© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/05 25. Februar 2005

Frisch gepresst

Hitler und die Araber. Wenn vom arabischen Nationalismus die Rede ist, dann scheint die Erinnerung an den früh von Simon Wiesenthal ins Visier genommenen "Großmufti von Jerusalem" oder die 1942 angeblich Rommel herbeisehnenden ägyptischen Offiziere um Nasser immer noch zum gesunden historischen Halbwissen zu zählen. Der von Gerhard Höpp, Peter Wien und René Wildangel herausgegebene Sammelband über "Arabische Begegnungen mit dem Nationalsozialismus" (Blind für die Geschichte. Klaus Schwarz Verlag, Berlin 2004, 378 Seiten, broschiert, 26 Euro) schafft hier Abhilfe. Und nicht nur das: Die meisten Beiträge sind im besten Sinne revisionistisch. Herausragend darunter die Studie Wildangels, der darlegt, daß die vermeintliche NS-Affinität der palästinensischen Araber auch als eine Kreation der israelischen Historiographie zu begreifen ist.

Bewältigung in Holland. Nicht Rudolf Heß, sondern die beiden letzten der "Vier von Breda", die 1989 entlassen wurden, könnten den zweifelhaften Ruhmestitel für sich in Anspruch nehmen, die am längsten inhaftierten "NS-Verbrecher" gewesen zu sein. Mit dieser Richtigstellung beginnt Harald Fühner seine profund-akribische Untersuchung über "Die niederländische Politik und die Verfolgung von Kollaborateuren und NS-Verbrechern" zwischen 1945 und 1989 (Nachspiel, Waxmann Verlag, Münster 2005, 471 Seiten, gebunden, 39,90 Euro). Eher unbeabsichtigt präsentiert er die Allianz von Politikern, Juristen und Publizisten, die verbissen über ihre für die Geschichte des Zweiten Weltkrieges relativ nebensächliche Besatzungszeit streiten, als Kohorte unversöhnlicher Moralisten, denen Vergangenheitsbewältigung den verlorenen calvinistischen Glauben zu ersetzen scheint.

Europas Identität. Um zu beweisen, daß Rußland eine philosophische Großmacht sei, muß man nur an Kant erinnern, der seine Vernunftkritik in einer heute von Moskau aus verwalteten Exklave erdachte. Wer so argumentiert, kann auch belegen, daß die Türkei zu Europa gehöre, weil auf ihrem heutigen Staatsgebiet in Kleinasien Herodot Geschichte schrieb oder Thales theoretisierte. Zwar waren Thales und Herodot so wenig Türken wie Kant Russe, doch solche Details sind zu ignorieren, wenn es der guten Sache dient. Und um die geht es dem SPD-Funktionär und Dortmunder Politikprofessor Thomas Meyer, wenn er unterstellt, daß Europas Identität durch den EU-Beitritt der Türkei nicht leide. Ähnlich brachial argumentierend müht sich Meyer, "Bausteine" des bei ihm allein von der Identifikation mit den EU-Institutionen gestifteten europäischen Zusammenhalts zu projizieren. Trotz dieser Defizite ist das wirre, aber aufschlußreiche Büchlein zur Bestimmung der "geistigen Situation der Zeit" zu begrüßen (Die Identität Europas. Der EU eine Seele? Suhrkamp Verlag, Frankfurt 2004, 239 Seiten, broschiert, 10 Euro).


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