© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/05 11. März 2005

Pankraz,
Lord Chesterfield und das Lob der Schmeichelei

Beim Vorbereiten eines Vortrags zum Schillerjahr las Pankraz wieder einmal in den zwei gloriosen Bänden mit dem Briefwechsel zwischen Schiller und Goethe. Was ihm diesmal auffiel, war der schmeichlerische Duktus in Schillers Briefen. Schiller will die Freundschaft des zehn Jahre Älteren erringen, will ihn aber auch zur Mitarbeit an seinen Zeitschriftenprojekten und literaturkritischen Fehden gewinnen. Und deshalb schmeichelt er dem mächtigen Geheimen Rat, von Anfang an und auf höchstem Niveau.

Goethe fängt - wenn diese etwas respektlose Wendung erlaubt ist - unterm Andrang der Schillerschen Worte an zu schnurren wie ein zufriedener Kater. Er taut auf, geht aus sich heraus, öffnet dem Schmeichler gravitätisch sein Herz. Und Schiller schmiedet das Eisen, solange es heiß ist, macht Vorschläge, lanciert seine eigene Meinung als die "eigentliche" Meinung Goethes. Dieser kann gar nicht anders, als sich darauf einzulassen.

An alledem ist nichts Verächtliches. An sich gilt Schmeichelei ja als schlimmes Laster, wird mit Lüge und Schleimscheißerei in Verbindung gebracht; über den, der auf Schmeicheleien hereinfällt, ergießen sich Spott und Belustigung. Doch im Falle "Schiller schmeichelt Goethe" bleibt jedem der Spott im Halse stecken. Man sieht einem großen Meister bei der Arbeit zu. Es ist entzückend zu verfolgen und sehr lehrreich.

Schiller denkt nicht daran zu lügen oder auch nur zu übertreiben. Er läßt sich aber voll und mit größtem Ernst auf die Interessen und Antriebe des Umschmeichelten ein. Es sind nicht unbedingt seine eigenen Interessen und Antriebe, er muß beim Reden manchmal Anwandlungen von Langeweile unterdrücken. Doch indem er Werk und Wollen des anderen verständig hin und her wendet, ihnen Respekt und Anerkennung zollt, um hier und da auch einmal knappe Kritik oder Verbesserungsvorschläge anzubringen, gewinnt er das Zutrauen des anderen. So und nicht anders entstehen dauerhafte, fruchtbare Beziehungen auf Gegenseitigkeit.

Kein Mensch ist völlig immun gegen Schmeichelei, und das schadet nicht. Die Konkurrenten der Schmeichelei: blinde Parteigängerei, üppige Lobhudelei, ob nun aus ehrlichem oder unehrlichem Herzen, sehen sehr viel unappetitlicher aus. Was den Schmeichler vom Lobhudler oder auch vom bloß Lob Spendenden unterscheidet, ist seine Fähigkeit, dem Umschmeichelten irgendwie zu Bewußtsein zu bringen, daß er etwas geschenkt bekommt, ein Surplusprodukt, einen Mehrwert.

Lobhudler, leicht durchschaubar zu allermeist, tun nur so, als ob sie etwas schenkten, ehrliche Lobredner benennen nur das, was ohnehin da ist. Einzig der Schmeichler ist ein Schenker. Nicht zufällig wird er in der Literatur mit der Katze verglichen (während Hunde als blinde Parteigänger gelten). Die Katze "schmiegt sich an", obwohl sie es auch lassen könnte. Sie verteilt ihre Schmeicheleinheiten bedachtsam und eher sparsam.

Empfänger von regelmäßigen Schmeicheleinheiten, auch wenn sie vorsichtig und selbstkritisch sind, können süchtig nach diesen Einheiten werden. Hierher gehört die Geschichte von Ephraim Kishon über jenen Theaterkritiker, an dem sich ein kundiger Schmeichler aus irgendeinem Grunde rächen will. Er fängt an, den Meister ob seiner Kritiken kundig zu loben, über eine lange Strecke hin. Doch dann mischt er Körner von Verwunderung und Befremdung über die angeblich nachlassende Urteilskraft des Kritikers unter sein Lob, immer mehr und immer mehr. Schließlich überwiegt die Kritik der Kritik total, aus den Schmeichelbriefen von einst sind schreckliche Schmähbriefe geworden.

Der Kritiker hat sich so an die früheren Schmeicheleien gewöhnt, daß er tief erschrickt, als die ersten anklagenden Töne kommen. Er gibt sich die größte Mühe, seine Katze zufriedenzustellen, er feilt an seinen Texten wie nie zuvor, strampelt sich stilistisch ab - vergebens. Zuletzt trifft ihn jeder Brief des Ex-Schmeichlers wie ein Keulenschlag, er quittiert entnervt seinen Kritikerdienst und reiht sich ein ins graue Heer der Theaterstatisten.

Einen Leitfaden für richtiges, nach allen Seiten hin erfolgreiches Schmeicheln hat es, soviel Pankraz weiß, bisher noch nicht gegeben. Die ausführlichen Anweisungen in Sachen Schmeichelei, die im 18. Jahrhundert Philip Stanhope, 4. Earl of Chesterfield, seinem Sohn zum großen Ergötzen des Publikums hinterließ, beziehen sich allzu exklusiv auf die Beziehungen zwischen den Geschlechtern, sind zudem nicht sonderlich charmant.

"Den Frauen", schrieb Lord Chesterfield, "kannst du nicht genug schmeicheln, sie sind unersättlich. Sie verschlucken noch das höchste, feinst ausgedachte Schmeichelwort, als wäre es ganz selbstverständlich, sind aber auch dankbar für das niedrigste. Unstreitig Schönen und unstreitig Häßlichen schmeichelst du am besten, indem du ihren Verstand lobst. Den Durchschnittlichen schmeichelst du, indem du ihre Schönheit lobst. Denn jede, die nicht schlechterdings häßlich ist, hält sich für schön, für sehr schön. Das bedenke immer!"

Schiller hat, wie fast jeder Gebildete damals in Europa, Chesterfields Briefe an seinen Sohn aufmerksam gelesen. Goethe, im Falle seines Briefwechsels mit Schiller, war eindeutig "die Frau". Er war (geistig-poetisch) unstreitig schön, also lobte Schiller immer wieder seinen Verstand. Und die Affäre ist zum Guten ausgeschlagen, nicht nur für Schiller (und Goethe), sondern für die deutsche Literatur insgesamt.

Trotzdem war die Taktik riskant, darüber ist sich wohl auch Schiller im klaren gewesen. Wie läßt er seine Maria Stuart angesichts des Schafotts bitter klagen? "Wir haben in den Tagen unsers Glanzes / Dem Schmeichler ein zu willig Ohr geliehn." Am Ende, wenn abgerechnet wird, gelten Schmeicheleien nichts.


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