© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/05 18. März 2005

Nur fliegen ist schöner
Glücksgriff: Wes Andersons "Die Tiefseetaucher" ist Schmunzelkino vom feinsten
Silke Lührmann

Frei nach Tolstoi scheint Regisseur Wes Anderson zu glauben, jede unglückliche Familie sei auf ihre eigene Art skurril. Was in "Die Royal Tenenbaums" oft gewollt wirkte - als versuchte jemand auf Teufel komm raus einen Kultfilm zu drehen, und der Teufel scherte sich einen feuchten Kehricht darum -, glückt ihm diesmal durch den Kunstgriff, die Handlung auf hohe See zu verlagern.

Doch was heißt schon Handlung? Die ist hier ebenso Nebensache wie die Entwicklung der Filmfiguren, der Aufbau eines aristotelischen Spannungsbogen oder das Leitmotiv der Väter, die sich nicht kümmern. Was bleibt, ist reiner Klamauk, ein Seemannsgarn mitsamt Piraten, menschenfressenden Meeresungeheuern und verwunschenen Inseln: Schmunzelkino vom feinsten, der alleinige Anspruch, daß es Spaß machen soll, bei den Dreharbeiten wie beim Zuschauen. Rote Wollmützen stehen jedem und passen sogar zum Anzug, wenn's denn sein muß. David-Bowie-Klassiker klingen auf portugiesisch fast besser als im Original und lohnen allemal die Anschaffung des Soundtracks, auf dem neben dem brasilianischen Popidol und "City of God"-Star Seu Jorge auch der "thin white duke" höchstpersönlich sowie Iggy Pop, Devo und Joan Baez zu hören sind.

Die Familie besteht nicht nur aus dem Meeresforscher und Schwerenöter Steve Zissou (Bill Murray mit dauerzerknirschter Leidensmiene), seiner Frau Eleanor (Angelija Huston, seit ihrer Rolle als Mutter der skurrilsten Sippschaft von allen, der "Addams Family", eine Spezialistin für das Metier) und der geschniegelten Landratte Ned Plimpton (Owen Wilson, Andersons Freund aus Studententagen), der vielleicht, vielleicht aber auch nicht sein Sohn ist. Mit ihnen im selben Boot sitzen die aus allen Himmelsrichtungen zusammengewürfelte Besatzung der "Belafonte", Amateure allesamt, deren beste Zeiten längst vorbei sind, ein barbusiges Scriptgirl, ein Haufen Praktikanten, ein Versicherungsfuzzi, Zissous Erzrivale (Jeff Goldblum) und eine schwangere Journalistin (Cate Blanchett).

So weltfremd ist dieser Abenteurer natürlich nicht, daß er seine Haut nicht zu Markte zu tragen wüßte. Schon Jacques Cousteau (1910-1997), auf dessen Lebensgeschichte und nicht zuletzt seinem Markenzeichen, ebenjener roten Mütze, das Drehbuch von Anderson und Noah Baumbach sehr lose basiert, verdankte seinen Erfolg auch einem ausgeprägten Geschäftssinn: Er patentierte 1943 gemeinsam mit dem Ingenieur Emile Gagnan die Aqualunge, das erste Preßlufttauchgerät, überredete 1950 seinen englischen Mäzen Lord Guinness, ihm ein altes Minenräumboot zu kaufen, aus dem er dann die "Calypso" machte, wie sein weltweites Fernsehpublikum sie kannte und liebte, und ließ sich 1972 die Entwicklung eines neuartigen U-Bootes vom französischen Staat finanzieren.

Die kommerzielle Ausschlachtung seiner Expeditionen rechtfertigte Cousteau, indem er seine Popularität und seine Bekanntschaft mit politischen Entscheidungsträgern zugunsten des Umweltschutzes gelten machte. Steve Zissou dagegen hat alle Hände voll zu tun, um sich und seine Crew finanziell über, geschweige denn unter Wasser zu halten. Für seine Filme findet er keinen Produzenten mehr, und selbst der von ihm entwickelte Turnschuh "Zissou" mußte als Fehlschlag aus dem Handel genommen werden - bei eBay sollen Restpaare mittlerweile weggehen wie heiße Semmeln.

Wer sowieso neugierig ist, sollte an dieser Stelle gar nicht weiterlesen, sondern sich eine Kinokarte und einen Eimer Popcorn besorgen und zwei Stunden lang in eine phantastische Welt der Wunderwesen abtauchen: So verhangen der Himmel über dem Meer oft ist, so quietschbunt stellt sich die "Welt ohne Sonne" hier dar.

Unentschlossenen sei hingegen erzählt, was dieser Film nicht leistet: Er lotet nicht die Untiefen der menschlichen Seele aus, meditiert nicht wie etwa Luc Bessons "Im Rausch der Tiefe" (1988) über die Faszination der Unterwasserwelt. Über Cousteau und sein Expertenteam aus Zoologen, Geophysikern, Ökologen und Archäologen erfährt man herzlich wenig, und getaucht wird auch kaum.

Tatsächlich scheinen alle Ähnlichkeiten mit der Wirklichkeit, wie wir Binnenländer sie kennen, unbeabsichtigt. Dabei spielen die auf dem Festland alles beherrschenden Faktoren Geld und technologischer Fortschritt durchaus eine Rolle, nur tut "Die Tiefseetaucher" so, als ginge es auch ohne sie: mit melancholisch vor sich hin modernder Maschinerie und leerem Safe. Für den Film selber, der mit aufwendigen Animationstechniken gemacht wurde, gilt das natürlich nicht. Gedreht wurde fast ausschließlich auf dem Trockenen, nämlich in Federico Fellinis Cinecittà in der Nähe von Rom - mit Hilfe der Gebrauchsanleitung, die James Cameron im DVD-Kommentar zu "The Abyss" (1989) zur Verfügung stellt, wie Anderson freimütig zugibt.

Man könnte bemängeln, daß Ähnlichkeiten mit der Wirklichkeit weniger unbeabsichtigt als schlicht unnötig sind in einem Film, in dem alles konstruiert und nichts dem Zufall überlassen ist. Man könnte einwenden, daß die Evolution auf dem Meeresboden mehr Schabernack getrieben hat, als sich ein professioneller Effekthascher je ausdenken könnte: Seepferdchen bedürfen keiner bonbonfarbenen Streifen, um zu surrealen Kreaturen zu werden.

Man könnte einwenden, rote Wollmützen seien albern, wer Unterwasserdokus voller Schwulst und Inbrunst sehen möchte, sei besser bedient, die nächste Wiederholung alter Cousteau-Streifen im Fernsehen abzuwarten, und warum gerade Bowie? Oder man tut, was man schon vor zehn Minuten hätte tun sollen, legt die Zeitung beiseite, kauft eine Kinokarte und einen Eimer Popcorn und taucht ab.

Foto: Steve Zissou (Bill Murray): Im Garten eines Kraken möcht' er sein


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen