© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/05 25. Februar 2005

Aus dem Leben eines Taugenichts
Joschka Fischer: Der deutsche Außenminister und heimliche Grünen-Vorsitzende ist ins Straucheln geraten
Doris Neujahr

Joschka Fischer erzählt sein Leben gern als Bildungs- und Entwicklungsroman, ein sehr deutsches Genre. Die Romanform berichtet von jungen Menschen, die tatendurstig in die Welt treten, die Konflikte und Bewährungsproben erleben, an denen sie reifen und klüger werden. Diese Klugheit befähigt sie, die Welt zu verändern.

Diese idealtypische Dialektik, so macht Fischer das Land seit Jahren glauben, habe seinem Lebensweg, der ihn aus der Frankfurter Sponti-Gosse nach Berlin ins Auswärtige Amt führte, zugrunde gelegen. In dem Maße, wie er selber zum überzeugten Demokraten gereift sei, habe sich die Bundesrepublik zivilisiert. In seiner Person, so die untergründige Botschaft, ist das "gute Deutschland" (Thomas Mann) zu sich selber gekommen. Was aber, wenn Fischers Aufstieg gar kein Bildungs-, sondern ein Groschen-, ein "Dreigroschenroman" wäre, frei nach Bertolt Brecht?

Brechts Macky Messer (das ist derjenige, dem man nie etwas beweisen kann) beginnt seine Laufbahn als Straßenräuber, setzt sie fort als Hauptmann von Dieben, Schmugglern und Hehlern und dann als Großkaufmann und Mitinhaber einer großen Bank. Schließlich gründet er ein Syndikat, das ihm die Kontrolle über seine Konkurrenten sichert. Denn, so lehrt ihn die Lebenserfahrung, man schickt "keinen Mörder mehr aus, wenn man den Gerichtsvollzieher schicken kann". Als "weitblickender Geschäftsmann" erobert und verwandelt er das System von innen her. Nur er selber bleibt, was er immer war.

Als Folge des Fischer / Volmer-Erlasses vom Oktober 1999 sind in den GUS-Staaten sechs Millionen Visa erteilt worden. Wenn davon ein Sechstel für Schwarzarbeiter ausgestellt wurde, so die zurückhaltende Schätzung von CDU/CSU, betrüge der Schaden 19 Milliarden Euro. Es geht um Begünstigung der organisierten Kriminalität, um Menschenhandel, Korruption, Zwangsprostitution.

Das Auswärtige Amt, so ein Richter vom Landgericht Köln, hat einen "kalten Putsch gegen die bestehende Gesetzeslage" verübt. Der bayerische Innenminister, der im März 2000 gegen die Visa-Praxis protestierte, wurde von Fischer beschieden, Ziel der Bundesregierung sei "ein weltoffenes, ausländer- und integrationsfreudiges Deutschland. Dazu muß die Visumpraxis der Auslandsvertretungen so transparent und modern wie möglich gestaltet werden." Das ist das Marketing-Vokabular für grüne Weltverbesserungspläne. Sage also keiner, daß nicht mit Vorsatz gehandelt wurde. Das Auswärtige Amt unter Fischer hat sich zur Hure für Rechtsbrecher gemacht.

Einst war das Auswärtige Amt ein Hort der Seriosität

Sofern es sich um keine Bananenrepubliken handelt, gilt das Außenministerium in jedem Land als Hort der Seriosität, des Elitären. Einst galt das auch für Deutschland. Ein Mitglied der letzten kaiserlichen, bereits halbparlamentarischen Reichsregierung erinnert sich an das alte Haus in Berlin, Wilhelmstraße 76: "Es schwebte über dem Auswärtigen Amt ein Geist der Exklusivität, für den Außenstehenden lag über ihm der Nimbus des Geheimnisvollen, für den Laien Undurchdringlichen. Es war ein geschlossener Organismus innerhalb der Regierung, in den nur Auserwählten ein Einblick gewährt wurde, und diesen nicht gerne und nicht weiter, als unbedingt notwendig war. In ihm walteten erkorene Priester ihres weihevollen Dienstes unter mysteriösen Gebräuchen." Fischer wird dafür nur ein Grinsen übrig haben. Er wird darauf verweisen, daß das Auswärtige Amt in der NS-Zeit sich "schuldig" gemacht habe. Dafür könnte er sogar Fakten anführen.

Der 1948 in Gerabronn (Baden-Württemberg) geborene Fischer hat seine Karriere politisch, propagandistisch und ideologisch auf der Negativfixierung auf den NS-Staat aufgebaut. Man weiß nicht, ob es in seiner Familiengeschichte etwas gibt, das ihn dazu getrieben hat. Fischer hat nie begriffen, daß es darauf ankommt, die Elterngeneration zwar als widersprüchlich wahrzunehmen, gleichzeitig aber auch das Bedingungsgefüge zu verstehen, in das sie gestellt war, um nicht Vertrauen und Zuneigung zu ihr zu verlieren. Andernfalls wird auch die eigene Widersprüchlichkeit verdrängt bzw. als eine totale Selbstentwertung erlebt. Dann besteht die Gefahr einer Weltorientierung, die nur noch bedingungslose Bindung und bedingungslose Abneigung kennt. Das Demokratische und Humanitäre verkommen zu ideologischen Parolen, an denen sich Freund und Feind, Gut und Böse scheiden. Man wiederholt, was man zu überwinden vorgibt.

