© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/05 25. Februar 2005

Abscheu vor dem Regime
Kino: "Sophie Scholl - Die letzten Tage" ist viel mehr als ein Lehrstück über Zivilcourage
Stefanie Wegner

Die deutsche Vergangenheit bestimmt die Gegenwart. Kurz nach dem Jahrestag der Zerstörung Dresdens rückt Marc Rothemunds Spielfilm "Sophie Scholl - Die letzten Tage" in den Mittelpunkt, dessen Kinostart an diesem Donnerstag beinahe mit dem 62. Jahrestag der Hinrichtung der Geschwister Scholl sowie Christoph Probsts am 22. Februar zusammenfällt. Über Julia Jentsch, die Hauptdarstellerin, ist seit Wochen in sämtlichen Feuilletons zu lesen, jetzt ist sie auf der Berlinale, wo der Film Premiere feierte, mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet worden, genauso wie Rothemunds Regiearbeit. Nach "Der Untergang" (2004) und "Napola" diesen Januar thematisiert damit ein weiterer deutscher Film die Zeit des Nationalsozialismus.

Wenn der Stoff nicht historisch wäre, wäre er gut erfunden - die letzten Tage der Geschwister Scholl, vor allem aber Sophies, inszeniert als bedrückendes Kammerspiel. Shakespearianische Zeitraffer beschleunigen die Handlung und erzeugen Spannung: "Schon morgen" wollen die beiden das Flugblatt an der Uni auslegen, auf frischer Tat werden sie dabei ertappt und festgehalten, die Verhöre im Gefängnis beginnen unmittelbar danach, fünf Tage später findet der Prozeß statt, gleich anschließend die Hinrichtung. Insgesamt sind nur sechs Tage vergangen, in denen sich aber die Welt verändert hat, in denen über Leben und Tod entschieden und deutsche Geschichte geschrieben wurde.

Rothemunds Film ist viel mehr als ein bundesdeutsches Lehrstück über Zivilcourage. Das liegt auch daran, daß er sich auf die bisher unveröffentlichten Verhörprotokolle stützt, die bis zum Ende des Kalten Krieges im SED-Parteiarchiv lagerten.

Sophie Scholls Verhalten und Strategien gegenüber dem Gestapo-Beamten Robert Mohr werden dadurch offenbar und lassen die Widerständlerin in ganz neuem Licht erscheinen: Sophie nicht als starre Heilige, sondern als tollkühne junge Frau, die mit der übermütigen Flugblattaktion die Flucht nach vorne antritt. Deren Abscheu vor dem Regime so groß ist - geschürt noch durch Stalingrad -, daß ihr das Risiko egal ist. Bisherige Geschichtsbilder müssen überdacht werden.

Das gilt auch für den Vernehmer Mohr, den Sophie zuerst gekonnt täuschte und sich später, als die Beweislast immer erdrückender wurde, mit ihm politisch-weltanschauliche Wortduelle lieferte. Alexander Held spielt ihn nicht als Nazi-Bösewicht, sondern als spießbürgerlichen Opportunisten, der die grausame Realität des Regimes bewußt oder unbewußt ausblendet. Ihm imponiert Sophies Mut, er will sie vor dem Todesurteil bewahren, wenn sie nur ihrer Überzeugung abschwört. Doch sie will "die Folgen auf sich nehmen".

Sogar der gefürchtete NS-Richter Roland Freisler (André Hennicke) bekommt bei dem einer Farce gleichenden Schauprozeß einen zweifelnden Moment und läßt sich von den Angeklagten einiges bieten. Ein neuer Raum der Freiheit öffnet sich für Hans (Fabian Hinrichs) und Sophie Scholl - sie wissen, daß sie sterben werden, und können darum alles sagen und sich so verhalten, wie sie wollen.

Die Bildersprache des Films arbeitet Oppositionen von Licht und Dunkelheit heraus: Das Gewissen des Einzelnen, personifiziert durch Sophie, wird dem willkürlich festgelegten Rechtsbuchstaben Mohrs gegenübergestellt, die von ihr als befreiend und wohltuend empfundene Sonne mit der anderen Sonne, dem Hakenkreuz kontrastiert. Lichtdurchflutete Kuppeln lösen sich ab mit dem trüben Grau der NS-Gefängnisgebäude. Ebenso fungiert Sophies Zellengenossin, die Kommunistin Else Gebel (Johanna Gastdorf), hier als ihre Spiegelfigur. Auch Else ist über ihren Bruder in den Widerstand geraten, hat aber im Gegensatz zu Sophie die - relative - Sicherheit gewählt, ihrer Idee abgeschworen, "damit die Bewegung weiterlebt". Auch dieser Entwurf von Widerstand wird als berechtigt vor Augen geführt, gleich wie das letztlich von Freisler sadistisch niedergeschmetterte Gnadengesuch Christoph Probsts (Florian Stetter), das er in Angst um seine Frau und Kinder stellt.

Julia Jentschs Sophie - wenn auch manchmal etwas zu modern-lässig gespielt - wirkt natürlich: stoisch, draufgängerisch, spöttisch. Eine Frau, die zu ihren Überzeugungen und Entscheidungen steht. Selbst wenn sie um Fassung ringt, wie etwa als sie von ihrer Hinrichtung erfährt, gibt sie sich keine Blöße, ihre Würde bewahrend. Die patriotische, tief katholische Weltanschauung der historischen Studentin wird in diesem Film verdeutlicht. Besonders eindringlich ist eine Szene kurz vor der Hinrichtung, als Sophie sich vom Gefängnispfarrer segnen läßt. Das Kinopublikum war merklich ergriffen. Und das trotz des Vorsatzes von Drehbuchautor Fred Breinersdorfer, bewußt keine Helden zu erschaffen. "In allen Phasen stand da die große Warntafel mit der Aufschrift 'Entheroisierung'", erklärte er in einem Interview.

Bei allem Lob gibt es aber auch ein paar Kritikpunkte an Rothemunds Film. Prof. Dr. Kurt Huber etwa, der väterliche Mentor der Widerstandsgruppe, der für den Entwurf des sechsten Flugblattes verantwortlich war, kommt fast nicht vor, im Abspann taucht er gar nur als "Kurt Huber" auf - ein beschämender Dilettantismus, wenn man bedenkt, daß ihm seine Titel von der NS-Justiz aberkannt wurden. Freisler: "Ich kenne keinen Professor Huber, auch keinen Doktor Huber, ich kenne nur einen Angeklagten Huber. Dieser aber verdient es gar nicht, ein Deutscher zu sein. Er ist ein Lump!"

Außerdem relativiert das verlängerte Ende mit britischen Fliegern und Swingmusik die Tragik der Hinrichtung und deutet den mutigen Widerstand der Einzelnen als angelsächsische Propaganda um. Hans und Sophie Scholl gehörten nicht zur Swing-Jugend, obwohl diese teilweise, etwa in Hamburg, mit der Weißen Rose in Verbindung stand. Historisch richtig ist zwar, daß das sechste Flugblatt über Helmuth von Moltke nach England gelangte, dort in der BBC verlesen und zusammen mit Bomben über Deutschland abgeworfen wurde - die Bomben ließ man im Film allerdings weg. 

Foto: Sophie Scholl (Julia Jentsch) wird in der Uni München verhaftet und abgeführt: Der Drehbuchautor wollte keine Helden schaffen


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