© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 08/05 18. Februar 2005

Ganz nach dem Willen der US-Behörden
Europäische Union: Pässe und Personalausweise mit biometrischen Merkmalen sollen zur Pflicht werden / Datenschützer warnen vor neuem Überwachungsstaat
Ulrich Richter

Anfang diesen Monats ist das EU-Weißbuch über den "Austausch von Informationen über Strafrechtliche Verurteilungen" vorgelegt worden. Darin wird gefordert, daß innerhalb der nächsten zwei Jahre die nationalen Strafregister stufenweise zu einer EU-Zentraldatei zusammengeführt werden sollen. Darin sind dann nicht nur Schwerverbrecher, sondern selbst Verkehrssündern enthalten.

Flankierend dazu hat der EU-Ministerrat schon am 13. Dezember 2004 beschlossen, Pässe mit "biometrischen Merkmalen" einzuführen. In den Reisepässen der Zukunft sollen dann Gesichtsbild und Fingerabdrücke auf einem Chip elektronisch gespeichert und per Funk beim der Sicherheitskontrolle auf Flughäfen oder an Grenzstationen automatisch ausgelesen werden.

Auch Personalausweis mit biometrischen Daten geplant

Da die EU in diesem Bereich die Gesetzgebungskompetenzen innehat, muß auch Deutschland diese Richtlinie befolgen. Damit entspricht der EU-Beschluß weitgehend den Wünschen der USA, die im Zuge ihrer drastischen Antiterrorgesetze derartige Pässe zur Einreise fordern.

Während der neue Reisepaß in Deutschland schon zum Jahresende Realität werden könnte, ist bis 2007 auch ein mit biometrischen Daten versehener Personalausweis in Planung. Was die einen als notwendig im "Kampf gegen den Terror" feiern, ist nicht nur für Datenschützer und Verschwörungstheoretiker ein gefährlicher Schritt in Richtung eines Orwellschen Überwachungsstaates.

Vorreiter der Entwicklung sind die USA: Kurz nach den Terroranschlägen des 11. September 2001 bekam die Grenzsicherung wieder Priorität. Eine "intelligente" Grenze solle den "Kampf gegen den Terrorismus" unterstützen und "Drogen, ausländische Krankheiten und andere gefährliche Dinge" fernhalten, versprach Präsident George W. Bush. Im Zuge der verschärften Paß- und Visabestimmungen haben sich US-Behörden Zugriff auf Daten von Fluggästen verschafft: Anschrift, Kreditkartennummer oder auch den Menüwunsch des Passagiers. Für einen Übergangszeitraum bis zur Einführung der neuen Reisepässe sollen die Reisenden fotografiert und Fingerabdrücke genommen werden. Mit den neuen Pässen werden die Daten dann automatisch erfaßt und gespeichert, nach Willen der US-Behörden für bis zu hundert Jahre.

Doch auch der Datenabgleich soll drastisch erweitert werden: Das "Computer Assisted Passenger Prescreening System" (CAPPS II) soll in Sekunden sämtliche Daten des Fluggastes mit amtlichen und nichtamtlichen Rechnern abgleichen können. Datenschützer befürchten, daß mit der Kreditkartennummer auch gleich Einkommen und Vermögensverhältnisse des Reisenden mit überprüft werden können.

Nach einigen Testläufen mit verschiedenen biometrischen Merkmalen hat man sich in Berlin für das US-Modell - eine Kombination aus Fingerabdrücken und einem Digitalfoto - entschieden. In Zukunft müssen sich dann Reisende vor eine Kamera stellen und den Finger auf einen Fingerabdruckleser legen, während ein Rechner die Daten mit denen aus dem Paß per Funk übermittelten abgleicht. Zuvor wurde in einem Pilotprojekt auf freiwilliger Basis unter anderem auf dem Frankfurter Flughafen mit der Iris-Erkennung gearbeitet. Hierbei wird das gespeicherte Foto im Ausweis mit einer aktuellen Irisaufnahme des Reisenden abgeglichen. Obwohl die Iriserkennung eine größere Eindeutigkeit zuläßt, hat man sich nun für das einfachere System der Amerikaner entschieden - möglicherweise auch deshalb, weil die USA bereits rund 25 Millionen Fingerabdrücke von US-Bürgern gespeichert haben.

