daß die Araber und Turkmenen aus der Stadt gedrängt werden sollen.

Ein Abzug der Amerikaner ist trotz der Wahlen in weiter Ferne. Die Regierung Bush hat den Kongreß letzte Woche um weitere 80 Milliarden Dollar gebeten, um die Besatzung zu finanzieren. Das Pentagon erklärte, daß 120.000 US-Soldaten noch mindestens zwei Jahre im Irak bleiben werden. "Viele Iraker akzeptieren nicht, daß die fundamentalen Entscheidungen über die Art ihres künftigen politischen Systems von einer fremden Macht getroffen werden", kommentierte John Burns, Irak-Korrespondent der New York Times. Die Soldaten müßten jetzt "unverzüglich" die Heimreise antreten, fordert der demokratische US-Senator Ted Kennedy.

"Waren die Wahlen auch gut für den Irak?" fragte die russische Newawissimaja Gaseta. "Es könnte sein, daß sie die Lage im Land nicht nur verschärfen, sondern den Vielvölkerstaat zerspringen lassen. Den Staat Irak gibt es im Grunde nicht mehr, es existiert nur noch das 'Gebiet des ehemaligen Irak'." Je ehrlicher und legitimer die Wahlen seien, desto schneller und effektiver würden sie für einen "Zerfall des Landes" sorgen. Vieles deutet darauf hin, daß der Kommentator recht behalten könnte.


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen