© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/05 11. März 2005

Die Untiefe der Sehnsüchte
Oper: "Salome" in Dresden
Konrad Pfinke

Sie ist die Spezialistin für Frauen, die, oft halb Kind, halb Erwachsene, zugleich stark und schwach sind: Evelyn Herlitzius. Sie ist eine phänomenale Brünnhilde von seltener Eindruckskraft, in ihrem Stammhaus, der Dresdner Semperoper, hat sie eine unendlich anrührende Elisabeth gegeben und kürzlich eine Turandot von immens kalter Strahlkraft gesungen.

Nun hat sie ihr Profil um eine neue Variante bereichert: Salome, die Kindfrau, die mit dem Propheten Jochanaan eine Liebesgeschichte starten könnte - wenn sie und er nicht in ein tödliches Beziehungsgeflecht hineingewachsen wären. Die Herlitzius zeigt eine Salome, die nicht "pervers" ist, sondern in ihrer Fixierung auf die Liebe sich selbst zum Opfer fällt. Die Partie paßt ihr wie angegossen: ihre hellglänzende Höhe, verschwistert mit den dämonischen Tiefen, liegt betörend genau in der Kehle der Sängerschauspielerin.

Unter Peter Mussbachs stark psychologisierender Regie, die die Beziehungen zwischen dem Quartett der beiden Paare tief auslotet, wird Wolfgang Schmidt zum dramatischen Charaktertenor. Dieser Herodes ist kein Hysteriker mehr, sondern ein Getriebener, der sich im "Schleiertanz" lustvoll von Salome verführen läßt. Daß der "Tanz" zugunsten einer siedend heißen Pantomime wegfällt, hat tiefere Bedeutung: Jochanaan wird von Salome mit Schlips und Bauchbinde des Herodes buchstäblich gefesselt, Herodias gewinnt nebenbei Gefallen an dem, der sie haßt - Dagmar Peckova gelingt eine genaue Charakterzeichnung der Frau, der der Prophet nicht grundlos "Geilheit" nachsagt -, und Salome triumphiert mit berechnender Erotik über die inzestuösen Wünsche des Stiefvaters.

Wenn Alan Titus mit mächtigem, souveränem Baß den Jochanaan orgelt, versteht man, wieso er nicht in der Zisterne versteckt werden muß, sondern wie selbstverständlich durch die Szene läuft: um von Salome so fasziniert zu werden, daß er sie von sich stoßen muß, um seinen Theorien vom "üblen Weib" treu zu bleiben. So entgrätet die Regie den Stoff von allem orientalisierenden Dekor, um ihm dort gerecht zu werden, wo er am stärksten ist: in der Untiefe der menschlichen Sehnsüchte und Ängste. Irgendwann hat man sich auch an den schroffen Kubus gewöhnt, den Mussbach als sein eigener Bühnenbildner auf die Bühne setzte.

Das realistische Konzept verläßt sich immer auf die Elementarkraft der Musik und geht auch deshalb auf, weil Kent Nagano das Orchester der Sächsischen Staatsoper kraftvoll und doch rhythmisch außerordentlich sicher wie klug gezügelt durch den Abend zu führen weiß. Straussens Klangorgie wird betörend diszipliniert: es strahlt mehr, als daß es lärmt. Vor genau einhundert Jahren wurde das Werk in Dresden uraufgeführt, nun wurde ihm eine tiefsinnige Wiederauferstehung zuteil.


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