© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/05 11. Februar 2005

Kein Christen-Club
CDU und CSU hieven türkische Islamisten in die Europäische Volkspartei
Peter Lattas

Wo "christdemokratisch" draufsteht, steckt allemal prinzipienloser Opportunismus dahinter. Wer glaubt, daß die CDU bei der Bestätigung dieses Vorurteils den Vogel abschießt, der kennt die Europäische Volkspartei (EVP) nicht. Die hat beschlossen, der islamistischen Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) des neuen starken Manns der Türkei, Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan, den Beobachterstatus zu verleihen. Vorbei die Anti-Türkei-Rhetorik aus dem Europawahlkampf - die von Hans-Gerd Pöttering (CDU) geführte EVP-Fraktion in Straßburg probt schon mal den Beitritt der islamistischen Regierungspartei.

"Wir sind die ersten, die neue Parteien aus Europa verbundenen Ländern bei uns aufnehmen", frohlockt EVP-Fraktionsvize Othmar Karas (ÖVP). Inhalte spielten bei dieser "Verbreiterung der Basis" offenbar keine Rolle. Sonst hätte man ja zwei türkische Parteien auszeichnen können, die mit ihrer konservativ-laizistischen Ausrichtung eher als Gleichgesinnte gelten könnten: die Partei des rechten Weges (DYP) und die Mutterlandpartei (Anap).

Zu beiden Gruppen hatte gerade die CDU enge Kontakte aufgebaut; die Unterstützung der Anap durch die Konrad-Adenauer-Stiftung beschäftigte noch vor kurzem die türkischen Gerichte. Doch ihre Aushängeschilder, Tansu Ciller und Mesut Yilmaz, sind als Regierungschefs gescheitert, DYP und Anap haben bei der Parlamentswahl 2002 die Zehn-Prozent-Hürde verfehlt. Mit klarem Widerstand gegen die EU-Ambitionen Erdogans hätten die EVP und die ihr nahestehenden nichtsozialistischen Regierungschefs diese Parteien stärken und den Höhenflug des islamistischen Bosporus-Machiavelli bremsen können. Doch die Macht zählt, nicht das Programm; also hält man sich an die Mächtigen, läßt einflußlos gewordene Alliierte einfach fallen und umarmt statt dessen lieber einen klaren Islamisten.

Wer ist dieser Recep Tayyip Erdogan? Seine Biographie spricht Bände: Schon 1969 in die "Milli Görüs"-Bewegung eingetreten, macht Erdogan als Ziehsohn des Islamisten-Patriarchen Necmettin Erbakan in den Achtzigern rasch Karriere, wird 1994 Oberbürgermeister von Istanbul und probt die Einführung eines islamistischen Regiments. Eine Hetzrede - "die Moscheen sind unsere Kasernen, die Kuppeln unsere Helme; die Minarette unsere Bajonette und die Gläubigen unsere Soldaten", hatte er den Dichter Ziya Gökalp zitiert - bringt ihm 1998 die Absetzung und Verurteilung zu Gefängnis und Politikverbot ein.

Nach der Haftentlassung frißt Erdogan Kreide und lobt das kemalistische Prinzip der Trennung von Staat und Religion. Frau und Töchter allerdings zeigen sich öffentlich nur mit Kopftuch-Vermummung; der Nachwuchs studiert wegen des Kopftuch-Verbots an türkischen Universitäten in den USA. Daß Ministerpräsident Erdogan hofft, mit Brüsseler Hilfe die Armee als Hüter der laizistischen Atatürk-Verfassung aushebeln zu können, ist ein offenes Geheimnis. Demokratie, sagt Erdogan, ist ja "nur der Zug, auf den wir aufsteigen, bis wir am Ziel sind".

Sieht so ein "Reformer" aus, der von Bundeskanzler Gerhard Schröder mit dem Quadriga-Preis geadelt wird? Ist seine Partei, eine Abspaltung der radikal-islamistischen Tugend-Partei seines Vorbildes Erbakan, wirklich nur harmlos "konservativ-demokratisch", wie Erdogan nimmermüd beteuert? Man muß schon naiv sein bis zur vorsätzlichen Dummheit, um das zu glauben. Aber Angela Merkel hat ja längst vorexerziert, wie man sich die Realität bei Bedarf zurechtbiegt. Die CDU habe mit Erdogans AKP doch einiges gemeinsam, verkündete deren Chefin nach ihrem Ankara-Besuch im Februar 2004; beide Parteien bezögen "ihre Werte aus der Religion".

Was die Union angeht, sind da Zweifel angebracht. Als der designierte EU-Kommissar Rocco Buttiglione, der seine Werte tatsächlich aus dem katholischen Glauben bezieht, von einer sozialistisch-linksliberalen europäischen Einheitsfront weggemobbt wurde, war der mit Schimpf und Schande davongejagte Martin Hohmann so ziemlich der einzige deutsche Christdemokrat, der für ihn in die Bresche sprang.

Zugegeben: Als gewiefter Pragmatiker, der jedem erzählt, was er gerne hören will, wenn er sich davon nur einen Vorteil verspricht, paßt Erdogan glänzend zur Merkel-CDU und ihren gesinnungslosen politischen Freunden. Der AKP-Chef ist aber auch ein Stratege, der bei aller situationsbedingten Verstellung und Täuschung seine langfristige Vision niemals aus den Augen verliert: die Verwirklichung einer islamischen Staats- und Gesellschaftsordnung in der Türkei und einem möglichst großen Teil von Europa. In dieser Hinsicht ist er den pseudo-christdemokratischen und scheinkonservativen Opportunisten von der EVP überlegen, deren visionäre Kraft sich im Wunsch nach einem möglichst großen Stück vom Pfründekuchen erschöpft.

Der Islamistenführer mag sich nach diesem Coup fühlen wie einst Lenin, der sich händereibend über die "nützlichen Idioten" im "dekadenten Westen" freute, die ihm sogar noch die Stricke verkaufen würden, an denen er sie dann aufhängen könnte. So weit muß Erdogan bei der Eroberung Europas gar nicht gehen. Helme und Bajonette können in den Kasernen bleiben - die "Christen-Clubs" begehen ja freiwillig Suizid.


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