© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/05 25. März 2005

Aus, vorbei, ausgestanden
Kritik an JF-Interview: Bezirksbürgermeister Buschkowsky rechtfertigt sich vor Bezirksverordneten / Scharfe Angriffe der CDU
Markus Schleusener

Der Mittwoch vergangener Woche war der erste Frühlingstag in Berlin. Von einem Tag auf den anderen kommt die Sonne raus, es wird warm. Nach dem langen, harten Winter haben viele Neuköllner Bezirksverordnete gewohnheitsbedingt noch immer Schals und Handschuhe dabei, als sie sich zur Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) im Rathaus einfinden. Dabei ist draußen das Thermometer in den zweistelligen Bereich geklettert.

Ebenso gewohnheitsbedingt fallen viele Politiker über einen der Ihren her, wenn er der JUNGE FREIHEIT ein Interview gibt. Heute ist es der Genosse Heinz Buschkowsky (SPD) - seines Zeichens Bürgermeister des Berliner Problembezirks Neukölln und seit über dreißig Jahren Sozialdemokrat.

"Alter schützt vor Torheit nicht", rief die versammelte Berliner Linke, nachdem Buschkowsky im JF-Interview (11/05) nur gesagt hatte, was er zuvor an anderer Stelle schon unzählige Male geäußert hatte. Er warnte gegenüber der JF unter anderem vor "Parallelgesellschaften" und äußerste sich abfällig über "Multikulti-Träumer und Gutmenschen". Sein Fazit: Multikulti ist gescheitert. Seinen Kritikern warf Buschkowsky zudem Realitätsverweigerung vor.

Es geht nicht um Kriminalität oder Arbeitsplätze

Diese klare Linie hielt er nach dem Erscheinen des Interviews keine Stunde mehr durch. Der Druck war zu groß. In der ganzen Stadt wurde Front gegen den Lokalpolitiker gemacht: von der Gewerkschaft Verdi über die eigenen Parteifreunde bis hin zur PDS, auf die Buschkowsky in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) angewiesen ist. Die Landesverbände der Grünen und der PDS forderten den Rücktritt vom Amt des Bezirksbürgermeisters. Die beiden Bezirksverbände der Parteien schlossen sich diesen Forderungen jedoch nicht an. Trotzdem erklärte BVV-Mitglied Michael Anker (PDS), er sei "empört".

Es geht in diesen Tagen im Neuköllner Rathaus nicht darum, daß der Bezirk einem großen Sozialamt gleicht. Es geht nicht um Ausländerkriminalität, nicht um Arbeitslosigkeit, nicht um verwahrloste Familien, nicht um die jetzt verkündete Schließung der Kindl-Brauerei, der weitere rund 150 Arbeitsplätze zum Opfer fallen. Es geht darum, daß der Bezirksbürgermeister der Wochenzeitung JUNGEN FREIHEIT ein Interview gegeben hat.

Selbst die CDU schloß sich der Kritik an Buschkowsky an. "Wir gehen davon aus, daß die SPD ihr Problem selbst im Sinne einer demokratischen Volkspartei löst", sagte der Fraktions-Chef der Christdemokraten in der BVV, Lothar Tietz. Was denn das Problem der SPD genau sei, darüber bewahrte er jedoch Stillschweigen. Die heimliche Strippenzieherin hinter dem ganzen Vorgang ist sowieso Baustadträtin Stefanie Vogelsang (CDU). Ein BVV-Mitglied urteilte hinter vorgehaltener Hand über die machtbewußte Christdemokratin, daß diese seiner Ansicht nach bereit wäre, für ihren politischen Vorteil und ihre Karriere sogar "ihre Großmutter zu verkaufen".

Es war angesichts der geballten Kritik von allen Seite absehbar, daß Buschkowsky sofort einlenken würde. Seine Strategie bestand zunächst darin, naiv zu behaupten, er habe nicht gewußt, "was für einer Zeitung" er da ein Interview gegeben habe. Doch das reichte seinen Kritikern längst nicht.

Auch das, was nun folgte, wird die PDS-Bezirksvorsitzende Evrim Baba später als "nicht ausreichend" qualifizieren: Buschkowskys offizielle Entschuldigung vor den Bezirksverordneten nur fünf Tage nach dem Erscheinen des Interviews. Nicht zuletzt die PDS hatte diesen Schritt öffentlich von dem Bezirksbürgermeister gefordert.

Als es endlich losgeht in der BVV-Sitzung, wirkt Heinz Buschkowsky ein wenig wie Horst Tappert. Wie ein korrekter deutscher Beamter, der um sein Amt kämpft. Er wirft sich dafür in den Staub.

