© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/05 11. März 2005

Zensur durch die Hintertür
Internet: Die Betreiber von Suchmaschinen wollen die Nutzer zukünftig vor vermeintlich anrüchigen Seiten schützen
Georg Pfeiffer

Ende Februar haben sich sechs große Suchmaschinenbetreiber in Deutschland auf einen "Verhaltenssubkodex für Suchmaschinenanbieter" geeinigt. Darin verpflichten sie sich, die Nutzer über die Funktionsweise der Suchmaschine aufzuklären, Ergebnisseiten transparent zu gestalten, Vorkehrungen zum Kinder- und Jugendschutz zu treffen. Gleichzeitig kündigen sie an, mit Nutzerdaten "sparsam" umzugehen.

Weiterhin einigten sie sich auf ein Verfahren zur Eindämmung von nach dem Strafgesetzbuch oder dem Jugendmedienschutz-Staatsvertrag untersagten Inhalten. Zu diesem Zweck wollen die beteiligten Dienstanbieter bei ihnen eingehende Beschwerden generell an die Organisation Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter (FSM) weiterleiten.

Die FSM soll eine Vorprüfung unter Anhörung des Betroffenen vornehmen. Wenn sie nicht ausschließen kann, daß einer der aufgeführten Tatbestände erfüllt ist, leitet sie die Beschwerde an die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) zur Indizierung weiter. Es handelt sich also insoweit um eine "verbesserte" Denunziations-Infrastruktur. Von der BPjM indizierte Seiten wollen die beteiligten Dienstanbieter bei Drohung einer Vertragsstrafe von bis zu 15.000 Euro aus ihren deutschen Ergebnislisten verbannen. Auf dem Index der BPjM sollen derzeit etwa eintausend Internetseiten stehen. Die Liste ist nicht öffentlich. Es können lediglich Einzelabfragen an die BPjM gerichtet werden.

Soweit scheint das Verfahren nicht zu beanstanden zu sein. Welche Seiten im Internet betroffen sind, ist durch die Bindung an den Index der BPjM eindeutig umrissen. Die Indizierung stellt einen - angreifbaren - Verwaltungsakt dar. Der Betroffene wird vorher angehört und genießt vollen Rechtsschutz.

Für den Nutzer sind die Maßnahmen zunächst nicht übermäßig einschneidend. Ausländische Suchmaschinen, auch ausländische Mutter- oder Schwestergesellschaften der Vertragschließenden, übernehmen den entsprechenden Filter nicht. Die indizierten Seiten bleiben für den interessierten - und etwas geübten - Nutzer mit relativ geringem Mehraufwand weiterhin auffindbar.

Eine staatliche Regelung soll verhindert werden

Befremden erregt aber, mit welcher Bereitwilligkeit sich private Unternehmen - es handelt sich um AOL Deutschland, Google Deutschland, Lycos Europe, MSN Deutschland, T-Online, t-info und Yahoo Deutschland - an der staatlichen Kontrolle beteiligen, ihr zuarbeiten und sich für die Vollstreckung andienen. Das ist nicht ihre Aufgabe, und dafür werden sie von ihren Kunden nicht bezahlt. Zweck soll sein, eine staatliche Regelung, vielleicht gar auf europäischer Ebene, zu vermeiden. Ein solches Gesetz könnte in der Tat sehr viel einschneidender und vor allem auch unklarer ausfallen. Es würde nicht nur die freiwillig beigetretenen, sondern alle Dienstanbieter verpflichten.

Die Selbstregulierung liegt im Interesse der Internet-Branche. Nichtsdestotrotz wird die Kontrolle über das Internet engmaschiger. Wie ernst die FSM - auch dies ein freiwilliger Zusammenschluß von Online-Diensten - die Vorprüfung nimmt, davon hat sie schon Kostproben gegeben. So monierte sie im Jahre 2003 die Abbildung eines Kriegsopfers in einem Artikel des seriösen Online-Magazins Telepolis, in dem es gerade um die Medien- und insbesondere die Bildberichterstattung über den Irak-Krieg ging. Nach der ausführlichen Stellungnahme von Telepolis zu schließen, muß diese Vorprüfung äußerst oberflächlich geraten oder ganz entfallen sein.

Mehr Vertrauen hat sich da schon die - staatliche - BPjM erworben. Nach dem Massaker von Erfurt, als die öffentliche Erregung auf dem Siedepunkt war, weigerte sie sich nach sehr eingehender Prüfung standhaft, bestimmte Computerspiele auf den Index zu setzen, und trat so der Hysterie entgegen.

Es bleibt abzuwarten, wie sich nach der neuen Regelung der Index entwickelt. Abgesehen davon müssen Betreiber von Internetseiten zur Freude ihrer Anwälte jetzt häufiger mit Post von der FSM rechnen. Das Problem liegt weniger in den tatsächlich drohenden Sanktionen als vielmehr in dem Übereifer beteiligter Privatleute und Unternehmen, in der Ermunterung von Denunzianten und selbsternannten Hilfssheriffs wie zum Beispiel haGalil.

Dieses Projekt eines bis vor kurzem staatlich geförderten Online-Journalisten (JF 10/05) dient allein dem Zweck, als "rechts" empfundene Internetseiten aus den Ergebnislisten von Google zu verdrängen und es selbst zu bestimmten Stichworten bis in die erste Zeile zu schaffen. Auf diesem langen Weg wird es einigen "index-verdächtigen" Publikationen begegnet sein. Die größte Gefahr für die Meinungsfreiheit liegt in dem vorauseilenden Gehorsam, der Selbstzensur und der Angst, etwas Falsches zu sagen. Sie vergiften das geistige Klima.

Die Bertelsmann-Stiftung steht hinter dem Projekt

Erfunden und vorangetrieben wurde der jetzt vorliegende Verhaltenskodex von der Bertelsmann-Stiftung. Bertelsmann ist als Verlag groß geworden mit religiösen Erbauungsbüchern, Kriegserlebnisbüchern und Feldausgaben für die Wehrmacht. Für die aus dem Buch- und Medienimperium hervorgegangene Stiftung gehört die "Privatisierung der Politik", die Einebnung der Unterschiede zwischen Politik und Wirtschaft zu den Kernanliegen. Mit dem jetzt auf den Weg gebrachten Verhaltenskodex für Suchmaschinen ist ihr ohne Frage ein weiterer Coup gelungen.


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