Gerhard Szczesny, seinerzeit ein führender linksliberaler Intellektueller, schrieb 1971 in dem Buch "Das sogenannte Gute", "daß viele der heute Zwanzigjährigen, die sich für rote Kaderarbeit begeistern, zumindest am Anfang der dreißiger Jahre begeisterte SA-Männer" gewesen wären.

Fischer suchte Anschluß an die Frankfurter Sponti-Szene. Die Nähe des seit den Pariser Maitagen 1968 legendären Daniel Cohn-Bendit vermittelte ihm die Hoffnung, demnächst selber den geschichtlichen Moment zu erleben. Er stieg in der Szene zum "Verteidigungsminister", zum Oberhaupt einer Schlägergarde auf. Der geschichtliche Moment kam trotzdem nicht. Zu diesem Zeitpunkt muß das Gefühl der Selbstentwertung, dem er entkommen wollte, ihn verstärkt ergriffen haben. Heute sagt er, seine Ablösung von der Gewalt habe 1976 mit der Flugzeugentführung von Entebbe begonnen, als die Entführer die Juden von den anderen Passagieren abtrennten. Das macht sich immer gut. Denkbar ist aber auch, daß der mit einem untrüglichen Machtinstinkt ausgestattete Fischer zu diesem Zeitpunkt realisierte, daß der Staat von außen nicht zu zerstören war, von innen her aber umgekrempelt werden konnte. Das war für den Schulabbrecher und Berufslosen die einzige Chance zum persönlichen Aufstieg, den er zum gesellschaftspolitischen Projekt überhöhte. Er sprach vom "Wahnsinn gescheiterter Existenzen, die sich in Karriere und Konsumgesellschaft nicht mehr zurechtfinden (...) Wir wollen nicht eines Tages den Sozialismus aufbauen, sondern für uns vollzieht sich die Befreiung im alltäglichen Widerstand, in unserem Leben." Das ist geschafft. Fischer hat sich zunutze gemacht, daß der Nationalsozialismus in den Mittelpunkt des BRD-Staatsbewußtseins rückte. Die Partei der Grünen wurde sein Instrument.

Taktische Winkelzüge zur Karrieresicherung

Am 16. November 1989 - da war er über 40 - behauptete er in der taz: "In Deutschland 45 Jahre nach Auschwitz auf alles Nationale panisch zu reagieren, ist (...) überlebensnotwendige Demokratenpflicht für mindestens weitere fünfundvierzig Jahre." Damals fürchtete Joschka um die Zukunft der antinationalen Grünen. Zehn Jahre später schwor er seine Partei auf die Teilnahme deutscher Truppen am Jugoslawien-Krieg ein, ebenfalls mit dem "Auschwitz"-Argument. Jetzt fürchtete er um sein Ministeramt. Ein Lernprozeß drückt sich darin bestimmt nicht aus, sondern die Perfektionierung taktischer Winkelzüge zur Karrieresicherung.

Persönliche Fehler hat Fischer freiwillig nur insoweit zugegeben, wie sie sich als Versatzstücke eines Bildungsromans eigneten. Als am 17. Januar 2001 in einer Aktuellen Stunde des Bundestags zu seiner Sponti-Vergangenheit die Wellen hochschlugen, ging es unter anderem um die mögliche Begegnung mit dem Top-Terroristen Carlos, um den möglichen Transport der Waffe, mit der der hessische Wirtschaftsminister Heinz-Herbert Karry 1981 erschossen wurde, in seinen Auto, um die Frage, ob er Molotow-Cocktails oder nur Steine geworfen hatte, es ging um einen halbverbrannten Polizisten und um den Hohn über ermordete RAF-Opfer. Nichts davon war gerichtsfest, trotzdem taten sich Abgründe auf. Spätestens jetzt hätte er als Außenminister aus dem Verkehr gezogen werden müssen, weil er ein Sicherheitsrisiko für das Land darstellt. Er verteidigte sich, man wolle in seiner Person eine ganze Generation an den Pranger stellen.

Ähnlich argumentiert er jetzt in der Visa-Affäre: Die Opposition dürfe nicht "das Bild Deutschlands in der Welt beschädigen". Das heißt: Er muß sich keiner Staatsräson beugen, weil er sie längst repräsentiert. Respekt vor Institutionen und den Interessen des Landes hatte und hat er nicht nötig. Warum nicht die vorhandenen Machtmittel ausnutzen, um Deutschland, das immer noch latent nazistische, durch die Hintertür ethnisch-kulturell zu verbessern und perspektivisch die Wählerschaft so umzumodeln, daß die Macht von Rot-Grün verewigt wird?

Am Schluß des "Dreigroschenromans" erklärt Macky Messer seine Lebensphilosophie: "Ich wollte nur immer dem Armenhaus entgehen. Mein Wahlspruch war: Der kranke Mann stirbt, und der starke Mann ficht. Schließlich kommen nur Leute wie ich nach oben. Sollte jemand schon oben sein und diesen Wahlspruch nicht beherzigen, dann wird er seinerseits bald unten angelangt sein." Fischer wird alles tun, um nicht nach unten zu rutschen. Deutschland wird sich noch auf einiges gefaßt machen müssen.


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen