© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/05 11. Februar 2005

"Es ist unsere Sache, unsere Zukunft zu bestimmen"
Spanien: Baskischer Freistaats-Plan versetzt Madrid in Aufruhr / Sozialisten und Volkspartei vehement dagegen / Demokratischer Testfall für ganz Europa
Martin Schmidt

Mit der real existierenden Demokratie haben manche Regierungen ihre Probleme. Prinzipiell begrüßen sie selbstverständlich alle demokratische Entscheidungen, tatsächlich jedoch wird immer wieder zwischen "guten", sprich erwünschten Volksentscheidungen und mehr oder weniger schlechten, nämlich unerwünschten demokratischen Voten differenziert. Frei nach Bertolt Brecht ließe sich für solche Fälle sagen: Demokratie, das ist immer die Demokratie, wie sie von den Mächtigen interpretiert wird. Ein Lehrbeispiel, wie das in der Praxis aussehen kann, liefert derzeit Spanien, besser gesagt: das Baskenland.

Man muß kein Sympathisant der linksnationalen baskischen Untergrundbewegung ETA sein, um zumindest eine gewisse Berechtigung des Unabhängigkeitsstrebens der Basken anzuerkennen. Dieses ist zuletzt in eine neue, entscheidende Phase getreten, nachdem das baskische Regionalparlament Ende 2004 einen weitreichenden Autonomieplan verabschiedete. Dieser "Plan Ibarretxe" - benannt nach Juan José Ibarretxe Markuartu, dem katholisch-konservativen "Lehendakari" (Präsidenten) der Baskischen Regierung - hat einen nur noch lose mit Spanien verbundenen "Freistaat" zum Ziel. Außerdem sieht er die Abhaltung eines regionalen Unabhängigkeits-Referendums vor.

Fast alle deutschen Medien bewerten das Vorhaben als "anachronistisch für das zusammenwachsende Europa des 21. Jahrhunderts" und als aussichtslos. Zwar gebe es in der dortigen Bevölkerung der unruhigen Nordostprovinzen eine knappe Mehrheit für den seit sechs Jahren regierenden Ibarretxe, doch die Masse der 43 Millionen Einwohner Spaniens sei ebenso gegen eine Loslösung des Baskenlandes (baskisch: "Euskadi") wie die beiden großen Parteien der Sozialisten (PSOE) und konservativen Volkspartei (PP). Bei einer Abstimmung über den "Plan Ibarretxe" im Madrider Nationalparlament gab es am 1. Februar eine überwältigende Mehrheit für die Gegner (313 von 344 Abgeordneten stimmten mit Nein).

Viele Beobachter verweisen auf den Autonomiestatus des Baskenlandes, den dieses nach dem Ende der zentralistischen Franco-Ära mit der Verfassung vom Dezember 1978 erhielt (und zwar zusammen mit 16 weiteren autonomen Gemeinschaften). Man konnte fortan ein eigenes Regionalparlament mit Gesetzgebungsbefugnissen und eingeschränkter Steuerhoheit bilden; es gibt eine eigene baskische Polizei, ein eigenes Fernsehen, und die schon vom Untergang bedrohte baskische Sprache - eine der ältesten unseres Kontinents - mit ihren ganz eigenen, bis heute ungeklärten Ursprüngen nahm einen unverhofften Aufschwung.

Eine uralte eigenständige Kultur und Sprache

Das alles ist richtig, aber man sollte auch wissen, daß sich bereits bei der Volksabstimmung über die neue Verfassung von 1978 eine über 70prozentige Mehrheit der Basken querstellte, weil in ihr die Einheit Spaniens festgeschrieben wurde. Und für einen Großteil der Bevölkerung der drei Baskenprovinzen Guipuzcoa, Vizkaya und Alava mit ihren rund 2,1 Millionen Einwohnern sind die infolge der Autonomie erzielten Fortschritte auch heute noch nicht ausreichend. Sie wünschen sich eine weitergehende Unabhängigkeit ihres Landes, das über eine uralte eigenständige Kultur und Sprache verfügt und gleichzeitig zu den wirtschaftlich stärksten Regionen des spanisches Staates gehört.

