© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 08/05 18. Februar 2005

Materialismus der Moderne
Neuauflage von Jakob Wilhelm Hauers Analyse der Anthroposophie Rudolf Steiners aus dem Jahr 1921
Alexander Barti

Ob ein Buch gut ist, zeigt sich meist Jahrzehnte nach seinem Erscheinen. Hat das Werk von damals - vor allem, wenn es sich um eine Studie mit wissenschaftlichem Anspruch handelt - auch heute noch Aktualität, kann der Verfasser nicht gänzlich geirrt haben.

Das gilt auch für den Religionswissenschaftler Jakob Wilhelm Hauer. Der gelernte Maurer wurde zum Missionar ausgebildet und ging im Dienste der Basler Mission von 1906 bis 1911 nach Indien. 1927 erhielt er einen Lehrstuhl in Tübingen. 1933 wurde er Mitglied in Rosenbergs Kampfbund für die deutsche Kultur, später der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV), beim NS-Lehrerbund sowie dem NS-Dozentenbund. Sein Spezialgebiet war die "arische Weltanschauung". 1933 war Hauer Gründer und Präsident der Deutschen Glaubensbewegung. Nach dem Krieg wurde Hauer interniert, 1949 ging er in den Ruhestand. Insofern wird man sich heute nicht auf ihn berufen können, um gegen die Anthroposophie ins Felde zu ziehen.

Das ändert aber nichts an der Qualität seiner Untersuchung über das "Wesen und Werden der Anthroposophie" von 1921. Akribisch und durchaus mit Empathie prüft er die Kernaussagen des Begründers dieser Geistesströmung, Rudolf Steiner. Dabei stellt er fest, was heute praktisch nicht mehr zu leugnen ist, nämlich daß Steiner sich von der Theosophie mehr als inspirieren ließ. Jedoch ging es Heuer nicht darum, das zu beweisen. Vielmehr belegt er anhand von Textvergleichen und Tabellen, wie Steiner Begriffe und "Lehren" von Helena Blavatsky und Annie Besant freimütig "weiterentwickelt" hat und so Teilhaber war an einer diffusen okkultistischen Bewegung, die bis in unsere Tage reicht. Klar arbeitete Hauer die Wandlung Steiners heraus, die aus einem wissenschaftsgläubigen Materialisten des 19. Jahrhunderts einen sentimentalen "Christen" machte.

Aus der individuellen Erlösung durch Golgatha wird die Erlösung durch das "Christusprinzip" für alle. Karl Rahner könnte neidisch werden. Über das zwangsbeglückende "Happy-End" dieser okkultistischen Weltanschauungen, wie sie auch bei Eranos gepflegt wurden, machte sich schon Julius Evola lustig. Seine und René Guénons Analysen von Blavatsky & Co. sind Meilensteine der im besten Sinne verstandenen Aufklärung und dürften Hauer bekannt gewesen sein.

Ein besonderes Augenmerk richtet Hauer auf die Hellsichtigkeit des Meisters, die ihn befähigt haben soll - bei Anthroposophen ist das nach wie vor unbestritten -, in der sogenannten "Akaschachronik" das Schicksal der Welt zu lesen. Hier greift Hauer den Anspruch der Wissenschaftlichkeit der "Anthroposophie als Geisteswissenschaft" an und fordert Beweise für dieses "Dokument", die den Prinzipien der modernen Wissenschaft überhaupt gerecht werden.

Doch Hauer beläßt es nicht bei Kritik. Er betont immer wieder, daß die Anthroposophen den Menschen wieder eine geistige Dimension des Daseins gezeigt hätten. Nebenbei entpuppt sich hier Hauer als Geistesverwandter Steiners, denn er erkennt nicht, daß "Geistiges" nicht schon per se einen Wert hat. Der tumbe Materialist dürfte weniger gefährlich sein als ein brillanter Satansjünger.

Das Buch ist im Stil von Vorträgen gehalten und daher lebendig und lesefreundlich. Da es längst nicht alle Aspekte der Anthroposophie bearbeitet, mag es auch anregend für diejenigen sein, die vor allem die sichtbaren Produkte Steiners schätzen: die Waldorfschule, die biologisch-dynamische Landwirtschaft und die Weleda-Kosmetik. Die Anthroposophen aber sollten Hauer nicht einfach verdammen, sondern seine Argumente gegen Steiner ernst nehmen - und endlich einmal stichhaltig widerlegen!

Jakob Wilhelm Hauer: Werden und Wesen der Anthroposophie. Eine Wertung und eine Kritik. Regin Verlag, Bliestorf b. Lübeck 2004, 158 Seiten, broschiert, 14,90 Euro


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