Kosten für den neuen Paß vervielfachen sich

All das wird für den EU-Bürger teuer: Die deutschen Preise stehen noch nicht fest - 130 Euro kursierten Anfang des Jahres in den Medien. Aus einer Antwort auf eine kleine Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion geht jedenfalls hervor, daß die Bürger die Kosten für den neuen Paß in vollem Umfang selbst zahlen müssen. Das Büro für Technikfolgenabschätzung des Bundestags geht von anfänglichen Investitionen von mindestens 670 Millionen Euro aus. Bislang kostet ein Reisepaß 26 Euro. In Großbritannien soll der neue Paß 122 Euro kosten (JF 03/05).

Besorgniserregend ist auch die hohe Fehlerquote der Lesegeräte: So berichtet das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik von Fehlerquoten von bis zu 23 Prozent - zahlreiche Reisende würden dann zu Unrecht verdächtigt und überprüft. Selbst bei einer Erkennungsrate von 99,9 Prozent hieße das bei 370 Millionen EU-Bürgern immerhin 370.000 Fälle. Der Chaos Computer Club (CCC) gibt darüber hinaus zu bedenken, daß Fingerlinien durch Verschmutzung oder Abnutzung unkenntlich werden könnten. Auch in puncto Fälschungssicherheit überzeugen die neuen Pässe noch nicht: Der CCC dokumentierte auf seiner Netzseite, wie leicht man sich einen Paß mit einem Fingerabdruck einer anderen Person erstellen kann. "Ein Staat, der die Bequemlichkeit für die Ermittlungsbehörden vor die Bürgerrechte stellt, setzt die falschen Prioritäten und bewegt sich in letzter Konsequenz weg von einem Staat der Bürger hin zu einem Polizeistaat", kritisiert CCC-Sprecher Andy Müller-Maguhn. Auch der britische Anti-Terror-Experte Paul Wilkinson bezweifelt den Sinn solcher Ausweise, da die Attentäter des 11. September unter ihrer wahren Identität gereist seien - auch mit den neuen Pässen wären die Anschläge nicht verhindert worden.

Peter Schaar, Bundesbeauftragter für Datenschutz, verweist auf die Gefahr des Datenmißbrauchs. Die USA könnten die Daten einfach in ihre eigenen Dateien übernehmen. Auch der Zugriff Dritter ist nicht ausreichend gesichert. Unbefugte Personen könnten die Pässe mit geeigneten Geräten unbemerkt auslesen. Nicht zuletzt ist der Bürger selbst gefährdet. Wer weiß schon, welche Informationen über ihn selbst die Behörde im eigenen Paß gespeichert hat?

Für Schaar ist der Paß nur ein Zwischenschritt zu weit umfangreicheren Überwachungsmöglichkeiten. Der nächste Schritt ist dann der Personalausweis. Ist erst einmal jeder Bürger biometrisch erfaßt, so wäre es mit Hilfe des digitalisierten Fotos in Paß und Ausweis ein leichtes, auch aus Videoaufnahmen, so bei Demonstrationen oder Fußballspielen, sicher die gefilmten Personen zu identifizieren. Selbst bei halbverdeckten Gesichtern ist die Trefferquote enorm hoch. Die Persönlichkeitsrechte der Bürger würden deutlich eingeschränkt.

Davon ließ sich der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) nicht abschrecken. BDK-Sprecher Holger Bernsee forderte sogar, die biometrischen Merkmale aller europäischen Bürger in einer zentralen Datenbank zu sammeln. Dann wäre allerdings ein düsteres Zukunftsszenario eines durchsichtigen Bürgers, dessen Daten und Gewohnheiten jederzeit überprüfbar und in einem Superrechner gespeichert sind, in beängstigend greifbare Nähe gerückt.


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