© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/05 25. Februar 2005

Bessere Technik für noch leisere Flugzeuge
Flugverkehr: Das seit 1971 geltende Fluglärmgesetz soll novelliert werden / Umweltbundesamt warnt vor Gesundheitsschäden
Iris Pufe

Kein Zeitalter seit Erschaffung der Welt hat so viel und so ungeheuer-lichen Lärm gemacht wie das unsere", schrieb die emsländische Dichterin Emmy von Dincklage schon 1879, als die Dampflok noch das Fernverkehrsgeschehen dominierte und Otto Lilienthals Flugversuche in den Kinderschuhen staken.

Fluglärm ist Musik - vorausgesetzt, man sitzt in der Maschine auf dem Weg in den Urlaub und nicht in dem Wohnzimmer eines Hauses, das in der Einflugschneise des Flugzeugs liegt. Denn die etwa 150 Dezibel, die Strahltriebwerke beim Start einer Düsenmaschine erzeugen, bringen nicht nur Teetassen zum Scheppern, sondern können langfristig zu Herz-Kreislauf-Beschwerden, zu Tinnitus und sogar zur Beeinträchtigung von Schwangerschaften führen.

Betroffene wissen oft nicht, an wen sie sich wegen Lärmbelästigung wenden sollen und auf welche rechtlichen Argumente sie sich dabei stützen können. Seit 1971 gibt es das Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm (BGBl I 1971, 282) es wurde zuletzt 2001 minimal novelliert. Ein neues Gutachten des Arbeitskreises Lärmwirkungsfragen beim Umweltbundesamt (UBA) soll bei der Einschätzung helfen, bei welchem Wert die Grenze der Annehmbarkeit von Lärm liegt. Dafür war eine ganze Reihe Regelungen und Vorschriften aus verschiedenen rechtlichen Ressorts zu beachten, was sich für eine Verbesserung bisher eher kompliziert als wirkungsvoll gestaltete.

"Lärm belästigt nicht nur - er belastet die Gesundheit der Menschen", meint UBA-Chef Andreas Troge. Und jeder Dritte fühlt sich vom Fluglärm belästigt. Etwa 15 Prozent der Deutschen leben konstant mit einem Lärmpegel, bei dem ein erhöhtes Herzinfarkt-Risiko festgestellt wurde. Laut UBA-Gutachten hat sich im Einzugsbereich von Flughäfen der Anteil der Betroffenen in den letzten 30 Jahren deutlich erhöht. Und das, wo die durchschnittlich gemessene Lärmbelästigung innerhalb dieses Zeitraums um etwa 25 Dezibel zurückgegangen ist.

In der 113 Seiten starken UBA-Expertise zeichnen Fachleute ein deutliches Szenario der Auswirkungen des Fluglärms sowohl auf die menschliche Gesundheit als auch auf die soziale und wirtschaftliche Struktur der jeweils betroffenen Region. Ein nicht zu unterschätzender Anteil lärmbedingter Erkrankungen ließe sich bereits durch Begrenzungswerte vermeiden.

Lärm-Toleranzschwelle ist schwer zu bestimmen

"Lärm ist Körperverletzung", meint Werner Schuster, dessen Haus und Garten in der Einflugschneise des Frankfurter Flughafens liegen. Um seine These mit konkreten Dezibelangaben zu untermauern, hat er ein Lärmmeßgerät auf dem Dachboden installiert. Und: der Grundstücks- bzw. Mietpreis senkt sich im Durchschnitt um 0,5 Prozent mit jedem Dezibel, behaupten Immobilienmakler.

Doch die Lärm-Toleranzschwelle ist schwer zu bestimmen - Geräusche werden von jedem anders empfunden. Dennoch: Das Ohr ist, was den Schwellen-Energiebedarf angeht, zehnmal empfindlicher als das Auge.

Untersuchungen zur Entwicklung kognitiver Fähigkeiten von Kindern und Jugendlichen haben gezeigt, daß Lärm schädlich ist für Sprache, Gedächtnis und Konzentration. Ein gutes bis sehr gutes Sprachverstehen ist die Voraussetzung für eine reibungslose Kommunikation unter den Menschen. Bei einer Unterhaltung über eine Distanz von etwa einem Meter beträgt der Sprachpegel etwa 50-60 Dezibel. Ein Dauerschallpegel von über 90 Dezibel - was etwa einer lautstarken Auseinandersetzung unter permanentem gegenseitigem Anschreien entspricht - führt nicht nur zu mangelndem Wohlbefinden, sondern auch zu einer dauerhaften Leistungsminderung.

"Lärm macht nicht automatisch krank, der Mensch ist anpassungsfähig", hält Manfred Spreng, Physiologieprofessor von der Universität Erlangen-Nürnberg, dagegen. "Problematisch sind besonders sensible Phasen, wie zum Beispiel die ersten drei Jahre der Mutter-Kind-Beziehung. Wenn diese nicht ungestört verläuft, dann kommt es zur Sprach- und Entwicklungsverzögerung", so Spreng.

Eine Art "unterbewußter Lärm" ist aber beispielsweise auch Radiogedudel in Innenräumen oder neuerdings in Einkaufszentren. Spreng glaubt, daß ein Zusammenhang zwischen solchen Dauergeräuschquellen und den Ergebnissen der Pisa-Studie besteht. So empfänden die wenigsten Disko-Besucher die dort übliche, gesundheitsschädliche Lautstärke als gefährlich.

Durch den Einsatz lärmdämmender Materialien strebt zumindest die Flugzeugindustrie nach einer Lösung: mit "Bypass"-Triebwerken, Flüsterbeton, schallgedämpften Reifen oder Abschirmwänden. "Neben Begrenzungswerten für Fluglärm zum Beispiel für die Nacht, brauchen wir eine noch bessere Technik für noch leisere Flugzeuge, denn weniger Fluglärm hilft, möglichen Erkrankungen der Bevölkerung auf Dauer vorzubeugen", empfiehlt UBA-Chef Troge. Die Grenz- und Richtwerte für Fluglärm sollten sich an denen für den Straßen- und Schienenverkehr orientieren, empfiehlt de UBA.

Wann allerdings Bundestag und Bundesrat eine Gesetzesnovelle zum Schutz gegen Fluglärm verabschieden, ist ungewiß - trotz grünem Umweltminister. Aber vielleicht kommt auch Linderung aus einer ganz anderen Ecke. Wenn die von der EU-geplante Kerosinsteuer kommt und dazu alle Flugscheine der Mehrwertsteuer unterliegen, entfallen zwei Wettbewerbsnachteile von Bahn, Bus und Auto. Entsprechend höhere Flugpreise lassen dann einen Rückgang der Flugfrequenzen - und damit des Fluglärms - erwarten.


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