© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/05 11. März 2005

"Hang zur Kriecherei"
Interview: Der langjährige CDU-Politiker und Berliner Innensenator Heinrich Lummer über den Streit um den 8. Mai und den Fall Hippe
Marcus Schmidt

Herr Lummer, die CDU-Fraktion in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) von Steglitz-Zehlendorf hat offensichtlich dem politischen und medialen Druck nachgegeben . Nunmehr soll der 8. Mai stärker als Tag der Befreiung betont werden und der deutschen Opfer nur noch indirekt gedacht werden. Hat Sie der Meinungswandel der CDU überrascht?

Lummer: Keineswegs. Ich hätte mich gewundert, wenn es nicht so gekommen wäre. Es ist die verdammte Verbeugung vor der political correctness, die den Hang zur Kriecherei unterstellt. Dabei sollte doch die ambivalente Rolle des 8. Mai inzwischen jedem klar sein.

Was genau meinen Sie?

Lummer: Tag der Befreiung ist das eine, und Tag der Katastrophe und der Niederlage ist das andere. Die Alliierten sind nicht zuvörderst als Befreier, sondern als Sieger zu uns gekommen. Als solche habe ich sie auch als kleiner Junge erlebt. Wie mir ein Amerikaner die Pistole vorhielt, weil er nach einer Kamera suchte, die es nicht gab.

Können Sie sich mit Ihrer jahrzehntelangen Erfahrung vorstellen, daß die Bundespartei die CDU-Fraktion in Steglitz-Zehlendorf zu einem Kurswechsel in dieser Frage gedrängt hat?

Lummer: Zuzutrauen wäre es ihnen allemal.

Hat die Bundes-CDU Ihrer Meinung nach überhaupt ein eigenständiges Konzept im Umgang mit dem 8. Mai?

Lummer: Das muß ein Geheimnis sein.

Der Landesvorstand der CDU hat ein Parteiausschlußverfahren gegen den Bezirksverordneten Torsten Hippe eingeleitet. Er hatte gegenüber einem Fernsehteam den Bombenkrieg "in seinen Exzessen" als Terror bezeichnet und in diesem Zusammenhang gesagt, er könne es nicht verhindern, daß er in einzelnen Fragen den Positionen der NPD nahestehe. Dabei hatte er betonte, daß seine Ansichten auf einem anderen Fundament stünden als die der NPD.

Lummer: Worauf wollen Sie hinaus?

Obwohl Hippe sich mehrfach für seine Äußerungen entschuldigt hat, hat der Landesvorsitzende Joachim Zeller dieses Ordnungsverfahren eingeleitet. Wäre ein Ausschluß Hippes gerechtfertigt?

Lummer: Nein! Denn einerseits kann man durchaus mit einer Partei punktuell übereinstimmen. Dies gilt auch für die NPD und die PDS. Denn die meisten Politikfelder sind wertneutral. Es gibt keinen christlichen Straßenbau und keine sozialistische Sportpolitik. Andererseits war es mein persönlicher Eindruck, daß es sich bei dem Bombenkrieg, den ich miterlebt habe in seinen "Exzessen", durchaus um eine Form des Terrors gehandelt haben mag. Und das sollte man auch sagen dürfen.

Sowohl der Kreisverband der CDU als auch die BVV-Fraktion haben sich gegen einen Parteiausschluß Hippes ausgesprochen. Glauben Sie, daß es sich hierbei um inhaltliche Zustimmung handelt, oder geht es um personalpolitische Auseinandersetzungen innerhalb der Landes-CDU?

Lummer: Ich halte es nicht für möglich, daß eine solche Frage, die so sehr an das Gewissen rührt, zu taktischen Spielen mißbraucht wird.

 

Heinrich Lummer, Jahrgang 1932, war Bürgermeister und Innensenator von Berlin, bevor er zehn Jahre lang bis 1998 dem Deutschen Bundestag angehörte.

 

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