© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 10/05 04. März 2005

BRIEF AUS BRÜSSEL
Türkei und Ukraine - kein Teil der Union
Andreas Mölzer

Ohne orangenen Schal war er gekommen. Dafür nach wie vor mit von Dioxinnarben entstelltem Gesicht: der neue ukrainische Premier Viktor Juschtschenko. Kürzlich besuchte er das Europäische Parlament in Straßburg und deponierte dort in einer emotionalen Rede das Ziel der Demokratisierungspolitik in der Ukraine. Man wolle möglichst rasch Mitglied der EU werden.

Wenige Tage später tagte die gemischte parlamentarische Delegation von EU-Parlament und türkischer Volksvertretung. Der Minister für religiöse Angelegenheiten war aus Ankara angereist, um über die Trennung von Staat und Islam angesichts einer von Islamisten dominierten Regierung zu sprechen. Mit ihm zwei Dutzend türkische Parlamentarier und eine Handvoll weltgewandter osmanischer Diplomaten. Charmant suchten sie den Kontakt mit den EU-Abgeordneten, unter ihnen auch der Autor dieser Zeilen, um gleichzeitig mit großer Härte zu demonstrieren, daß sie bei ihrem Streben nach Vollmitgliedschaft in der EU nicht die geringsten Abstriche zu machen bereit sind. Tenor der Gespräche: Dem türkischen Volk seien keinerlei Vorbehalte und keinerlei Ausnahmeregelungen anstelle einer Vollmitgliedschaft zuzumuten.

Die Union solle doch froh sein, einen derartig starken und zukunftsträchtigen Partner wie die Türkei zu bekommen. Die Frage des Genozids an den Armeniern sei ein alter Hut, daß Zypern-Problem uninteressant und überhaupt habe man den Türken die Mitgliedschaft vier Jahrzehnte lang versprochen. Da seien nunmehr Ankündigungen von Plebisziten in Frankreich und anderswo schlichtweg Frechheiten. Das Selbstbewußtsein und die Härte, mit der die Türken da ans Werk gehen, ist beeindruckend und läßt erahnen, über welch mächtige Unterstützer sie im Hintergrund verfügen.

Worauf sollte man nunmehr aus europäischer Sicht das Schwergewicht legen, auf eine EU-Annäherung der Ukraine, oder einen Beitritt der Türkei? Gewiß, die Ukraine ist zumindest in ihrem westlichen Teil zweifelsfrei europäisch geprägt. Galizien, die Bukowina, die Karpato-Ukraine waren Teil Altösterreichs. Und die Ukrainer sind Christen, ihr Land galt einst als die Kornkammer Europas. Andererseits ist da die Interessenkollision mit Rußland.

Die Ostukraine ist stark in Richtung Moskau orientiert und gehört mit einiger geopolitischer und historischer Berechtigung zum russischen Einflußbereich. Brüssel müßte also entweder eine Teilung der Ukraine favorisieren - oder zumindest eine klare Interessenabklärung mit dem Kreml, wenn sich Kiew in Richtung Europa bewegen sollte.

Im Falle der Türkei verhält es sich bekanntlich anders. Sie ist nicht einmal teilweise ein europäisches Land, sie ist historisch, kulturell und religiös bekanntlich geradezu so etwas wie ein Gegenbild des alten Abendlandes. Und sie ist - das hat sie allerdings mit der Ukraine gemeinsam - sozioökonomisch und demokratiepolitisch ein Entwicklungsland.

Unbestreitbar ist allerdings, daß sie ein interessanter Markt für die EU ist und darüber hinaus wohl der ideale weltpolitische Partner im Bereich des Nahen und Mittleren Ostens für Europa.

Nachdem sich die Ukraine wohl nur schwerlich wird teilen lassen und die Europäisierung der Türkei eine bloße Fiktion bleiben wird, muß man also wohl in Hinblick auf beide Staaten zur Ansicht kommen, daß sie enge Partner, Verbündete Europas sein können, auf absehbare Zeit aber nicht Teil der Union.


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