© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/05 25. März 2005

Anpfiff zum Abpfiff
Kanzlerdämmerung: Der Vorrrat an Gemeinsamkeiten von Rot-Grün ist verbraucht
Paul Rosen

Das rot-grüne Projekt trat nach den Worten von Bundeskanzler Gerhard Schröder 1998 an, um "nicht alles anders, aber vieles besser" zu machen. Regieren sollte wieder Spaß machen. Schröders Spaßtruppe hat nichts besser, aber vieles anders gemacht. Aus Deutschland, dessen "Made in Germany" einst weltweit einen guten Klang hatte, ist ein krankes Land geworden. Nach sechs Jahren sind ausufernde Staatsverschuldung und wirtschaftlicher Niedergang die Bilanz der rot-grünen Ära. Seitdem die Arbeitslosigkeit im Januar auf über fünf Millionen gestiegen ist, hat der Niedergang der Koalition eingesetzt. Es herrscht Kanzlerdämmerung. Schröder ist fast am Ende, sein Außenminister Joschka Fischer wegen der Visa-Affäre auch.

Politiker kennen nur eine Währung, und das sind die Stimmen, die sie bei Wahlen erhalten. Sobald ein Partei- oder Regierungschef den Erfolg nicht mehr gewährleisten kann, nimmt die interne Kritik zu. Diesen Zustand kann man bei der SPD beispielhaft beobachten. Noch im Herbst und bis zur Jahreswende war die sozialdemokratische Welt weitgehend in Ordnung. Die Union befand sich wegen ihrer Streiterei um die Gesundheitspolitik im Tief. Führende CDU-Politiker wie Friedrich Merz und Horst Seehofer waren zurückgetreten. Die Wahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen schienen von der rot-grünen Koalition problemlos gewinnbar zu sein.

Wenige Tage vor der Landtagswahl in Kiel am 20. Februar drehte die Stimmung. SPD-Wähler gingen auf Distanz zur eigenen Partei. Ministerpräsidentin Heide Simonis stand ohne eigene Mehrheit dar. Es bot sich für Schröder an, die Vorlage der Unionsvorsitzenden Angela Merkel und Edmund Stoiber für einen Job-Gipfel im Kanzleramt zu nutzen und eine seiner üblichen Show-Veranstaltungen daraus zu machen. Am vergangenen Donnerstag war morgens eine Regierungserklärung geplant, und am Nachmittag sollten sich Merkel und Stoiber Schröders Rettungsplan für Deutschland im Kanzleramt abholen.

Die Show fiel ins Wasser. Zwar konnte Schröder im Bundestag noch punkten und wandte sich in einer emotionalen Rede an die eigene Partei, die ihm auch huldigte. Aber schon am Mittag begann das Drama in Kiel: Simonis fiel in vier Wahlgängen durch, weil ein Heckenschütze aus rot-grünen Reihen die "Dänen-Ampel" nicht wollte. Schröder hatte außerdem beim Job-Gipfel in Wahrheit nur weiße Salbe im Angebot. Das fiel auf. Der Kanzler stand wieder einmal als Pokerspieler da, der mit schlechten Karten blufft.

Wirksame Maßnahmen wie die Senkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrages und die Entbürokratisierung konnte er nicht anbieten, weil er von den Grünen und auch von weiten Teilen der eigenen Partei keine Zustimmung erwarten kann. Der niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) sprach von "Klein-Klein", was Schröder vorgeschlagen habe.

In der Tat dürften die verkündeten Maßnahmen die Wirtschaft in Deutschland kurzfristig nicht ankurbeln. Das Straßenbauprogramm in Höhe von zwei Milliarden Euro ist nicht einmal finanziert. Im Bundeshaushalt klaffen ohnehin schon Lücken: Das Wirtschaftswachstum und der Bundesbankgewinn sind zu hoch angesetzt, Sparvorhaben in Höhe von einer Milliarde Euro sind noch nicht auf die Ressorts aufgeteilt.