Wie ein Beamter, der um sein Amt kämpft

"Abweichend vom Üblichen" melde er sich in der Sitzung zu Wort, beginnt er seinen Canossagang. Er spricht über einen Vorgang, "bei dem ich Auslöser ein leidenschaftlichen Kritik geworden bin". Es gehe dabei um eine Zeitung, "von der ich heute weiß, daß sie sehr umstritten ist". Dann nennt er sie - die Attribute, mit der die JF von ihren Gegnern kategorisiert wird und die von Buschkowsky erwartet werden: Er beginnt mit "konservativ" und endet mit "neonazistisch". Den Bezirksverordneten der rot-rot-grünen Zählgemeinschaft steht das Entsetzen ins Gesicht geschrieben. Wie erstarrt lauschen sie Buschkowskys Worten.

Dann kommt der Bezirksbürgermeister zu seiner Entschuldigung. Nicht mit einem Satz. Oder mit zweien. Es ist mehr eine Rede in der Rede. Es fallen Sätze wie "Ich habe meine Sorgfaltspflichten verletzt", oder: "Mir wurde der berechtigte Vorwurf gemacht, einseitig gewesen zu sein." Und: "Ich bedauere, andere verletzt zu haben." Oder: "Bei denen, die das als Verunglimpfung empfinden, entschuldige ich mich." Kann sich ein Bürgermeister noch stärker demütigen?

Buschkowsky liest alles von einem Blatt ab und traut sich fast nicht, einen Blick auf die anderen Bezirksverordneten seiner Zählgemeinschaft oder von CDU und FDP zu werfen. Er spricht vom friedlichen Miteinander der Kulturen, von der Bereicherung, die Türken und Araber für die Gesellschaft darstellen. Und er warnt vor den rechten Rattenfängern, denen er selber auf den Leim gegangen zu sein vorgibt.

Als er fertig ist, bekommt er Applaus. Buschkowsky hat seine Pflicht getan, es ist vorbei. Eigentlich möchte der Ältestenrat der BVV jetzt zur Tagesordnung übergehen, aber der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU, Thomas Lepp, drängt sich vor. Der Mann ist mächtig nervös. Er gibt eine persönliche Erklärung ab und giftet Buschkowsky regelrecht an. Doch noch bevor er richtig in Fahrt kommt, wird er vom Ältestenrat darauf hingewiesen, daß er eigentlich kein Rederecht hat. Doch Lepp stört sich nicht daran. Schließlich werden ihm doch ein paar Sätze zugestanden.

"Herr Buschkowsky, was Sie uns erzählt haben, das glaube ich Ihnen nicht", sagt Lepp, der den Eindruck erweckt, daß er sich für denjenigen hält, der endlich aufräumt und die häßliche Wahrheit über den "Skandal" des Heinz Buschkowsky offen ausspricht. "Sie wußten, wem Sie was erzählt haben, und um was für eine Zeitung es sich handelt." Ja, was denn für eine Zeitung? Eine genauere Definition ist von Lepp nicht zu hören. Die Auseinandersetzung um Buschkowskys JF-Interview sei die "wesentlichste Debatte", die in der BVV geführt werde. Nicht Armut, Kriminalität, Verwahrlosung, Niedergang, Arbeitslosigkeit - ein Interview als wesentlichste Debatte.

Dann kommt er auf die Vergangenheit zu sprechen und reißt Dinge aus dem Zusammenhang. Vor elf Jahren geriet der damalige CDU-Innensenator Dieter Heckelmann unter Druck, weil er einen Pressesprecher hatte, der auch mit konservativen Kreisen Umgang pflegte. Die JF hatte damit eigentlich herzlich wenig zu tun. Und Heckelmann hat sein Amt damals auch gar nicht verloren.

Die ungelösten Probleme sind geblieben

Aber Thomas Lepp insistiert immer wieder: Buschkowsky sei vor elf Jahren SPD-Landesparteitagsdelegierter gewesen. Er habe alles gewußt. Bei der Union klopfen am Ende seiner Rede die Verordneten energisch auf den Tisch, um ihren Ersatz-Frontmann anzufeuern.

Aus. Vorbei. Ausgestanden. Buschkowsky bleibt Bezirksbürgermeister von Neukölln. Lepps Blutdruck sinkt im Laufe der folgenden Sitzung wieder auf Normalniveau. Abends gehen die Bezirksverordneten nach Hause. In den Bezirk, der genauso viele Arbeitslose, Kriminelle und ungelöste Probleme beherbergt wie am Tag zuvor. Oder eher mehr.

Foto: Buschkowsky, Baustadträtin Vogelsang: Der Bezirksbürgermeister machte sich so klein wie möglich


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