© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 08/05 18. Februar 2005

Pankraz,
R. Kurzban und die tapferen Musketiere

Wie funktioniert Teamarbeit, wie funktionieren Unternehmensvorstände, Forschungsabteilungen, Redaktionen, politische Gremien? Im biederen Populärverständnis ist eine optimale Effizienz dann erreicht, wenn es dem jeweiligen Chef gelingt, sämtliche Mitarbeiter gleichmäßig zu motivieren und in fruchtbare Tätigkeit zu setzen. "Einer für alle, alle für einen", wie es schon bei den drei Musketieren hieß. Das war ein schönes Buch, das allerdings nichts mit der Wirklichkeit zu tun hatte.

Im Mitteilungsblatt der amerikanischen Akademie der Wissenschaften war jetzt eine Studie von Robert Kurzban, Universität Philadelphia, zu lesen, die der realen Situation erheblich näher kommen dürfte. Arbeitsteams, welcher Art auch immer, schreibt Kurzban, teilen sich grundsätzlich auf in vier Gruppen: erstens den Chef, zweitens die "engagierten Mitarbeiter", drittens die Faulenzer, viertens die "Abwarter". Keine dieser Gruppen sei letzten Endes entbehrlich, auch die Faulenzer nicht.

Diese springen dem Chef, wenn er sie nur gemütlich faulenzen läßt, in Konfliktfällen spontan bei und festigen so seine Position, was sich zunächst einmal zum Wohle des Ganzen auswirken mag, welches Kontinuität und Ruhe braucht, um Energien zu entfalten. Gerade aus der Gruppe der engagierten Mitarbeiter erwachsen immer wieder Hitzköpfe, die es (angeblich oder auch tatsächlich) besser wissen als der Chef und den Gang der Dinge mit ihrem Eifer und ihrem Einspruch oft eher behindern statt voranbringen. Ergebnisse lassen ja in der Regel auf sich warten, und ihre Verifizierung bzw. Falsifizierung erfordert noch einmal Zeit. Die Faulenzer helfen dem Chef, diese Zeit durchzustehen, und erfüllen somit eine "objektive", die Struktur stabilisierende Funktion.

Natürlich werden Faulenzer nicht "als Faulenzer" ins Team geholt. Sie sind wie Parasiten, die erst einmal ziemlich heftig mit den Beinchen strampeln müssen, bevor sie einen "Wirt" finden, an dem sie sich dauerhaft festmachen können. Als Beinchen dienen ihnen in der Regel einschlägige Phrasen, die sie bei Anstellungsgesprächen geschickt vorzubringen wissen. Auch gänzlich außerfunktionelle Einstellungsgründe spielen eine Rolle: persönliche Bekanntschaften, Empfehlungen von hoher Stelle, sonniges Gemüt oder - besonders bei Frauen - Schönheit und sexuelle Attraktivität.

Organisationstechnisch am interessantesten ist die Gruppe der Abwarter, die laut Kurzban stets am zahlreichsten ist. Abwarter faulenzen nicht, sie arbeiten durchaus mit, entwickeln auch Kreativität, nur sind sie dem Chef und auch dem ganzen Unternehmen gegenüber vollkommen gleichgültig. Sie erfüllen lediglich "ihren Job", es könnte auch ein ganz anderer sein, wenn er nur etwas einbringt.

Selbstverständlich sind die Abwarter für den Erhalt ihres Jobs, zumal wenn Arbeitsplätze allgemein knapp werden, und daraus erwächst bei ihnen Loyalität gegenüber dem Arbeitgeber. Aber es ist dies eine sehr grazile Angelegenheit; die Abwarter-Loyalität kann leicht umkippen, ein momentaner Knick in der Erfolgskurve der Teamarbeit genügt. Abwarter sind, wie das Kapital bei wirtschaftlichen Innovationen, "scheue Rehe", ein kleiner Schreckschuß kann sie schon dauerhaft vertreiben oder verhängnisvoll illoyal machen.

Schreckschüsse ihrerseits gehören zur Teamarbeit wie das Amen in die Kirche. Sie kommen von außen, von der Konkurrenz, aus der Öffentlichkeit, von den wissenschaftlichen, künstlerischen oder politischen Gegnern. Zu Zeiten kommen sie jedoch auch von innen, aus dem Team selbst, und dann werden sie wirklich gefährlich, verwandeln sich in scharfe Munition, in Tretminen und sonstige Sprengsätze, die das Team unter Umständen in die Luft jagen.

Der Mangel der Studie von Robert Kurzban besteht darin, daß er die Schreckschützen und Minenleger innerhalb eines Teams vollkommen vernachlässigt, ja sie nicht einmal erwähnt. Dabei bilden sie eine ganz und gar eigene Gruppe, nämlich die Gruppe der "zwar engagierten, aber illoyalen Mitarbeiter", die an Zahl vielleicht kleiner als die der Faulenzer ist, doch auf jeden Fall mächtiger.

Ihre Illoyalität hat viele Wurzeln, zuerst und wohl meistens (bei politischen Gremien faktisch immer) die Eifersucht auf den Chef. Man möchte selber Chef werden und geht dabei gegebenenfalls über Leichen, kümmert sich nicht die Bohne um den Erhalt des Ganzen. Es gibt freilich auch - gar nicht so selten und besonders in der Wissenschaft - engagierte Mitarbeiter, die erst im Verlauf des Arbeitsprozesses illoyal werden, um der Sache willen und "um das Ganze zu retten". Sie zweifeln die Ergebnisse und die dazu gelieferten Beweise an, sie sind nicht (mehr) mit den praktizierten Arbeitsmethoden einverstanden, sie finden das Betriebsklima unerträglich, kontraproduktiv.

Wie verhalten sich bei nun ausbrechenden Konflikten die anderen Gruppen? Die engagierten Mitarbeiter spalten sich auf in loyale und illoyale und "mobben" sich nach Möglichkeit gegenseitig. Die Faulenzer neigen (siehe oben) zum Chef und zum bisherigen Kurs. Die Abwarter indessen warten auch hier zunächst einmal ab, gehen in die Kantine und zerreißen sich das Maul hinter vorgehaltener Hand, reduzieren ihre Arbeitsbeiträge, leisten nur noch "Dienst nach Vorschrift".

Und damit sind sie es, die das Scheitern des Unternehmens, des Teams, besiegeln. Denn Teamarbeit, Arbeit überhaupt, sofern sie ihren Namen verdient, ist eben mehr als bloße Erfüllung irgendwelcher Vorschriften, sie übersteigt sich selbst, nur so schafft sie Werte und bereichert das Leben. Notorische Abwarter ignorieren das. Glücklich der Chef, der in seinem Team die Zahl der Abwarter zu begrenzen versteht. Er kann dann viele Konflikte ausgleichen, ohne Musketier werden zu müssen.


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