© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 14/05 01. April 2005

PRO&CONTRA
Patientenverfügungen empfehlen?
Susanne Dehmel / Rainer Beckmann

Die Vorsorge mit einer Patientenverfügung ist empfehlenswert für diejenigen, die sich ihr Recht auf Selbstbestimmung am Lebensende sichern wollen. Die sich gegen Mutmaßungen und Fremdbestimmung schützen wollen, indem sie rechtzeitig und möglichst konkret formulieren, wie sie im Zustand der Äußerungsunfähigkeit behandelt werden möchten.

Wer eine Patientenverfügung zum Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen verfaßt, sollte sich ernsthaft mit dem Thema auseinandersetzen. Und er sollte sich im klaren darüber sein und dies auch dokumentieren, daß er damit auf etwaige minimale Restchancen auf ein Weiterleben und vielleicht auch auf eine Besserung seines Gesundheitszustands verzichtet. Es besteht kein Zweifel daran, daß die Patientenverfügung im medizinischen Alltag zunehmend an Bedeutung gewinnt: Sie ist eine unschätzbare Entscheidungshilfe für Ärzte, Pflegekräfte, Angehörige oder Richter. Laut Bürgerlichem Gesetzbuch gilt sie als einseitige Willenserklärung und ist so lange gültig, solange keine Anzeichen erkennbar sind, daß der Urheber sie nicht mehr gelten lassen will. Nach derzeitiger Lage kann eine Patientenverfügung auch mündlich erteilt werden, bedarf also nicht unbedingt der Schriftform. Die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben empfiehlt allerdings immer die Schriftform, weil sich der Wille dann wesentlich besser nachweisen läßt, wenn es um die Frage der Beweislast geht. Ein wesentlicher Teil der Probleme im Fall Schiavo beruht ja eben darauf, daß der Wille der Patientin nicht zweifelsfrei geklärt werden kann. In diesem Fall stehen sich die widersprüchlichen Aussagen des Ehemannes und der Eltern gegenüber. Zeugen, die eine der beiden Auffassungen bestätigen könnten, gibt es offenbar ebenso wenig, wie einen Bevollmächtigten, dem Terri das Entscheidungsrecht für eine solche Situation ausdrücklich übertragen hätte.

Susanne Dehmel ist Pressesprecherin der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben ( www.dghs.de ).

 

 

Auch unter Berücksichtigung des Falles "Schiavo" wäre es falsch, die Abfassung von Patientenverfügungen zur Pflicht zu machen. Patientenverfügungen können im Einzelfall durchaus sinnvoll sein. Als gesellschaftspolitisches Instrument zur generellen Lösung von Entscheidungskonflikten am Lebensende eignen sie sich aber nicht. Wir können nicht per Gesetz einfordern, daß alle Zwanzigjährigen sich Gedanken über spätere Krankheitssituationen machen und klare Anweisungen für ihre künftige ärztliche Behandlung erteilen. Jeder Bürger muß die Gewißheit haben, daß er auch in unvorhergesehenen Situationen auf angemessene und menschenwürdige Behandlung zählen kann und vor einem unwürdigen Dahinvegetieren als Anhängsel technischer Apparate bewahrt wird. Sowohl Unterversorgung als auch Übertherapie sind zu vermeiden - egal, ob schriftliche Anweisungen vorliegen oder nicht.

Patientenverfügungen bringen nicht nur mehr Klarheit, sondern bergen auch Gefahren. Eine Verpflichtung zum Abfassen von Patientenverfügungen würde den Eindruck erwecken, Staat und Gesellschaft wollten auch den Behandlungsverzicht propagieren. Alten und kranken Menschen würde auf subtile Weise signalisiert, daß sich der hohe Aufwand an medizinischer Versorgung vermeiden ließe. Je geregelter Behandlungsverzichtserklärungen werden, um so deutlicher wird auch eine gesellschaftliche Erwartungshaltung entstehen, sich dem Trend des "sozialverträglichen Frühablebens" anzuschließen. Ferner kann der massenhafte Gebrauch von Patientenverfügungen dazu führen, daß notwendige Veränderungen im Gesundheitswesen unterbleiben, die wirklich geeignet wären, die Achtung vor dem Leben und der Würde alter, kranker und sterbender Menschen zu stärken: der Ausbau der Palliativmedizin und die Stärkung der Hospizbewegung. Hierin liegt die vorrangige politische Aufgabe.

Rainer Beckmann ist stellvertr. Vorsitzender der Juristenvereinigung Lebensrecht im BV Lebensrecht ( www.bv-lebensrecht.de ).


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