Wenn man bedenkt, daß seit der ersten Industrialisierungsperiode des 19. Jahrhunderts sowie vor allem seit der zweiten großen Industrialisierung ab den 1960er Jahren schätzungsweise ein Drittel der Bevölkerung aus Zuwanderern aus den verschiedensten Landesteilen Spaniens besteht, dann wird erst richtig verständlich, warum Ibarretxe bei seiner Madrider Rede vom 1. Februar betonte: "Mindestens jeder achte von zehn Basken glaubt, daß es unsere Sache ist, unsere Zukunft zu bestimmen."

Mehr Klarheit über die Chancen für den "Plan Ibarretxe" wird es nach dem 17. April geben, wenn im Baskenland Regionalwahlen anberaumt sind. Sollte Ibarretxes Baskische Nationalpartei (PNV) ihren derzeitigen Stimmenvorsprung gegenüber der national-spanischen Opposition aus PSOE und der noch zentralistischer gesinnten PP ausbauen können, dann wäre das ein erstes Plebiszit für die Freistaats-Idee. Die gesonderte Volksabstimmung über seinen Plan solle aber auf jeden Fall noch in diesem Jahr folgen, versprach Ibarretxe. Schließlich weiß der - im Gegensatz zur ETA jede Gewalt ablehnende - Baskenführer, daß er sein Ziel allenfalls dann erreichen kann, wenn er Madrid und der internationalen Öffentlichkeit immer wieder die Unterstützung der baskischen Bevölkerung demonstriert und auf das "Selbstbestimmungsrecht der Völker" und seinen quasi basisdemokratischen Politikansatz pocht.

Ansonsten haben die nach Unabhängigkeit strebenden Basken kaum Trümpfe in der Hand, sieht man einmal von der Duldung der sozialistischen Minderheitsregierung von Premier José Luis Rodríguez Zapatero in Madrid durch die Koalition der Regionalparteien ab. Doch durch eine Verweigerung der Basken und ihrer Verbündeten aus Katalonien könnte Zapateros Kabinett nicht weiterregieren - womit Neuwahlen wohl unabwendbar wären. Den meisten Gegenwind gibt es daher natürlich aus Madrid, wo man die letzte Entscheidungsbefugnis für die Organe des Zentralstaats beansprucht und sich auf dieser Grundlage ebenfalls als Sachwalter der Demokratie fühlt.

Um den Volkswillen der Basken gegebenenfalls in die "richtige" Richtung zu lenken, hat die spanische Zentralregierung - in Absprache mit der PP - einen gestaffelten Aktionsplan in der Schublade, mit dem eine Abspaltung des Baskenlandes verhindert werden soll. Demnach wären zunächst die obersten Gerichte des Landes anzurufen, um die "Verfassungswidrigkeit" des Vorhabens festzustellen. Als Ultima ratio ist sogar an einen Einsatz der Armee zur Verhinderung eines baskischen Unabhängigkeitsreferendums gedacht. Die wohlhabenden autonomen Nordprovinzen sollen um keinen Preis aus dem Staatsverband entlassen werden, zumal man obendrein Nachahmungseffekte in den anderen Regionalistenhochburgen Katalonien und Galicien befürchtet.

Auch in Paris wird der "Plan Ibarretxe" sehr negativ gesehen, schließlich gehört ein kleinerer Teil des von Basken bewohnten Gebietes - nämlich die Provinzen Soule, Basse-Navarre und Labourd - zum französischen Staat. Ein "Freistaat Baskenland" würde in diesem von ETA-Terroristen häufig als Rückzugsraum genutzten Landstrich zweifellos erhebliche Unruhe bewirken.

Dementsprechend dürfte es, sollte die Baskenführung mit der Umsetzung des "Plan Ibarretxe" beginnen, eine deutliche Botschaft Frankreichs zur Unterstützung Madrids geben. Weitere Solidaritätserklärungen aus Brüssel, Rom oder Berlin und anderen europäischen Hauptstädten kämen zweifellos hinzu, womit das baskische Problem zur gesamteuropäischen Krise würde - und zum Testfall für die wahre Demokratiefähigkeit unseres Kontinents.


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen