© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/05 11. Februar 2005

Lokalpolitiker lösen Diskussion über 8. Mai aus
Erinnerungspolitik I: Berliner Bezirksverordnete verabschieden umstrittene Resolution / Linke lehnen Gedenken an deutsche Opfer ab
Ronald Gläser

Torsten Hippe war ziemlich baff, als er den Antrag der PDS-Bezirksverordneten Sieglinde Wagner las. Die einzige PDS-Abgeordnete im Berliner Bezirksparlament von Steglitz-Zehlendorf hatte am 9. November 2004 folgenden Antrag in die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) eingebracht: "Den 60. Jahrestag der Unterzeichnung der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht vor den Vertretern der alliierten Streitkräfte am 8. Mai 1945, der von den meisten Völkern Europas seitdem als Tag der Befreiung und des Sieges gefeiert wird, auch im Bezirk im Rahmen eines Gedenktages mit geeigneten Veranstaltungen zu würdigen, die seinem Rang als europäischer Tag des Erinnerns gerecht werden."

Für den CDU-Mann Hippe war das Maß des Erträglichen an dieser Stelle überschritten. Ihn störte die in dem Antrag der PDS-Abgeordneten enthaltenen Denkweise, die den 8. Mai ausschließlich - der kommunistischen Sicht folgend - sowohl als einen Tag der Befreiung wie auch als einen Tag des Sieges versteht. Hippe beschloß, alles zu versuchen, um den Antrag auf jeden Fall zu verhindern.

Dabei sah es zunächst gar nicht so gut für den CDU-Mann aus: Die Liberalen drohten in der Versammlung mit den Linken für den Antrag zu stimmen. Zumindest der 29 Jahre alte Kay Erhardt, Fraktionschef der sieben FDP Bezirksverordneten, war "pro Gedenkfeier", sagt Hippe rückblickend. Da wurde den meisten Abgeordneten der CDU klar, daß nur ein alternativer Antrag die Liberalen davon abhalten konnte, gemeinsam mit PDS, SPD und Grünen zu stimmen.

Also wurde hektisch ein CDU-Antrag zum 8. Mai zusammengezimmert, der da lautet: "Das Bezirksamt (BA) würdigt im Rahmen einer Veranstaltung den 60. Jahrestag der bedingungslosen Kapitulation der Deutschen Wehrmacht am 8. Mai 2005. Der 8. Mai steht neben der Befreiung vom totalitaristischen Naziregime auch für den Schrecken und das Leid der Bevölkerung, den die Rote Armee von Ostpreußen bis nach Berlin zu verantworten hat. Im Rahmen der Veranstaltung gedenkt das Bezirksamt der Verfolgten und Ermordeten des Naziregimes, der Kriegsopfer, Flüchtlinge, Vertriebenen, geschändeten Frauen und der Opfer des sinnlosen Bombenkrieges."

In seiner Rede vor der BVV zu diesem Antrag sagte Hippe, der 8. Mai sei für ihn kein Datum zum Feiern. Er vertrete eine ambivalente Auffassung dazu, denn mit dem Ende der Nazi-Herrschaft sei nun mal einhergegangen, daß "Hunderttausende vergewaltigt und vertrieben wurden." Außerdem sei ein Drittel des Reichsgebietes verlorengegangen, in Mitteldeutschland sei eine andere Diktatur errichtet worden. "Ich wünsche mir positive Bezugspunkte in unserer Geschichte. Der 8. Mai ist das nicht", so Hippe weiter.

Der Antrag wurde am 19. Januar - die PDS-Verordnete war noch im Urlaub - mit den Stimmen der Bezirksverordneten von FDP und CDU angenommen. Danach, so Hippe weiter, habe man nicht mehr über das Thema geredet. Es dauerte etwa zehn Tage, bis ein Aufschrei der versammelten Linken durch die Stadt ging - bis hin zu einer Demonstration der Jusos vor der CDU-Geschäftsstelle. Schon die Zeit, die bis zum Einsetzen des Gezeters verging, verrät: Wirklich spontan ist die Entrüstung über den CDU/FDP-Antrag nicht. Vielmehr kann man von einer Kampagne sprechen, in die sich sogar der Botschafter Rußlands eingeschaltet hat, der den Beschluß kritisiert hat. Was soll er auch anderes tun?

Vergleich mit der NPD in Sachsen darf nicht fehlen

Allen voran stachelt das Neue Deutschland seine Leser gegen die bürgerliche Koalition in Steglitz-Zehlendorf auf. So hieß es dort: "Auch CDU und FDP rühren in brauner Brühe". Das Blatt brüstet sich damit, "einen weiteren parlamentarischen Skandal aufgedeckt" zu haben. Der Vergleich mit der NPD-Fraktion im Sächsischen Landtag darf da natürlich nicht fehlen. Tags darauf wandte sich die Grünen-Fraktionschefin in der BVV, Irmgard Franke-Dressler, an die Öffentlichkeit: "Ich finde den Beschluß unsäglich", sagte sie der Berliner Zeitung und wurde noch deutlicher: "Am 8. Mai gehört das Gedenken an die deutschen Opfer nicht dazu." Wieder einen Tag später kommentierte abermals die Berliner Zeitung in der Diktion der SED-Nachfolger und unter der Überschrift "Steglitz nahe bei Dresden" den CDU/FDP-Antrag mit den Worten: "Weniger spektakulär, aber viel interessanter ist, was sich in der bürgerlichen Mitte Berlins abspielt. Das Programm heißt nicht, wie bei der NPD, Leugnung, sondern Relativierung von NS-Verbrechen."

Der Bezirksverordnete Hippe war selbst überrascht, "was das für Wellen geschlagen hat". Das sieht auch sein Fraktionsvorsitzender Norbert Kopp so, der sich überrascht gab "von der Schärfe, mit der die Diskussion geführt werde". Kopp sieht allerdings keinen Bedarf für eine "Nachbesserung" des Antrags. Mittlerweile haben sich auch die Landesverbände von CDU und FDP eingeschaltet: Beide erklärten unisono, es gäbe an dem Antrag nichts zu beanstanden. Dafür konnte sich aber Berlins Innensenator Ehrhart Körting (SPD) einen Seitenhieb unterhalb der Gürtellinie nicht verkneifen. Bei der Vorstellung einer Verfassungsschutzstudie sagte er: "Bei der dumpfen Grundrichtung, die im Lager aktionsbereiter Rechtsextremisten herrscht, fallen die Äußerungen der NPD im sächsischen Landtag und das Vorgehen von CDU und FDP in der Bezirksverordnetenversammlung Steglitz Zehlendorf im Zusammenhang mit dem 8. Mai auf fruchtbaren Boden."

Auch Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) und der SPD-Landesvorsitzende Michael Müller äußerten sich ähnlich. Müller sagte, daß Berlins CDU-Vorsitzender Joachim Zeller nicht mehr als glaubwürdig angesehen werden könne, wenn er nicht gegen die geplante Feier interveniere. Der einzige Politiker aus dem CDU/FDP-Spektrum, der sich gegen die eigenen Parteifreunde stellte, war der längst entmachtete Alt-Linke FDP-Mann Wolfgang Lüder. Seine Kritik an der "unerträglichen Geschichtsklitterung" blieb ungehört.

Vor allem die Standfestigkeit der Liberalen überrascht, weil nur eine der sieben Abgeordneten der FDP-Fraktion als "Rechte" bekannt ist. Die anderen sind unbeschriebene Blätter oder gelten als FDP-Linke. Über ein Umkippen der CDU wird man sich noch weniger sorgen müssen, versichert Hippe: "Ich kann mir nicht vorstellen, daß wir hier einknicken." Und er hofft, eines Tages dafür belohnt zu werden: "Wir rechnen damit, wegen dieser Geschichte bei der nächsten Wahl Stimmen gewinnen zu können."

Hinweise erbeten

Der Streit um die Resolution zum 60. Jahrestag des Kriegsendes zeigt exemplarisch den Versuch, den 8. Mai einseitig als einen Tag der Befreiung zu begehen, an dem kein Platz mehr ist, um an die deutschen Opfer zu erinnern. Wir bitten alle Leser, Hinweise auf ähnliche Diskussionen in anderen Städten und Gemeinden der Redak-tion zukommen zu lassen: JUNGE FREIHEIT, Redaktion, Hohenzollerndamm 27 a, 10713 Berlin


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen