© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/05 25. Februar 2005

Die Herrlichkeit ward Stein
Frösteln in der kalten Pracht des Prunkbaus: Vor hundert Jahren wurde mit viel Byzantinertum der Berliner Dom eingeweiht
Wolfgang Saur

Der Berliner Dom wird hundert Jahre alt. Ein großes Festprogramm mit Konzerten und Gottesdiensten wird ihn dieses Wochenende feiern. Bischof Wolfgang Huber und Eberhard Jüngel wollen dabei die theologischen Akzente setzen.

Manch einer wird mit gemischten Gefühlen auf den Jubilar blicken: Sein wilhelminischer Charme ist unter der Sandsteinverrußung verschwunden; der Andachtswillige fröstelt in der kalten Pracht des kolossalen Prunkbaus. Im Unterschied zum Petersdom umfängt ihn nicht gebaute Ewigkeit, sondern eine Zyklopenarchitektur entfaltet ihre unbarmherzige Massenwirkung auf die Nerven. Im Horizont preußischer Kunstgeschichte und evangelischer Kirchentradition wirkt der Dom bizarr, ein schlechter Scherz. Was den Zeitgenossen von 1900 plausibel schien, wirkt heute fremd und peinlich, läßt uns ratlos zurück. Weshalb? Weil alle Voraussetzungen entfallen sind, die einst dem Dom sein bauliches, staatliches und sakrales Gewicht verliehen.

Die Irritation wird komplett für den, der von Westen der Spreeinsel zustrebt. In Sichtachse der alten Flaniermeile Unter den Linden säumen heute Dom und "Volkspalast" die Straße: die einstige "Reichsrenommierkirche", ein Popanz, der "seine charaktervolle Umgebung überschreit" (K. Scheffler, 1905) und, nicht genug, dazu noch der verrottende SED-Palast der Republik, nun: hipste location einer snobistischen Kulturschickeria, die den trostlosen Rohbau feiert als postmodernes Nirwana, spielerisches Experimentfeld, unbestimmt, mit offenem Ausgang.

So endet der Weg der einstigen "Königstadt" zwischen Brandenburger Tor und Spree in Depression: Dom und Palast -Sinnwidrigkeit und Apokalypse urbaner Ensemblegestaltung, eine monströse Dampfwalze dem lebendigen Bauen. "Bauend wohne der Mensch", meint der Philosoph. Wie aber sollten wir am Schloßplatz uns einhausen? Man denkt an Nietzsche: Die Deutschen sind von gestern und morgen, sie haben noch kein Heute. Oder ist es umgekehrt? Leben sie in elender Gegenwart, ohne Vergangenheit und Zukunft?

Konfessionelle, nationale und staatliche Ansprüche

Wichtigster Punkt und "Säule" des Stadtquartiers war einst das 1950 gesprengte Schloß: kurfürstliche Renaissance, dann der königlicher Barock Andreas Schlüters. Hier lag die Keimzelle der Friedrichstadt und auch des Doms, der funktionell, als Institut und räumlich stets dem Hause Brandenburg verbunden blieb. Nach der Schloßkapelle des 15. Jahrhunderts ging 1536 das fürstliche Domstift an die nah gelegene Dominikanerkirche, seitdem auch Grablege der Dynastie. Erst Friedrich der Große baute nördlich des Schlosses im Lustgarten neu. Dort errichtete Johann Boumann 1747 einen dürftigen Saalbau holländisch-protestantischen Stils, der axialsymmetrisch mit dem Hauptportal zum Garten gewandt das Terrain zur Spree hin abschloß.

Nach den Befreiungskriegen formte Schinkel den Bau innen, dann in seiner Außengestalt um (1817-21). Eingestellte Säulen trugen jetzt ein kassettiertes Tonnengewölbe; die äußere Gestalt zeigte sich klassizistisch beruhigt: klare, strenge Linien; der Mittelrisalit war kraftvoll als Tempelfront akzentuiert, das flache Dach über Giebel und Attika von einer Scheinkuppel mit flankierenden Türmchen bekrönt, die Proportionen überlegen ausbalanciert. So schuf dezente Motivik von Fenstern, Portikus und Kuppel die noble Baugestalt, harmonisch der Umgebung eingefügt.

Schinkels Museum mit seiner monumentalen Säulenfront schloß 1830 das Ensemble barocker und klassischer Bauten ab. So zeigte es sich den Berlinern noch am Ende des Jahrhunderts. Die einzigartige Verbindung von staatlicher Repräsentation, humanistischer Bildung und christlichem Glauben hielt architektonisch Lustgarten und Schloßplatz zusammen.

So ideal diese Konfiguration auch war, erwies sich Schinkels Dom doch als unzureichend. Zu klein, erfüllte er Funktionen und Symbolik bald nicht mehr. So schwollen Architekturdiskussion und -wettbewerbe an; bis zur Grundsteinlegung des neuen Doms 1894 war das Jahrhundert erfüllt von Plänen und Kontroversen. Rückblickend kreisten architektonische Phantasie und gesellschaftliche Debatte um folgende Probleme:

- Neben den bisherigen Aufgaben der Dom- und Hofkirche sowie des Mausoleums wuchsen dem Dom neuartige Aufgaben zu: konfessionelle, nationale und staatliche Ansprüche. Gewünscht wurde eine "protestantische Hauptkirche", Symbol des evangelischen Nordens. Als nationales Denkmal sollte der Dom Erinnerung an die Befreiungskriege und die Sehnsucht nach Einheit, später Genugtuung über die Siege 1813/1866/1871 ausdrücken. Mit der Reichsgründung wurde ein "Staatsfesthaus" vollends überfällig.

- Spannungen zwischen monarchischem Königshaus, nationalliberaler Bürgerschaft und formalästhetischem Kritikerurteil boykottierten Entschlüsse immer wieder.

- Historische Ereignisse kamen hinzu, so die Revolution von 1848. Sie vereitelte zumal die 1844-48 begonnene Umsetzung des Stülerschen Plans einer frühchristlichen Säulenbasilika, Wunsch Friedrich Wilhelms IV. Sie wurde schließlich nur in den Intimformen von Friedens- und Heilandskirche zu Potsdam Wirklichkeit.

- Dem Zeitalter entsprach der Rückgriff auf historische Baustile, in reiner Form oder eklektischer Kombination. Hinzu kam, daß Stilformen als Ideenträger galten, symbolisch aufgeladen wurden. Es ging also um das historische Modell, das neuen Zwecken entsprechen könnte. So fahndeten alle nach dem perfekten Paradigma. Diskursiv wurden dabei vor allem drei Konzepte fokussiert. Nationaldemokratische Utopie setzte auf die gotische Kathedrale; christliches Königtum als romantische Vision favorisierte die frühchristliche Säulenbasilika; großes Interesse zogen schließlich Zentralbau und Kuppelform auf sich, in allen Varianten durchgespielt. Die Renaissancerezeption der sechziger und siebziger Jahre qualifizierte diese nun bürgerlich-humanistisch als "das letzte im Reich der absoluten Bauformen", als Erbe an die Gegenwart und als Kirchenform "einer künftigen Religiosität zum Vermächtnis" (J. Burckhardt). Zudem war der Bautyp barock, also fürstlich interpretierbar, eine Würdeform mit triumphalistischer Steigerungspotenz.

Was Wunder, daß Wilhelm II. die Debatte endigte und sich für Julius Raschdorf (1823-1914) entschied. Nach elfjähriger Bauzeit weihte man den Dom am 27. Februar 1905 pompös ein. Widersprüchliches trat gleich zutage. So notierte launig der Hofmarschall: "Die Feier verlief in der äußerlichen glänzenden Weise", doch "als wäre das Ganze ein Abbild unserer Zeit, wollte meine Stimmung (...) sich nicht (...) verinnerlichen. Die Geistlichen hielten glänzende Reden, aber viel Byzantinertum in ihren Worten machte mich bekümmert. Ob sie wohl den 4. Teil der Dinge selbst glaubten (...)? Besonders gefielen sie sich in Lobpreisungen über das herrliche Werk und seinen Schöpfer, womit sie natürlich den Kaiser meinten."

Nebenan prangt das Wort "Zweifel" auf der SED-Ruine

Der an italienischer Hochrenaissance orientierte Dom mit neubarockem Gestus erhob sich am Rand der Spree nun in den gewaltigen Ausmaßen von 75 mal 105 mal 114 Meter. Auf dem die Hohenzollerngruft mit 100 Särgen aufnehmenden Sockelgeschoß hatte Raschdorf eine ausgedehnte Anlage mit überkuppeltem Zentralbau und drei aufwendig gestalteten Fassaden errichtet: östlich mit Freitreppe zur Spree, südlich gen Schloß mit Zugang zur kaiserlichen Prunkstiege und westlich die Lustgartenfassade mit Granittreppe, riesiger Vorhalle und Hauptportal. Mit kolossaler Säulen- und Pilasterordnung, reich mit plastischem Schmuck und einer Unzahl von Baugliedern profiliert, zentriert in einem gigantischen, die Vorhalle öffnenden Triumphbogen, schloß die pathetische Schauseite aufwärts mit gewaltigem Kranzgesims ab.

Das Innere verband entsprechend seiner Hauptfunktionen drei Sakralräume zum Komplex. Südlich die Tauf- und Traukirche, nördlich ein weiter Zentralraum mit ausstrahlendem Kapellenkranz: die "Denkmalkirche" der Hohenzollern, von der SED noch 1975 gesprengt. Schließlich die "Predigtkirche" als Hauptraum, ein ungeheuer dimensioniertes Oktogon, über deren Pfeilern sich die gewaltige Kuppel erhebt.

Seit 1975 mit Westgeld restauriert, wurde der Dom am 6. Juni 1993 von Helmut Kohl unter großem Polizeiaufgebot und hysterischem Antifageschrei eingeweiht, schrill und schäbig im Vergleich zu 1905.

Jetzt gibt es wieder eine Feier. Nebenan debattiert man weiter. Dort prangt 2005 "Zweifel" als Signalwort auf der SED-Ruine. Laut der Initiatoren "fungiert es als Logo für eine virtuelle Institution: Der 'Palast des Zweifels' nimmt teil am öffentlichen Diskurs zu Fragen der Identität in einer globalisierten Welt." Die Leuchtschrift als Emblem weist so auf schwebende Punkte der Ortlosigkeit, zwischen "verlorengegangenen Utopien" und "neuen Perspektiven" - gesichtslose Chiffre einer "Republik ohne Mitte" (R. Herzinger). Deutschland, quo vadis?


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