Beim Antidiskriminierungsgesetz machte der Kanzler einen kleinen Rückzieher, aber trotzdem bleibt es dabei, daß hier eine Brüsseler Richtlinie verschärft umgesetzt wird. Das schafft kein Vertrauen, sondern schürt vielmehr das Gefühl, daß weiter die Belastungsgrenzen bei Wirtschaft und Bürgern gesucht werden sollen.

Die angekündigten Steuermaßnahmen wirken kurzfristig nicht, weil die Senkung der Körperschaftssteuer erst 2006 in Kraft treten kann. Außerdem sind die Körperschaftssteuersätze kein Problem für die Weltkonzerne, die durch geschickte Verlagerung von Kosten und Gewinnen ohnehin kaum noch Steuern zahlen. Wichtiger wäre es gewesen, etwas für den Mittelstand zu tun und zum Beispiel Handwerker von der ausufernden Bürokratie zu befreien und dafür zu sorgen, daß die öffentliche Hand endlich die Rechnungen pünktlich bezahlt, die Handwerker stellen.

Irgendwie muß Schröder ahnen, daß die Pokerrunde im Kanzleramt nichts gebracht hat. Er soll auch Nordrhein-Westfalen schon abgeschrieben haben: "Wir sind uns bewußt, daß NRW aus eigener Kraft nicht mehr zu gewinnen ist", wird der Kanzler zitiert. Die jüngsten Umfragen sehen CDU und FDP an Rhein und Ruhr zwischen 49 und 50 Prozent, was eine stabile Mehrheit im Landtag ergäbe. Eine Mehrheit befürwortet inzwischen einen Wechsel in Nordrhein-Westfalen.

Die Trendumkehr hat Gründe. Die Koalition hat keine Kraft mehr, wirksame Maßnahmen zur Sanierung der Wirtschaft zu beschließen. Jeden Tag fallen in Deutschland 1.200 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze weg. 85 Prozent der Bundesbürger haben Angst vor dem Verlust ihres Arbeitsplatzes und sparen, wo immer es geht. Das macht den Konsum kaputt.

Die Wähler erleben darüber hinaus, daß Fischer und sein Außenministerium die Grenzen geöffnet hatten und sechs Millionen Mittel- und Osteuropäer ins Land ließen, von denen die meisten zur Schwarzarbeit einreisten. Es verdichten sich die Hinweise, daß der Außenminister seinem Staatsminister Ludger Volmer bewußt freie Hand für die Lockerung der Einreisebestimmungen gegeben und damit eine Verletzung der Grundsätze des Schengener Abkommens über die Einreise in den EU-Raum in Kauf genommen hat. Tausende von Frauen wurden unter Vorspiegelung falscher Tatsachen nach Deutschland gelockt und in die Zwangsprostitution getrieben.

Arbeitslosigkeit und Visa-Affäre werden gerade von SPD-Wählern miteinander verknüpft. Es entsteht ein für die SPD hochgiftiger Themen-Cocktail, der die Umfragewerte nach unten treibt, weil sozialdemokratische Stammwähler aus Wut über den grünen Koalitionspartner nicht mehr an die Wahlurne kommen.

Schröder könnte sich vor der NRW-Wahl von Fischer trennen, um die Visa-Affäre zu beenden. Aber das wäre auch ein weiterer Schritt zum Untergang von Rot-Grün, weil Kanzler und Außenminister das Projekt verkörpern und nur noch durch ihre Autorität dafür sorgen, daß die knappe Mehrheit im Bundestag hält. In der SPD-Fraktion herrscht bereits offene Wut über den kleinen Koalitionspartner. Der Streit hat schon viele Themengebiete erfaßt, von der Rüstungspolitik bis hin zum Diskriminierungsgesetz. Der Vorrat an Gemeinsamkeiten ist verbraucht.


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